GLP-1-Agonisten galten als Gamechanger in der Adipositastherapie – doch die Euphorie lässt nach. Welche Zahlen die Realität schreibt und wie schwer Dauer, Dosierung und Betreuung wiegen, lest ihr hier.
In den letzten Jahren haben sich GLP-1-Rezeptoragonisten sowie duale GIP/GLP-1-Rezeptoragonisten – im Volksmund auch bekannt als Abnehmspritzen – fest im Arsenal zur Behandlung von Adipositas und Diabetes etabliert. Doch eine aktuelle Kohortenstudie zeigt: In der Realität brechen viele Patienten frühzeitig ab, erhalten zu niedrige Dosen oder werden unzureichend begleitet. Der Therapieeffekt schrumpft – aber nicht auf null. Über Chancen, Grenzen und Stabilisierung nach dem Absetzen.
Steigende Verschreibungen, nicht nur in den USASemaglutid und Tirzepatid verzeichnen eine enorme Zunahme bei Verschreibungen und Umsätzen. Allein in den USA werden aktuell rund 19 Millionen Patienten damit behandelt – verordnet von über 790.000 Ärzten. Auch in Europa wächst der Markt dynamisch: 2025 beläuft sich das Marktvolumen für GLP-1- und GIP/GLP-1-basierte Medikamente in der EMEA-Region (Europa, Nahost, Afrika) bereits auf 4,17 Milliarden US-Dollar – mit einer jährlichen Wachstumsrate von rund 6 %. In deutschen Apotheken zeigt sich diese Entwicklung ganz praktisch im Beratungsalltag: Die Nachfrage nach den Injektionen nimmt deutlich zu. Seit Ende 2023 ist der duale GIP/GLP-1-Rezeptoragonist Tirzepatid auch in Deutschland zugelassen. Aufgrund der kurzen Marktverfügbarkeit liegen belastbare Versorgungszahlen allerdings noch nicht vor.
Eine der am häufigsten gestellten Fragen in der Apotheke zu diesen Medikamenten – neben den bekannten Nebenwirkungen – lautet: „Was passiert mit dem Gewicht, wenn das Medikament abgesetzt wird?“ Die aktuelle retrospektive Kohortenstudie von Gasoyan et al., veröffentlicht im Fachjournal Obesity, gibt darauf nun klare Antworten. Die Forscher untersuchten, wie sich das Körpergewicht nach dem Absetzen einer Therapie mit Semaglutid oder Tirzepatid im Versorgungsalltag entwickelt. Die Ergebnisse liefern wichtige Informationen für eine fundierte Beratung und nachhaltige Therapieplanung.
Analyseaufbau und ErkenntnisseDie Analyse basiert auf Daten von 7881 Erwachsenen mit Präadipositas (BMI ≥ 27) oder Adipositas (BMI ≥ 30) ohne diagnostizierten Typ-2-Diabetes. Alle wurden zwischen 2021 und 2023 im Rahmen der Regelversorgung des US-Gesundheitssystems mit Semaglutid oder Tirzepatid behandelt. Je nach Therapiedauer bzw. Therapieabbruch wurden die Patienten in drei Gruppen eingeteilt: frühzeitiger Abbruch (Monat 1–3), späterer Therapieabbruch (Monat 3–12) oder durchgehend therapiert.
Nach einem Jahr zeigte sich eine deutliche Abhängigkeit des Therapieerfolgs von der Behandlungsdauer: während kontinuierlich behandelte Patienten im Mittel 11,9 % ihres Körpergewichts verloren, waren es bei späteren Abbrüchen noch 6,8 % und bei frühzeitigen Abbrüchen lediglich 3,6 %. Besonders deutlich fiel der Effekt bei Tirzepatid aus: Hier betrug der mittlere Gewichtsverlust bei durchgehender Einnahme 15,3 %, bei Semaglutid 10,9 %. Auch die Dosierung hatte einen wesentlichen Einfluss: Nur ein kleiner Teil der Patienten erhielt die empfohlene Erhaltungsdosis – in dieser Gruppe wurde ein Gewichtsverlust von bis zu 18 % beobachtet, vergleichbar mit den Resultaten randomisierter Studien. Auch die glykämische Kontrolle bei Patienten mit Prädiabetes profitierte von einer durchgängigen Therapie. Während sich bei frühzeitigen Abbrüchen der HbA1c kaum veränderte, sank er bei kontinuierlicher Anwendung in absoluten Zahlen um 0,4 Prozentpunkte. Zwei Drittel dieser Patienten erreichten eine normoglykämische Stoffwechsellage – doppelt so viele wie in der Gruppe mit frühem Therapieabbruch.
