Patienten im Behandlungsteam, Nachwuchsförderung und KI in der Bildgebung – das und mehr gab’s auf dem DEGRO-Kongress. Was sich in Sachen Radioonkologie außerdem tut, lest ihr in unseren Top 5.
Unter dem Motto „TEAMWORK – Maßgeschneidert. Patientenzentriert. Zukunftsorientiert. Selbstbestimmt im Team“ kamen Ärzte, Physiker, medizinisch-technische Radiologieassistenten (MTRA) und erstmals auch Patienten beim 31. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) in Dresden zusammen. Was auf dem Papier wie ein weiteres Fachgruppentreffen klang, entpuppte sich vor Ort als interprofessionelles Ideenfeuerwerk – irgendwo zwischen KI-gestützter Präzision, berührenden Erfahrungsberichten und einem ziemlich gut besuchten Kaffeestand im Foyer.
Patienten hatten auf dem DEGRO-Kongress 2025 erstmals einen Platz im Programm – nicht als Randnotiz, sondern als fachlich ernst genommene Stimme. Die Diskussionen zeigten: Patienten wollen nicht nur informiert werden, sondern mitentscheiden. Klassische Studiendesigns richten sich vor allem an technischen Parametern aus – Zielvolumen, Dosis, Rezidivrate. Was dabei oft untergeht: Fragen nach Lebensqualität, Nebenwirkungen oder Alltagsbelastung. Patientenbeteiligung muss früher einsetzen; nicht erst im Aufklärungsgespräch, sondern bereits bei der Studienplanung. Auswahl relevanter Endpunkte, Risikoabwägungen oder Formulierung verständlicher Informationsmaterialien – hier kommen Patienten bisher zu kurz. Das Ziel sollte sein: Forschung als gemeinsame Co-Produktion.
Dass moderne Strahlentherapie nicht nur präziser, sondern auch personalisierter wird, zeigte die EMBRACE-II-Studie. Untersucht wurde die bildgestützte Radiochemotherapie beim fortgeschrittenen Zervixkarzinom – eine Indikation, bei der meist nicht operiert werden kann. Das Ergebnis: bessere Überlebensraten, weniger Rückfälle, geringere Nebenwirkungen. Dank adaptiver Zielvolumenanpassung konnten Sicherheitssäume deutlich reduziert und gesundes Gewebe geschont werden. Nur ein Prozent der Patientinnen entwickelte schwere Nebenwirkungen – trotz intensiver Kombination aus IMRT, Brachytherapie und Lymphknoten-Boost. Für Prof. Mechthild Krause, eine der drei Kongresspräsidentinnen, ist klar: „Das Behandlungsprotokoll sollte den neuen Behandlungsstandard für lokal fortgeschrittenen Gebärmutterhalskrebs darstellen, insbesondere bei hohem Rezidivrisiko.“
Ein weiteres zentrales Thema war die Kombination von Strahlentherapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren. Besonders im Fokus: räumlich fraktionierte Hochdosisbestrahlung, bei der das Tumorzentrum gezielt hochdosiert und die Ränder bewusst geschont werden – mit dem Ziel, Immunzellen in der Peripherie zu erhalten und systemisch zu aktivieren. Doch genau hier beginnt die Kontroverse: Was passiert mit den Lymphknoten? Ihre Mitbestrahlung galt lange als sicherheitsorientierter Standard. Neue Konzepte wie EDIC (elective dose to immune cells) stellen diese Praxis jedoch infrage. Wird durch großflächige Bestrahlung nicht auch das Immunsystem geschwächt und die Wirkung einer begleitenden Immuntherapie unterlaufen? Klar ist: Wer Strahlentherapie mit Immunmodulation kombinieren will, braucht mehr als präzise Technik – er braucht ein immunologisch durchdachtes Gesamtkonzept.
Künstliche Intelligenz ist in der Radioonkologie längst kein Zukunftsthema mehr – sie ist praktisches Werkzeug im Klinikalltag. Besonders bei der Bestrahlungsplanung und Informationsverarbeitung zeigt sich ihr Potenzial; vorausgesetzt, sie wird gezielt und reflektiert eingesetzt. Im Fokus: KI-gestützte Autokonturierung. Neue Modelle verbessern Präzision, Geschwindigkeit und Standardisierung bei der GTV-Erstellung. CTV-Leitlinien lassen sich algorithmisch übertragen, promptfähige Systeme erlauben interaktive Korrekturen, visio-linguistische Modelle verknüpfen Bild- und Texteingaben. Erste Anwendungen sind bereits klinische Realität – die nächste Generation wird sich mit Large Language Models (LLMs) verknüpfen lassen.
Vorgestellt wurde zudem eine Studie zum Einsatz von ChatGPT bei wissenschaftlichen Aufgaben. Acht Radioonkologen mit unterschiedlicher Expertise bearbeiteten klassische Fragestellungen – von Hypothesen über Studiendesign bis zur Texterstellung – mit und ohne KI-Unterstützung. Das Fazit: Sprachmodelle können strukturieren, inspirieren und beschleunigen, ersetzen aber weder wissenschaftliches Denken noch methodisches Verständnis. Entscheidend bleibt die Bewertung durch den Nutzer. Ein weiteres Beispiel war ein Chatbot auf Basis von Retrieval-Augmented Generation (RAG), der nicht frei formuliert, sondern gezielt auf geprüfte Quellen wie Leitlinien, Studien oder interne Protokolle zurückgreift. So entstehen nachvollziehbare, kontextbezogene Antworten etwa auf typische Patientenfragen im Behandlungsverlauf.
Für mich als Medizinstudent war es die zweite DEGRO-Jahrestagung – und die erste mit eigenem Poster. Mein Projekt stellte ich in der Postersession vor, gefördert durch das Club-100-Kongressstipendium, das nicht nur die Teilnahme, sondern auch gezielte Nachwuchseinbindung ermöglicht. Besonders eindrucksvoll war das Karrieresymposium der jungen DEGRO, bei dem Fachvertreter aus Medizin, medizinischer Physik, Strahlenbiologie und der MTRA ihren Weg in die Radioonkologie schilderten – praxisnah, ehrlich und motivierend. Am Samstag folgte das Studentensymposium mit fünf studentischen Vorträgen. Die Themen waren vielseitig, die Qualität hoch. Ausgezeichnet wurde Fatima Zahra Ouahmane für ihren Beitrag zur Social-Media-Landschaft in der Strahlentherapie. Für mich war das ein starkes Signal: Forschung beginnt nicht erst mit dem Doktortitel – sondern mit echter Teilhabe.
Die DEGRO 2025 war nicht nur ein Update zur Strahlentherapie, sondern zur Haltung: teamorientiert, patientennah, zukunftsbewusst. Ob KI, Immuntherapie oder Nachwuchsförderung – der Kongress zeigte, dass Fortschritt hier nicht nur technisch gedacht wird, sondern gemeinsam.
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