Ein junger Patient steht seit seinem 5. Lebensmonat auf der Transplantationsliste. Vielleicht nicht mehr lange – denn ein speziell für ihn entwickeltes Medikament könnte ihn vor der OP bewahren.
Seltene Erkrankungen sind in vielen Fällen genetisch bedingt, erste Symptome machen sich oft schon kurz nach der Geburt bemerkbar. Und oft steht die Medizin den Erkrankungen machtlos gegenüber, denn sie sind aufgrund der geringen Patientenzahlen schwer zu erforschen und die Therapiemöglichkeiten sind sehr begrenzt. Das gilt auch für den extrem seltenen genetisch bedingten Carbamoylphosphat-Synthetase-1-Mangel (CPS1-Mangel). Ein Baby mit dieser schwerwiegenden Stoffwechselstörung ist nun jedoch erfolgreich per Gentherapie behandelt worden, wie Ärzte des Children’s Hospital of Philadelphia und der Perelman School of Medicine an der University of Pennsylvania im New England Journal of Medicine berichten. Mithilfe der Genschere CRISPR/Cas entwickelte das Team binnen weniger Monate eine passgenaue Therapie.
Zum Hintergrund: CPS1 ist ein mitochondriales Enzym, das hauptsächlich in der Leber aktiv ist und im Stoffwechsel eine unverzichtbare Rolle spielt: Im Harnstoffzyklus katalysiert es die Umsetzung von Ammoniak und Hydrogencarbonat zu Carbamoylphosphat und verhindert so, dass sich freies Ammoniak im Blut anreichert. Ein angeborener CPS1-Mangel macht sich bereits kurz nach der Geburt durch Lethargie und Trinkschwäche bemerkbar und führt unbehandelt zu Koma, schwerwiegenden neurologischen Schäden und nicht selten zum Tod der betroffenen Kinder.
Die einzige Therapie besteht bislang in einer raschen Hämodialyse oder Hämofiltration, um die erhöhten Ammoniakwerte im Blut zu senken, sowie der Gabe von Natriumbenzoat oder Natriumphenylbutyrat, die die Stickstoffausscheidung unterstützen (sogenannte Stickstof-Scavenger). Auf Protein in der Nahrung muss weitgehend verzichtet werden. Als kausale Therapie kommt nur eine Lebertransplantation infrage – auf die Warteliste für einen solchen Eingriff war der kleine Junge aus Pennsylvania bereits im Alter von fünf Monaten gesetzt worden.
Noch deutlich früher, bereits wenige Tage nach der Geburt, begann jedoch die äußerst intensive und auf vielfältigen Kooperationen beruhende Arbeit an der individuellen, CRISPR-basierten Gentherapie. Noch im ersten Lebensmonat des Jungen wurde eine patientenspezifische Leberzelllinie entwickelt, zwei Monate nach der Diagnose gab es bereits ein, ebenfalls patientenspezifisches, Mausmodell. Binnen weniger Monate gelang es, einen auf den individuellen Gendefekt des Kindes zugeschnittenen Wirkstoff zu entwickeln und in Leberzellen, in Mäusen und sogar in nicht-menschlichen Primaten zu testen.
Quasi im Zeitraffer entstand so ein als k-abe bezeichnetes Medikament, das dem kleinen Patienten zweimal – im Alter von sieben und von acht Monaten – intravenös verabreicht wurde. Verpackt wurde das Therapeutikum in Lipid-Nanopartikel, die speziell für die Aufnahme in Leberzellen entwickelt wurden. Damit sollte eine Beeinflussung der Keimbahn ausgeschlossen werden. Das Team verweist hier auf frühere Versuche an Mäusen und nicht-menschlichen Primaten, bei denen keinerlei vererbbare Genveränderungen aufgetreten waren.
Die Mediziner um Kiran Musunuru berichten lediglich über eine kurze Nachbeobachtungszeit von sieben Wochen nach der zweiten k-abe-Dosis. In dieser Zeit besserte sich der Zustand des Kindes deutlich und die Menge der Stickstoff-Scavenger konnte trotz normaler proteinhaltiger Kost halbiert werden. Vor allem aber gab es keine hyperammonämischen Entgleisungen mehr – und dies, obwohl der kleine Patient zunächst mit einer Erkältung und dann mit einem Magen-Darm-Infekt zu kämpfen hatte. Solche Infekte lassen bei den betroffenen Kindern üblicherweise die Ammoniawerte in die Höhe schnellen. Selbstverständlich sei nun eine längere Nachbeobachtung notwendig, schreiben die Autoren. Dann werde sich zeigen, ob und in welchen Abständen mögliche weitere k-abe-Gaben notwendig werden. Auch haben sie bislang auf eine Leberbiopsie des Kindes verzichtet, die die genetische Korrektur direkt nachweisen könnte.
Mit einer geschätzten Inzidenz von 1:1.300.000 ist der angeborene CPS-1-Mangel sehr selten. Von der nun vorgestellten Therapie werden also nur sehr wenige Patienten profitieren. Musunuru und sein Team betonen jedoch, dass sich mit dem von ihnen etablierten Workflow auch andere individuelle Gendefekte in Leberzellen rasch adressieren lassen. Und nicht nur das: Dieses Vorgehen lasse sich prinzipiell auch an eine ganze Bandbreite anderer genetischer Erkrankungen anpassen, so die Autoren.
Bildquelle: Midjourney