Zulassungsstudie versus KohortenstudieIm Vergleich zu den Zulassungsstudien wie STEP und SURMOUNT fielen die Effekte in der Gasoyan-Studie etwas geringer aus. Die Autoren führen dies auf hohe Abbruchraten (mehr als 50 % im ersten Jahr) und vorwiegend niedrige Dosierungen zurück. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die Gewichtstrajektorien nach Therapieabbruch – anders als in randomisierten Studien – vergleichsweise stabil zeigten. Dies könnte auf begleitende Lebensstilmaßnahmen oder eine veränderte Erwartungshaltung der Patienten hinweisen.
Ein Blick auf die Zulassungsstudien zeigt, was unter optimalen Bedingungen möglich ist: In der STEP-1-Studie (Semaglutid 2,4 mg wöchentlich, 68 Wochen) verloren Teilnehmer durchschnittlich 14,9 % ihres Körpergewichts. Weitere STEP-Arme (z. B. STEP-3, STEP-5) mit verlängerter Studiendauer oder begleitender Verhaltenstherapie erreichten Werte bis zu 17,4 %. In STEP-5 wurde auch der Langzeiteffekt sichtbar: Über 104 Wochen hielt der durchschnittliche Gewichtsverlust von 15,2 % an. Die SURMOUNT-Studien mit Tirzepatid erzielten noch stärkere Effekte. In SURMOUNT-1 erreichte die höchste Dosierung (15 mg) einen durchschnittlichen Gewichtsverlust von 20,9 %, bei gleichzeitig hoher Rate an Patienten mit > 20 % Reduktion.
GLP-1-Agonisten sind effektives WerkzeugDiese Zahlen verdeutlichen, wie effektiv GLP-1- und GIP/GLP-1-Agonisten bei motivierten Patienten im Studiensetting wirken können. Die Versorgungsstudie von Gasoyan et al. hingegen erlaubt einen praxisnäheren Blick: Sie zeigt, dass ein stabiler Nettoeffekt von rund 5–6 % Gewichtsreduktion auch im Alltag erreichbar ist, sofern die Therapie ausreichend lange und konsequent durchgeführt wird. Für Ärzte und Apotheker ergeben sich daraus mehrere praxisrelevante Schlüsse: Ein Gewichtsverlust von 10 bis 15 % ist mit GLP-1-Agonisten realistisch – allerdings nur bei längerer Therapiedauer, ausreichender Dosierung und adäquater Betreuung. Nach dem Absetzen besteht wohl ein gewisser Rebound, doch ein langfristiger Stabilisierungseffekt ist möglich. Längere Therapiezeiträume von über neun Monaten sind mit einem nachhaltigeren Gewichtserhalt verbunden. Eine strukturierte Nachsorge ist für den Erfolg entscheidend.
Ergänzend sollten Verhaltenstherapie, Ernährungsumstellung und Bewegung fest in die Behandlung integriert werden. Auch eine frühzeitige Aufklärung über realistische Erwartungen und mögliche Nebenwirkungen ist wichtig, um Therapieabbrüche zu vermeiden. Versorgungsanalysen wie die von Gasoyan et al. liefern wertvolle Hinweise darauf, wie sich Studienerfolge in die reale Welt übersetzen lassen – und wo Versorgung noch weitergedacht werden muss.GLP-1- und GIP/GLP-1-Rezeptoragonisten sind keine Wundermittel, aber potente Werkzeuge im Kampf gegen Adipositas. Richtig eingesetzt und begleitet, können sie dazu beitragen, nicht nur Gewicht zu reduzieren, sondern auch langfristig zu stabilisieren – mit echten klinischen Vorteilen für die Patienten.
Bildquelle: Midjourney