Marketing kann anregen – und aufregen. Aus Sicht der Kardiologen hat sich eine Apothekenkampagne mächtig im Ton vergriffen. Ein Streit um Solidarität, Selbstbehauptung und ein bisschen Sommerhitze.
Am Nürnberger Hauptbahnhof hat ein Plakat kürzlich für Herzklopfen der besonderen Art gesorgt – allerdings nicht vor Freude. Unter dem Slogan „Ich bin auch ohne Termin für dich da“ wirbt die Apothekerschaft für ihre niedrigschwellige Erreichbarkeit. Während viele Passanten darin schlicht einen freundlichen Hinweis sehen dürften, ist die Reaktion aus Teilen der Ärzteschaft alles andere als wohlwollend: Der Berufsverband der Fachärzte für Kardiologie in freier Praxis (BFK) spricht von einem unsolidarischen und gar spaltenden Signal.
In einem Brief an den Präsidenten der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), Dr. Gerald Quitterer, zeigt sich der BFK irritiert über die Tonlage der Kampagne. Zwar erkenne man die schwierige Lage vieler Apotheken grundsätzlich an und unterstütze deren existenzsichernde Belange – doch aus Sicht der Kardiologen gehe dieses Plakat einen Schritt zu weit. Die klare Botschaft ohne Termin suggeriere eine Alternative zur ärztlichen Versorgung und damit eine – zumindest kommunikative – Konkurrenz.
Werbung oder Seitenhieb?Besonders kritisch wird offenbar empfunden, dass das Plakat in unmittelbarer Nähe zum medizinischen Alltag steht: Fotografiert wurde es am Nürnberger Hauptbahnhof, also in einem Umfeld, wo schnelle Hilfe und gesundheitliche Versorgung oft Thema sind. Dass Apotheken vielerorts kurzfristig beraten, Medikamente abgeben oder akute Hilfe leisten, ist unbestritten – doch dass genau diese Leistungsfähigkeit in einem werblichen Kontext herausgestellt wird, während viele Arztpraxen unter enormem Termin- und Zeitdruck stehen, empfindet der Verband als Affront.
Medizinische DissonanzenDer Vorwurf: Die Apotheken nutzen bestehende Versorgungsengpässe für eigene Image-Zwecke. Das sei nicht nur unsensibel, sondern torpediere die dringend nötige Zusammenarbeit im Gesundheitswesen. Solidarisches Verhalten sehe anders aus – so der Tenor. Die Bayerische Landesärztekammer wurde in dem Schreiben explizit aufgefordert, sich öffentlich von der Plakataktion zu distanzieren. BLÄK-Präsident Quitterer soll bereits mündlich reagiert und Verständnis für die Kritik signalisiert haben. Eine offizielle Stellungnahme der Kammer steht zum Zeitpunkt dieses Artikels noch aus.
Und die Apotheken?Aus Apothekersicht dürfte die Kampagne in einem anderen Licht erscheinen: Seit Monaten kämpfen öffentliche Apotheken nicht nur mit Lieferengpässen und Personalmangel, sondern auch mit wirtschaftlichem Druck. Die Botschaft ließe sich – so könne man argumentieren – auch als Einladung zur niedrigschwelligen Gesundheitsberatung lesen, nicht als Angriff auf ärztliche Kollegen. Dass diese Botschaft jedoch in einem aufgeheizten gesundheitspolitischen Klima unterschiedlich gelesen wird, überrascht kaum.
Ein Kommentar zur LageDie Reaktion der Kardiologen ist verständlich – aber überzogen. Niemand stellt die Bedeutung der ärztlichen Versorgung infrage, auch nicht durch ein Plakat. Die Aussage „Ich bin auch ohne Termin für dich da“ ist keine Provokation, sondern ein Fakt. Apotheken arbeiten ohne Termine, Tag für Tag. Das plakativ zu formulieren, ist kein Angriff – sondern gutes Marketing.
Gerade in einem überlasteten System wäre es wünschenswert, wenn sich die Berufsgruppen gegenseitig den Rücken stärken, anstatt bei jeder Gelegenheit in den Empörungsmodus zu verfallen. Wer jede Form von Selbstbehauptung als Nestbeschmutzung versteht, offenbart keine Solidarität – sondern ein Problem mit Augenhöhe.
Die Sommerhitze ist da und im Gesundheitswesen liegen die Nerven wieder einmal blank. Ob aus einem Plakat nun ein echter Streitfall wird oder nur ein kurzer Sturm im Wartezimmer, dürfte sich in den nächsten Tagen zeigen. Der Schaden für das Miteinander aber ist real – auch ohne Termin.
Bildquelle: Midjourney