Mit der richtigen Atmung sollen sich Stress, Schmerzen und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Luft auflösen. Ist es wirklich so einfach? Was wir wissen und wo uns noch Belege fehlen.
Krankenkassen empfehlen sie, auf Social Media gelten sie als Geheimtipp für mehr Wohlbefinden: Atemübungen erleben einen regelrechten Hype. „Richtiges Atmen“ wird als Schlüssel zur mentalen Gesundheit, als Waffe gegen Schmerzen oder sogar als therapeutisches Tool bei Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen angepriesen. Manche Anwendungen setzen sogar auf künstliche Intelligenz oder virtuelle Realität. Doch was sagt die Forschung? Ein Überblick.
Ein Anwendungsgebiet für bewusste – oft auch als „achtsam“ bezeichnete – Atemtechniken ist die mentale Gesundheit. Methoden wie die „4-7-11-Atmung“, die „4-7-8-Methode“ oder Yoga-Übungen mit wechselnder Nasenlochatmung sollen Stress reduzieren, Panikattacken lindern und depressive Symptome mildern. Bei der 4-7-11-Technik atmet man vier Sekunden lang ein, sieben Sekunden aus und das, je nach Ansatz, elfmal oder elf Minuten lang. Der besondere Fokus liegt auf der langen Ausatmung. Die 4-7-8-Methode ist besonders aus der Schlafmedizin bekannt. Auch hier atmet man vier Sekunden lang durch die Nase ein, hält den Atem für sieben Sekunden an und atmet anschließend acht Sekunden lang durch den Mund aus.
Ein systematisches Review zur Wirksamkeit von Atemübungen bei Erwachsenen schloss 309 Studien ein, von denen 19 in die engere Auswahl kamen. Davon lieferten 12 Arbeiten Hinweise darauf, dass Atemübungen Angst und Stress effektiv reduzieren können. Allerdings fehlen bisher groß angelegte, qualitativ hochwertige, randomisierte Studien. Einzelne Arbeiten geben dennoch vielversprechende Hinweise: So zeigte eine indonesische Untersuchung mit 122 Studenten positive Effekte einer achtsamen Atemmeditation auf Stress, Ängste und Depression.
Auch bei Menschen mit Verlust der Sehkraft weist ein Review auf verbesserte psychosoziale Gesundheit und Lebensqualität hin. Doch hier gilt ebenfalls: Aus ursprünglich 355 gescreenten Studien schafften es nur 6 in die Endauswertung: ein Hinweis auf die oft geringe Studienqualität.
Bei chronischen Schmerzen, etwa im unteren Rücken, werden Atemübungen als unterstützende Therapie empfohlen. Ein Review kam zu dem Schluss, dass es Hinweise auf eine Wirksamkeit gibt. Von 677 Studien blieben aus methodischen Gründen nur 13 für die Analyse übrig – zu wenige Daten, um klare Aussagen zu treffen.
Ähnlich sieht es bei weiteren Schmerzformen aus, etwa:
Die Datenlage ist insgesamt dürftig, die Zahl hochwertiger Studien gering. Eine therapeutische Wirkung ist möglich, aber nicht gesichert.
Bewusste, langsame Atmung soll auch das Herz-Kreislauf-System positiv beeinflussen, etwa den Blutdruck senken oder die Herzfrequenz normalisieren. Physiologisch ist dieser Zusammenhang plausibel: Tiefe, langsame Atemzüge wirken entspannend auf den Vagusnerv und können die Herzfrequenz senken.
So sieht die Datenlage aus: Wissenschaftler fanden bei Recherchen für ein Review 915 Studien, von denen 15 in die Auswertung einflossen. Die Autoren halten Atemübungen für eine potenziell wirksame, nicht-medikamentöse Ergänzung bei Bluthochdruck, schreiben aber auch hier: Es fehle an robusten Daten aus großen, kontrollierten Studien.
Deutlich besser ist die Studienlage bei Atemwegserkrankungen. Hier zeigen Atemtechniken signifikante, aber auch klinisch relevante Effekte, zum Beispiel bei akuten Asthmaanfällen oder bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). Ein Review kam zu dem Ergebnis: „Atemtechniken können die Atemnot verbessern und die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Menschen mit schweren Atemwegserkrankungen nachhaltig steigern.“ Die Evidenz ist in diesem Bereich deutlich besser als bei anderen Anwendungen.
Innovative Konzepte kombinieren Atemübungen mittlerweile mit neuen Technologien wie virtueller Realität (VR) oder Anwendungen, die durch künstliche Intelligenz (KI) individuell angepasst werden. Hier gibt es ebenfalls Daten zum Benefit. Ein Review wertete 845 Studien aus, 44 davon flossen in die Analyse ein. Auch wenn viele davon nicht randomisiert waren, sehen die Autoren Potenzial: Neue Technologien könnten helfen, Atemübungen gezielter und effektiver zu gestalten, schreiben sie.
Ein Fazit: Ob bei psychischer Belastung, chronischen Schmerzen oder hohem Blutdruck: Für viele Anwendungsgebiete von Atemtechniken gibt es Hinweise auf positive Effekte. Besonders gut belegt ist ihr Nutzen bei Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD. In anderen Bereichen jedoch mangelt es bislang an hochwertigen, randomisierten Studien, um die Wirksamkeit wissenschaftlich fundiert zu bestätigen. Es geht aber nicht nur um Statistik, sondern immer um die Frage, ob eine Intervention klinisch relevant für bestimmte Patienten ist. Entsprechend fällt auch das Fazit vieler Fachartikel und Übersichtsarbeiten aus: Atemübungen gelten zwar als vielversprechend. Ihr tatsächlicher Nutzen ist jedoch in vielen Fällen noch nicht ausreichend belegt.
Anm. d. Red.: In einer früheren Version war die 4-7-11-Technik falsch beschrieben. Wir haben dies nun korrigiert.
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