In der kanadischen Provinz New Brunswick wurden vermehrt Fälle einer schnell fortschreitenden Demenz beobachtet. Dr. Marrero ist sich sicher: Es handelt sich um eine neue Krankheit. Was ist dran?
Im Jahr 2019 tauchten in Kanada plötzlich Berichte über eine bislang unbekannte Krankheit auf. Zunächst wurde von knapp 50 Betroffenen berichtet, die an unterschiedlichen progredienten neurologischen Symptomen litten und eine rasch fortschreitende Demenz entwickelten. Diese führte oft rasch zum Tod oder zu schweren Beeinträchtigungen. Da alle Fälle in der kanadischen Provinz New Brunswick auftraten, tauften die Medien die Krankheit „New Brunswick Disease“. Die Symptome und der Verlauf erinnerten an die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung; man vermutete zunächst eine neuartige Prionerkrankung. Die Gesundheitsbehörden waren alarmiert.
Aufgrund der besorgniserregenden Berichte wurde eine offizielle Untersuchungsstelle eingerichtet. Im Jahr 2022 gab es schließlich Entwarnung: Es gebe keine gemeinsame Ursache für die Symptome. In den meisten Fällen seien Diagnosen wie Alzheimer oder andere Demenzformen wahrscheinlich. Einige Betroffene, Angehörige und Ärzte gaben sich damit jedoch nicht zufrieden.
In den folgenden Jahren wurde immer wieder von neuen Fällen dieser mysteriösen Erkrankung berichtet – mittlerweile etwa 500. Schon früh wurden neben einem infektiösen Krankheitserreger auch umweltbedingte Ursachen, wie beispielsweise Pestizide oder Schadstoffe, als mögliche Erklärung vermutet. Bis heute werden deshalb weitere, noch gründlichere Untersuchungen gefordert. Besonders brisant scheint in dem Zusammenhang: Der für die Untersuchung zuständige kanadische Gesundheitsminister John Dornan hatte Einfluss auf das ursprüngliche Untersuchungskomitee in New Brunswick.
Zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der ersten Fälle leitete der heutige Minister die regionale Gesundheitsbehörde Horizon Health Network. Laut Medienberichten war er damals daran beteiligt, den Neurologen Dr. Alier Marrero von weiteren Untersuchungen der betroffenen Patienten fernzuhalten. Dr. Marrero war es, dem die vermeintlich neue Krankheit aufgefallen war. Er verdächtigt bis heute Umweltgifte, allen voran Glyphosat, das seiner Aussage nach im Blut vieler Betroffener nachgewiesen wurde. Unabhängige Labortests, die Marrero beauftragt hatte, sollen bei mehreren Betroffenen erhöhte Glyphosat-Werte gezeigt haben. Diese Ergebnisse sind jedoch nicht Teil der offiziellen Untersuchung und wurden bislang auch nicht wissenschaftlich verifiziert.
Die ungewöhnlichen Umstände und widersprüchlichen Aussagen bieten reichlich Raum für Spekulationen – auch jenseits der wissenschaftlichen Diskussion. Nun wurde eine neue wissenschaftliche Aufarbeitung einiger der Fälle in Jama Neurology veröffentlicht, die etwas Licht ins Dunkel bringt. Obwohl in Medienberichten von bis zu 500 Betroffenen die Rede ist, wurden der Gesundheitsbehörde nur 222 Fälle gemeldet. Von diesen Fällen reagierten die meisten nicht auf die Anfrage für eine erneute unabhängige Untersuchung oder lehnten diese ab. Lediglich 14 Betroffene konnten erneut ausführlich untersucht werden. Zudem standen elf Autopsieberichte von verstorbenen Betroffenen zur Verfügung, sodass insgesamt 25 Fälle erneut analysiert werden konnten.
In allen 25 Fällen wurde eine bekannte neurologische Ursache als wahrscheinlichste Diagnose identifiziert. Die meisten Betroffenen litten an häufigen Erkrankungen wie Alzheimer, anderen Demenzformen, Parkinson, funktionellen Störungen oder posttraumatischen Syndromen. Laut den Wissenschaftlern liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine neue Krankheit handelt, selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nur ein kleiner Teil der Betroffenen untersucht wurde, bei weniger als 1:1.000.
Die Autoren gehen auch der Frage nach, warum die Spekulationen über eine vermeintlich neue Krankheit nicht abreißen. Seit der Corona-Pandemie hat das Vertrauen in offizielle Gesundheitsinstitutionen abgenommen. Das Vertrauen in einzelne Ärzte bleibt hingegen groß. Wenn also einzelne Ärzte wie Dr. Marrero eine den offiziellen Behörden entgegengesetzte Meinung vertreten, kann dies auf große Resonanz stoßen. Auffällig war, dass die meisten kontaktierten Betroffenen eine erneute, unabhängige Untersuchung ablehnten und stattdessen bei dem einen Neurologen in Behandlung blieben, der von Anfang an eine neue, mysteriöse Erkrankung als Ursache der Symptome vermutete. Auch, wenn also aus wissenschaftlicher Sicht nichts dafür spricht, dass wir es hier mit einer neuen rätselhaften neurologischen Krankheit zu tun haben, wird es vermutlich weitere Spekulationen geben.
Bendahan et al.: Clinical and Neuropathological Evaluations of the New Brunswick Neurological Syndrome of Unknown Cause. JAMA Neurol, 2025. doi: 10.1001/jamaneurol.2025.1718.
MacKinnon et al.: Advocates don’t trust N.B. health minister to do fair investigation into mystery illness. CBC News, 2025.
Donkin: New Brunswick has no mystery neurological illness, committee finds. CBC News, 2022.
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