„Habe ich wirklich abgeschlossen?“ Luisa muss einfach nochmal nachgucken. Zwangsstörungen zerstören Leben – wie ihr Patienten trotzdem Hoffnung machen könnt.
Jeder kennt sie: Die kleinen Angewohnheiten, die einem Sicherheit geben. Doch was, wenn diese Rituale mehr und mehr Raum einnehmen und irgendwann sogar das Leben bestimmen? Zwangsstörungen sind für viele ein unsichtbares Gefängnis – und der Ausweg scheint oft unerreichbar fern. Doch Hilfe ist möglich! Ein Fall aus der Praxis.
Luisa ist 21 Jahre alt. Sie war immer schon ordentlich, räumte gerne auf und mochte es einfach, wenn alles an seinem Platz war. Doch irgendwann wurde das Aufräumen richtiggehend zur Qual: Sie MUSSTE jeden Gegenstand immer wieder neu anordnen – perfekt, bis zur Erschöpfung. Türen und Fenster kontrollierte sie vor dem Rausgehen immer und immer wieder, bis sie ihre Wohnung fast gar nicht mehr verließ.
Luisa weiß, dass ihre Gedanken und Handlungen übertrieben sind. Doch der innere Druck ist stärker. „Wenn ich es nicht mache, fühle ich mich furchtbar schuldig, als könnte etwas Schlimmes passieren. Die Angst lässt mich einfach nicht los.“ Lange versuchte sie, ihre Zwänge zu verbergen. Sie schämte sich, zog sich mehr und mehr zurück, verlor Freunde. Erst als sie ihren Ausbildungsplatz verlor und vor Angst kaum noch schlafen konnte, suchte sie Hilfe in unserer Kinik.
Eine Zwangsstörung ist ein Krankheitsbild, bei dem die Betroffenen durch Zwangsgedanken und Zwangshandlungen sich selbst oder ihre Umgebung stark belasten.
Hierbei beschäftigen die Zwangsgedanken und -handlungen die betroffene Person stereotyp und sind fast immer quälend. Die Patienten empfinden die Zwangsgedanken und oft folgenden -handlungen als zur eigenen Person gehörig, selbst wenn sie als unwillkürlich und häufig abstoßend wahrgenommen werden. Dennoch erleben die Patienten die Gedanken oft als Vorbeugung gegen ein objektiv unwahrscheinliches Ereignis, das einen Schaden bringt oder bei dem man selbst Unheil anrichten könnte. Die Angst ist meist ständig vorhanden. Werden Zwangshandlungen unterdrückt, verstärkt sich die Angst oft deutlich.
Die Ursachen sind vielfältig: Genetische Faktoren, Veränderungen im Gehirnstoffwechsel, belastende Lebensereignisse oder Persönlichkeitsmerkmale können eine Rolle spielen. Oft beginnt der Zwang schleichend, meist schon im Jugend- und frühen Erwachsenenalter.
Zwangsstörungen sind behandelbar. Mit gezielter Verhaltenstherapie (vor allem Expositionstherapie) und auch Medikamenten (besonders SSRIs) können Betroffene ihre Zwänge lindern. Aber auch Selbsthilfegruppen und verständnisvolle Angehörige sind eine wichtige Stütze.
In den letzten Jahren wurden zunehmend neue Ansätze zur Behandlung von Zwangsstörungen untersucht. Eine kürzlich veröffentlichte Studie fand eine bessere Wirkung der Expositionstherapie, wenn diese mit transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS) kombiniert wurde. Die Forscher untersuchten 53 Probanden mit Zwangsstörung und Kontaminationssymptomatik, die per Zufall entweder einer aktiven oder einer Schein-tDCS zugeteilt wurden. Die Patienten erhielten jeweils zehn Expositionssitzungen über einen Zeitraum von insgesamt acht Wochen. Bereits nach der vierten Expositionssitzung mit tDCS zeigte sich eine signifikante Reduktion der Werte auf der Yale-Brown Obsessive-Compulsive Scale (Y-BOCS) im Vergleich zur Placebogruppe.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die gleichzeitige Anwendung von tDCS die therapeutische Wirksamkeit der Expositionstherapie bei kontaminationsbezogener Zwangsstörung signifikant erhöhen kann. Cave: Obwohl die Studie einen vielversprechenden Ansatz zur Behandlung von Zwangsstörungen aufzeigt, ist die tDCS bislang nicht als reguläres Therapieverfahren zugelassen und wird in der klinischen Praxis kaum eingesetzt. Die Anwendung erfolgt fast ausschließlich im Rahmen von Studien. Ob und wie überhaupt tDCS-Geräte außerhalb von Forschungssettings zukünftig auch Einzug in die therapeutische Praxis halten, ist derzeit nicht absehbar.
Zwangsstörungen sind eine schwere Bürde – aber sie sind behandelbar. Jeder Schritt aus dem Zwang ist ein Schritt in Richtung Freiheit. Luisa kämpft weiter, Tag für Tag. Ob und wann sie wieder ganz frei sein wird, weiß sie nicht. Aber sie weiß: Es gibt Hoffnung – und sie ist nicht allein.
Bildquelle: Lawrence Krowdeed Unsplash