Für viele Patienten ist die Krebsbehandlung ähnlich angsteinflößend wie der Tumor selbst. Wie ihr sie gut vorbereitet und welche Nebenwirkungen vermeidbar sind.
Dass Krebszellen normale, aber potenziell unsterbliche Körperzellen sind, macht ihre Bekämpfung doppelt schwierig: Ihnen fehlen exklusive Merkmale, an denen Therapien ansetzen können und sie sind ganz besonders robust. Deshalb sind die Kollateralschäden – vor allem der Chemo- und Radiotherapie – so gravierend, dass sie selbst behandelt werden müssen.
„Erst adäquate supportive Therapie ermöglicht eine erfolgreiche, spezifische Krebstherapie. Sie behandelt und verhindert Komplikationen der Krebstherapie und der Erkrankung“, schreiben die Autoren der soeben aktualisierten S3-Leitlinie „Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen“. Schon der schiere Umfang von über 1.000 Seiten mit knapp 3.000 Literaturangaben, erstellt von über 50 Fachgesellschaften und Organisationen, verdeutlicht das Ausmaß des Problems.
Die Gliederung der Leitlinie folgt nicht einzelnen Therapien oder Organen, sondern primär den unerwünschten Wirkungen: Angefangen bei der Blutarmut über Übelkeit und Erbrechen bis hin zu Nerven-, Knochen- und Herzkreislaufschäden.
Etwas aus der Reihe fallen die Kapitel „Supportive Maßnahmen in der Radioonkologie“ und „Immunvermittelte Nebenwirkungen durch Immuncheckpoint-Inhibitoren“, weil sie eine spezielle Therapie in den Vordergrund stellen, sowie das Kapitel Paravasate, in dem es um die Folgen einer ungewollten Arzneimittelfreisetzung geht.
Manche Symptome werden bereits durch den Krebs hervorgerufen und durch die Therapie sogar verstärkt. So führen 30 bis 50 % der soliden Tumore zu Blutarmut, unter Therapie steigt die Rate auf über 75 %. Nur eine symptomatische Anämie soll behandelt werden, vor allem mit Blutbildungs-stimulierenden Mitteln, Eisen und Transfusionen. Bei febriler Neutropenie dagegen ist der Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor (G-CSF) Mittel der Wahl, auch schon zur Prophylaxe ab einem Risiko von 20 %.
Besonders gefürchtet sind die fiesen Zwillinge Nausea und Emesis – jedem zweiten Krebspatienten wird speiübel. So weit muss es aber nicht kommen: „Durch eine optimale antiemetische Prophylaxe kann das Erbrechen nach einer hoch emetogenen Tumortherapie bei ca. 70 bis 80 % der Patienten verhindert werden.“ Ein Sonderfall ist die antizipatorische Übelkeit, bei der schon äußere Reize wie Gerüche, aber auch Angst und Anspannung den Würgereflex triggern. Weil klassische Antiemetika dann versagen, hilft höchstens eine Verhaltenstherapie.
Während Übelkeit und Erbrechen kaum therapiert, aber gut vorgebeugt werden können, ist es beim Durchfall genau umgekehrt. Kein Mittel kann Diarrhoe nachweislich verhindern, auch für Probiotika, Präbiotika und Synbiotika ist die Datenlage ungenügend. Mittel der Wahl zur Therapie der Diarrhoe ist Loperamid. Nach klinischer Erfahrung können in schweren Fällen zusätzliche Mittel wie Opium (Tinctura opii) helfen.
Auch die Haut leidet unter Chemotherapie, was viele „als entstellend und stigmatisierend empfinden“, so die Autoren. Ausschläge, Nagelveränderungen und Jucken mindern die Lebensqualität. Besonders bei Haarausfall kann „das emotionale Trauma so schwerwiegend sein, dass die notwendige Behandlung abgelehnt oder hinausgezögert wird“. Zwar wachsen die Haare in der Regel wieder nach, aber das kann Monate bis Jahre dauern. Und manchmal haben sie dann eine andere Farbe oder sind lockig. Bei Taxantherapien kann eine Kopfhautkühlung angeboten werden, wirklich verhindern lässt sich der Haarausfall jedoch nicht, auch nicht mit Hirse, dem Chinaimport Xiaoaiping und dem ansonsten bewährten Haarwuchsmittel Minoxidil.
Statt fruchtlose Interventionen auszuprobieren, soll man Patienten lieber in Gesprächen auf die Situation vorbereiten. Und noch ein guter Rat: „Ein gewünschter Haarersatz soll frühzeitig rezeptiert werden“.
Die Leitlinie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Andrej Lišakov, Unsplash