In Deutschland sind aktuell ca. 22 % der Menschen älter als 65 Jahre. Doch der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung steigt stetig und wird im Jahr 2040 Prognosen zufolge rund 26 % betragen.[1] Gleichzeitig nimmt die Krankheitslast in dieser Altersgruppe zu: Geriatrische Patient:innen zeichnen sich oft durch Multimorbidität, funktionelle Einschränkungen, kognitive Beeinträchtigungen und psychosoziale Belastungen aus. Die Gesundheitsversorgung von geriatrischen Patient:innen ist daher eine große Herausforderung und ein hoher Grad an Pflege ist notwendig. Zudem erhalten sie häufig eine Polymedikation, die zu schweren Neben- und Wechselwirkungen führen kann. Eine aktuelle Studie von M. Überall und G. Müller-Schwefe hat nun gezeigt, dass durch die Therapie mit Medizinalcannabis in der Geriatrie Schmerzen gelindert und gleichzeitig die Medikamentenlast reduziert werden kann.[2],[3]
Geriatrische Patient:innen sind meist über 70 Jahre alt und haben mehrere chronische Leiden, wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes und Demenz. Hinzu können Komplikationen, Folgeerkrankungen und Symptome wie chronische Schmerzen, Schlafstörungen, Appetitverlust und Depressionen auftreten. Häufig ist eine Polymedikation notwendig, um die Multimorbidität und die komplexe Symptomatik zu behandeln.
Risiken der Polypharmazie bei geriatrischen Patient:innen
Bei einer Polymedikation nehmen Patient:innen dauerhaft fünf oder mehr Medikamente ein, wodurch starke Nebenwirkungen auftreten können. Davon sind aktuell ca. 7,6 Million Menschen ab 65 Jahren in Deutschland betroffen. Bei den 75 bis 80-jährigen nimmt sogar jeder dritte mehr als acht Medikamente pro Tag. Mindestens genauso besorgniserregend: Rund 30 Prozent der Krankenhauseinweisungen sind auf unerwünschte Ereignisse von Medikamenten zurückzuführen, meist aufgrund einer Polymedikation.[4] Zudem treten Arzneimittelwechselwirkungen und Medikationsfehler häufiger auf. Auch Stürze, Gebrechlichkeit und Funktionseinschränkungen sind mit einer Polymedikation assoziiert. [5],[6],[7]
Medizinalcannabis als Therapieoption in der Geriatrie
Medizinalcannabis wird immer häufiger in der Geriatrie verordnet, da es viele altersbedingte Symptome lindern und somit zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen kann. Die in Medizinalcannabis enthaltenen Cannabinoide Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) binden an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 des Endocannabinoidsystems (ECS), welches die physiologischen Prozesse im Körper reguliert und somit an der Aufrechterhaltung der Homöostase beteiligt ist. So können Cannabinoide auf verschiedene Prozesse, wie Schmerzwahrnehmung, Neurogenese und Immunreaktionen Einfluss nehmen.[8],[9] Daher wird Medizinalcannabis in der Geriatrie u. a. zur Behandlung von chronischen Schmerzen, bei Demenz sowie bei neuropsychatrischen Symptomen eingesetzt. [10]
Reduktion der Polypharmazie durch Medizinalcannabis
Eine aktuelle Studie von M. Überall und G. Müller-Schwefe von März 2025, präsentiert auf den deutschen Schmerz und Palliativtagen, zeigt nun, dass CBD-dominante Vollspektrumextrakte signifikant zur Reduktion der Polymedikation beitragen.[2],[3]
Studiendesign
Die retrospektive nicht-interventionelle CARE-Studie ist eine 24-wöchige Parallelgruppenstudie, welche die Wirksamkeit und Sicherheit CBD-lastiger oraler Cannabisextrakte gegenüber einer THC-Monotherapie untersuchte. Die Studienteilnehmer:innen waren ältere Patient:innen mit therapieschwierigen, chronischen Schmerzen. Jeweils 484 Patient:innen erhielten eine THC-Monotherapie bzw. eine THC:CBD-Therapie im Verhältnis 1:2,1.[2],[3]
Gute Wirksamkeit CBD-dominanter Präparate
Die Ergebnisse der Auswertung aus dem PraxisRegisters Schmerz[i] der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) zeigen, dass durch CBD-dominante Vollextrakte bei 86% der Patient:innen eine therapeutisch relevante Symptomreduktion erreicht werden konnte. Die Studienergebnisse zeigen zudem, dass das Verhältnis von THC:CBD eine große Rolle für die Wirksamkeit spielt. Die Therapie mit Cannabisextrakten die im Mittel ein THC:CBD Verhältnis von 1:2,1 aufweisen, sind einer THC-Monotherapie überlegen.
