Kinder mit Störungen aus dem autistischen Formenkreis können oft nur schwer gute Bindungen entwickeln. Doch mithilfe einer speziellen Intervention — der Focused Playtime Intervention (FPI) — lässt sich das Bindungsverhalten der Kinder verbessern.
Sicher gebundene Kinder empfinden Stress, wenn die Mutter den Raum verlässt, und sie reagieren mit Erleichterung, wenn sie zurückkommt. So die Kurzform der „sicheren Bindung“ aus der Bindungstheorie von John Bowlby und Mary Ainsworth aus den 1970er Jahren. Von Kindern mit Störungen aus dem autistischen Formenkreis herrscht oft das Bild vor, dass sie nur wenig oder nur unbefriedigenden Kontakt herstellen können. Doch trotz vieler Defizite im sozialen und affektiven Verhalten zeigen Kinder mit Autismus im Bindungsverhalten oft verblüffende Ähnlichkeiten mit gesunden Kindern. Studien konnten zeigen, dass auch autistische Kinder mehrheitlich Stress zeigten, wenn die Mutter abwesend war, und dass sie die Mutter nach ihrer Rückkehr gegenüber einem Fremden bevorzugten. Nach einer Metaanalyse zeigen 50 % der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen eine sichere Bindung zu ihren Bezugspersonen. Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung sind anscheinend also prinzipiell zu einer sicheren Bindung fähig. Dennoch sind die sicher gebundenen Kinder hier unterrepräsentiert. Je ausgeprägter die Störung ist und je eingeschränkter die Kinder in ihren intellektuellen Fähigkeiten sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Kind sicher bindet.
Die Bindungstheorie besagt, dass die Bindungsart das Ergebnis der bisher gesammelten Erfahrungen mit der Mutter zeigt („Mutter“ steht hier für die engste Bezugsperson, die das Kind hat). Michael Siller und Kollegen, University of California at Los Angeles, USA, wollten nun herausfinden, ob eine spezielle Intervention mit der Mutter das Bindungsverhalten des Kindes weiter verbessern kann. Mit der von ihnen entwickelten „Focused Playtime Intervention“ (FPI) konnten Siller et al. bereits zeigen, dass diese Intervention das elterliche Kommunikationsverhalten verfeinert. Wenn Eltern prompt, empathisch und angemessen reagieren, fördern sie dadurch die sichere Bindung. Um das Bindungsverhalten von Kindern zu testen, wird unter kontrollierten Bedingungen eine Trennung des Kindes von der Mutter herbeigeführt. Dieses Verfahren geht auf die Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth (1918–1999) zurück, die diese Untersuchung als „Fremde Situation“ bezeichnete. Das Kind spielt dabei mit der Mutter in einem Raum. Dann kommt ein Fremder in den Raum und die Mutter verlässt den Raum für etwa zwei Minuten. Das Verhalten des Kindes wird dabei gefilmt. Kehrt die Mutter zurück, reagieren sicher gebundene Kinder mit Erleichterung. Sie schmiegen sich an die Mutter an und lassen sich von ihr beruhigen. Solch eine Trennungssituation war auch Teil der FPI-Studie von Siller.
Weitere Messinstrumente waren unter anderem das „Autism Diagnostic Interview“ (ADI-Revised) und der „Autism Diagnostic Observation Schedule“ (ADS). Mit der „Early Social Communication Scale“ (ESCS) erfassten die Wissenschaftler das nonverbale Verhalten der Kinder wie beispielsweise das Verfolgen mit Blicken oder das Aufnehmen von Spielzeug. Die „Proximity and Contact Seeking Behaviors Scale“ (PCSB) zeigt die Intensität an, mit der ein Kind den Kontakt zur Mutter wiederherstellen möchte. Hohe Scores bedeuten, dass das Kind Initiative zeigt, niedrige Scores spiegeln wider, dass das Kind sich nicht bemüht. Die „Avoidant Behaviors Scale“ (AB) zeigt an, wie lange das Kind den Kontakt mit der Mutter nach ihrer Rückkehr vermeidet. Im „Maternal Perception of Child Attachment Questionnaire“ (MPCA) gaben die Mütter an, wie sie das Bindungsverhalten ihrer Kinder selbst wahrnahmen. An der Studie nahmen 70 Mutter-Kind-Paare teil. Die 64 Jungen und 6 Mädchen waren zwischen 2 und 6 Jahren alt und hatten alle vor Kurzem die Diagnose „Autismus-Spektrum-Störung“ erhalten. Die Teilnehmer wurden randomisiert auf zwei Gruppen: Zur Untersuchungsgruppe gehörten schließlich 36 Kinder und zur Kontrollgruppe 34 Kinder. Die Teilnehmer der Untersuchungsgruppe erhielten 12 Wochen lang je einen Termin pro Woche, bei dem die Mütter im Spiel mit ihrem Kind gefilmt wurden und dann ausführlich mit dem Psychologen darüber reflektierten. Bei der „Focused Playtime Intervention“ ging es unter anderem um folgende acht Fragen:
Ein Ziel der FPI Intervention ist es, die Fähigkeiten der Eltern zu verbessern, die Bedürfnisse der Kinder zu erfassen und sie angemessen zu erfüllen. Nach der 12-wöchigen Intervention zeigte sich, dass die Mütter der Untersuchungsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe eine deutliche Verbesserung des Bindungsverhaltens bemerkten. Die MPCA-Scores lagen signifikant über denen der Kontrollgruppe (p < 0,01). In der Interventionsgruppe stieg der MPCA-Wert von 3,06 vor der Intervention auf 3,33 nach der Intervention an (p < 0,01). In der Kontrollgruppe hingegen waren die Werte leicht rückläufig (2,93 zu Beginn und 2,89 am Ende des Erfassungszeitraums). Auch zeigten die Kinder der Kontrollgruppe am Studienende schlechtere Werte im Nähe- und Kontaktsuchverhalten (PCSB = - 3,3, < 0,01), sodass die Autoren vermuten, dass sich das Bindungsverhalten der autistischen Kinder über die Zeit verschlechtern könnte, wenn Eltern und Kinder nicht unterstützt werden. Das Gefühl der Mütter, dass ihre Kinder einen besseren Kontakt zu ihnen aufbauen, ist von großem Wert. Eine Studie von Sabrina Goodman und David Glenwick konnte zeigen, dass Mütter, die eine gute Bindung vom Kind zu ihnen wahrnahmen, weniger unter Eltern-bezogenem Stress litten. Bindungsforscher sprechen hier auch von einem „Engelskreislauf“: Ist die Mutter einfühlsam, reagiert das Kind offener und kooperativer, was wiederum zur Zufriedenheit bei der Mutter führt (Lange, 2010). Dass dieser Kreislauf bei Kindern mit Störungen aus dem autistischen Formenkreis vergleichbar funktioniert, wie bei sich normal entwickelnden Kindern, konnte diese Studie zeigen. Wichtig sei es jedoch, die wirksamen Bestandteile der Intervention noch genauer zu erfassen, um genauere Vorhersagen darüber treffen zu können, welche Kinder von der Intervention profitieren und welche nicht, so die Autoren.