Signifikante Reduktion der Begleitmedikation durch Cannabinoide [2],[3]
Die Ergebnisse der CARE-Studie belegen, dass eine signifikante Medikamentenersparnis (86 %) nach 6-monatiger Einnahme von CBD-dominanten Vollspektrumextrakten erreicht werden konnte. Die Ersparnis bei einer THC-Monotherapie lag bei 55 %.[2],[3]
Günstiges Nebenwirkungsprofil [2],[3]
Die CBD-dominanten Vollspektrumextrakte zeigten ein günstiges Nebenwirkungsprofil. Das Auftreten von Nebenwirkungen über den Beobachtungszeitraum lag bei einer THC-Monotherapie bei 35,7 %. Die Nebenwirkungen bei Patient:innen unter einer CBD-dominanten Therapie lag bei 15,5 %.[2],[3]
Abbruchrate
Die Abbruchrate mit CBD-dominanten Cannabisextrakten betrug 14 %. Bei der Monotherapie mit THC allein brachen 44 % der Patient:innen auf Grund von Neben- oder Nicht-Wirkung die Therapie ab.[2],[3]
Fazit:
In der Gruppe der besonders vulnerablen geriatrischen Patient:innen, die sich durch multifaktorielle Symptome und Polypharmazie auszeichnen, kann Medizinalcannabis eine alternative Therapieoption darstellen. Die Daten der Studie von M. Überall konnten zeigen, dass neben der therapeutisch relevanten Wirksamkeit auch die Begleitmedikation um 86 % reduziert werden konnte, wodurch das Risiko für Wechsel- und Nebenwirkungen verringert und somit die Lebensqualität erhöht werden kann.
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Referenzen:
[1] Leitlinien-Report zur S3-Leitlinie Umfassendes Geriatrisches Assessment (Comprehensive Geriatric Assessment, CGA) bei hospitalisierten Patientinnen und PatientenV1.1 2024; https://register.awmf.org/assets/guidelines/084-003m_S3_Umfassendes-Geriatrisches-Assessment-Comprehensive-Geriatric-Assessment-CGA-bei-hospitalisierten-PatientInnen_2024-06.pdf (Zuletzt aufgerufen am 04.07.2025)
[2] M. A. Überall & G. H.H. Müller-Schwefe, Ergebnisse einer retrospektiven Parallelgruppenstudie des Praxis Register Schmerz zur Wirksamkeit und Sicherheit CBD-lastiger Cannabisextrakte vs. THC/Dronabinol bei älteren Patienten mit therapieschwierigen chronischen Schmerzen, Deutsche Schmerz-und Palliativtage 2025; Frankfurt am Main, 13.-15. März 2025
[3] Industriesymposium „Cannabinoide in der Geriatrie - Weniger vom Richtigen ist mehr!“ im Rahmen der Deutsche Schmerz- und Palliativtage, Frankfurt am Main, 13. März 2025
[4] https://www.abda.de/aktuelles-und-presse/newsroom/detail/risiken-der-polymedikation-muessen-dringend-angegangen-werden/#:~:text=Wenn%20Patienten%20dauerhaft%20viele%20verschiedene%20Medikamente%20einnehmen,zu%2030%20Prozent%20der%20Krankenhauseinweisungen%20auf%20unerw%C3%BCnschte (Zuletzt aufgerufen am 04.07.2025)
[5] Davies LE et al.: Adverse outcomes of polypharmacy in older people: systematic review of reviews. J Am Med Dir Assoc 2020; 21(2): 181-187. doi: 10.1016/j.jamda.2019.10.022.
[6] Jennings ELM et al.: In-hospital adverse drug reactions in older adults; prevalence, presentation and associated drugs-a systematic review and meta-analysis. Age Ageing 2020; 49(6): 948-58
[7] Chang TI et al.: Polypharmacy, hospitalization, and mortality risk: a nationwide cohort study. Sci Rep 2020; 10(1): 18964
[8] Castorena CM, Caron A, Michael NJ, Ahmed NI, Arnold AG, Lee J, Lee C, Limboy C, Tinajero AS, Granier M, Wang S, Horton JD, Holland WL, Lee S, Liu C, Fujikawa T, Elmquist JK. CB1Rs in VMH neurons regulate glucose homeostasis but not body weight. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2021 Jul 1;321(1):E146-E155. doi: 10.1152/ajpendo.00044.2021.
[9] Martins AM, Gomes AL, Vilas Boas I, Marto J, Ribeiro HM. Cannabis-Based Products for the Treatment of Skin Inflammatory Diseases: A Timely Review. Pharmaceuticals (Basel). 2022 Feb 9;15(2):210. doi: 10.3390/ph15020210.
[10] Bilbao A, Spanagel R. Medical cannabinoids: a pharmacology-based systematic review and meta-analysis for all relevant medical indications. BMC Med. 2022 Aug 19;20(1):259. doi: 10.1186/s12916-022-02459-1.
[i] Das Praxis Register Schmerz ist ein Netzwerk ambulanter Schmerzzentren mit einer einheitlichen Dokumentationsplattform (iDocLive®).