Stoßwellen werden bereits auf Nierensteine und Muskeln losgelassen – könnten sie auch im Gehirn helfen? Einige Ärzte setzen bereits auf transkranielle Pulsstimulation bei Alzheimer. Wie wasserdicht ist die Studienlage?
RTL berichtete schon vor einigen Jahren: „Stoßwellen bringen Gedächtnis zurück“. Auch andere bekannte Medien wie ntv, Bild oder der Bayerische Rundfunk sprangen auf den Zug auf. Die Rede ist von der transkraniellen Pulsstimulation (TPS), die bei der Alzheimer-Behandlung zum Einsatz kommt. 2019 wurde das Stoßwellen-Gerät NEUROLITH der Schweizer Firma STORZ MEDICAL für diese Anwendung zugelassen. Seitdem erfreut sich die Methode wachsender Beliebtheit und wird in verschiedenen Arztpraxen und Kliniken angeboten.
Hr. Schmidt-Staub ist niedergelassener Neurologe und Psychiater und hat sich mit seiner Praxis in Hannover auf Neurostimulationsverfahren spezialisiert; auch die TPS wendet er regelmäßig an. Aus seiner Sicht kommt es bei mehr als der Hälfte der Fälle zu leichten Verbesserungen, besonders im Bereich der Aufmerksamkeit und Konzentration, aber auch bei Symptomen wie Ängsten und innerer Unruhe. „Im Alltag äußert sich dies häufig durch mehr Eigeninitiative, eine erhöhte soziale Teilhabe und eine insgesamt aktivere Lebensgestaltung. Patienten nehmen wieder an Gesprächen teil, erledigen alltägliche Aufgaben selbstständiger und ziehen sich weniger zurück.“
Schaut man sich die auf der Hersteller-Website aufgelisteten TPS-Behandler an, fällt auf, dass nicht nur Neurologen die Behandlung durchführen – auch von verschiedenen niedergelassenen Orthopäden wird die Behandlungsmethode zur Behandlung von Sehnenschmerzen angeboten. Daher besteht bereits Erfahrung mit der Stoßwellentherapie und sie wird in einzelnen Fällen auch auf die neurologische Alzheimer-Erkrankung übertragen. Ob solch eine fachfremde Behandlung sinnvoll ist, erscheint fraglich. Alzheimer ist schließlich eine neurologische, vielleicht auch eine psychiatrische, aber sicher keine orthopädische Erkrankung.
Auch Professor Lars Wojtecki, Chefarzt der Klinik für Neurologie in Kempen, sieht den Einsatz der TPS durch Orthopäden kritisch: „Der Grund des Einsatzes von TPS durch Orthopäden liegt in der Historie der Erfahrung von Stoßwellen am muskuloskelettalen System. Ich denke, TPS sollte ausschließlich von Neurologen und Psychiatern mit Erfahrung in der Neuromodulation im Rahmen klinischer Studien durchgeführt werden.“
Auf den Internetseiten der Anbieter wird die TPS sehr positiv beschrieben. Es sei „eine ambulante und schmerzfreie Behandlung von Alzheimer möglich – mit sehr erfolgversprechenden Ergebnissen“. Die TPS sei eine „Methode der Regenerationsmedizin, die neue Wege beschreitet und eine zukunftsweisende Therapie-Option bei neurodegenerativen Erkrankungen darstellt“.
Von der Kasse wird die Behandlung nicht übernommen, da die Wirksamkeit bisher nicht in ausreichend großen und qualitativ hochwertigen Studien nachgewiesen werden konnte. Wer die TPS-Behandlung möchte, muss also selbst zahlen. Etwa 2.000–3.000 € kostet ein Therapiezyklus, der aus 6 Behandlungssitzungen innerhalb von 2 Wochen besteht. Erste private Krankenversicherungen sollen die Kosten der Behandlung schon für ihre Versicherten übernehmen.
Prof. Wojtecki erklärt die physiologischen Grundlagen der Methode so: „Die transkranielle Pulsstimulation nutzt kurze akustische Stoßwellen, die neuronale und vaskuläre Zellmembranen mechanisch verformen. Dadurch werden mechanosensitive Ionenkanäle aktiviert und wahrscheinlich intrazelluläre Signalwege in Gang gesetzt. (...) Dieser mechanische Reiz führt zur vermehrten Ausschüttung von neurotrophen Faktoren wie BDNF und GDNF sowie gefäßaktiven Mediatoren wie VEGF und Stickstoffmonoxid. Dies begünstigt vermutlich neuronale Plastizität und die Neubildung von Gefäßen.“
Durch die zielgerichtete Anwendung der Stoßwellen sollen die behandelten Hirnareale also stimuliert werden. In Mausmodellen wurde gezeigt, dass Wachstumsfaktoren ausgeschüttet werden und die mikrovaskuläre Durchblutung verbessert wird. Bei Menschen wurde zudem nachgewiesen, dass die elektrische Hirnaktivität durch die TPS verändert wird. Durch die Stoßwellen passiert also etwas im Gehirn – aber kann das wirklich gegen Alzheimer helfen?
Bisher wurden einige kleinere Studien veröffentlicht, die die Auswirkungen der TPS bei Alzheimer-Patienten untersuchten. In diesen Studien wurde eine positive Wirkung auf verschiedene Symptombereiche wie die Gedächtnisleistung, Sprache und depressive Symptome festgestellt. Allerdings fehlte in diesen Studien eine Kontrollgruppe, sodass unklar bleibt, ob die positive Wirkung tatsächlich auf die TPS oder auf andere Effekte wie den Placebo-Effekt zurückzuführen ist. Zudem wurden in die meisten Studien jeweils weniger als 50 Patienten eingeschlossen, was ebenfalls die Aussagekraft verringert.
Der Goldstandard zum Nachweis der Wirksamkeit einer Therapie ist und bleibt die randomisiert-kontrollierte Studie. Die erste Studie dieser Art zur TPS ist kürzlich erschienen: Von 60 Alzheimer-Patienten wurde die Hälfte mit der TPS und die andere Hälfte mit einer Scheinprozedur behandelt. Beim primären Endpunkt, dem Ergebnis des CERAD-Scores, ergab sich kein signifikanter Unterschied. In der Subgruppe der unter 70-Jährigen zeigte sich zwar eine signifikante Besserung unter TPS, die Subgruppen waren aber wegen der geringen Teilnehmerzahl sehr klein.
Prof. Wojtecki sieht dennoch Potenzial für die TPS bei verschiedenen Patientengruppen: „In einer aktuellen, randomisierten, scheinkontrollierten Studie wurden signifikante Verbesserungen der exekutiven Funktionen und depressiver Symptome festgestellt – allerdings nur bei der Subgruppe der jüngeren Patienten. (...) Ältere Patientinnen und Patienten sowie fortgeschrittene Krankheitsstadien könnten laut unseren eigenen Beobachtungen ebenfalls von TPS profitieren.“
Die Erfahrungen aus der TPS-Behandlung in der Praxis passen laut Hr. Schmidt-Staub zu den Studienergebnissen: „Die Studienergebnisse decken sich dabei mit meinen Erfahrungen in der Praxis, wobei die Patienten mit weniger fortgeschrittener Alzheimer-Erkrankung besser profitieren. Dennoch konnten wir auch bei schwerer Betroffenen auf der Verhaltensebene Verbesserungen erreichen, insbesondere eine leichte Verbesserung der affektiven Stabilität.“ Die TPS solle dabei nicht isoliert betrachtet werden, sondern in ein Gesamtkonzept für eine umfassende Diagnostik und Therapie eingebettet werden.
Trotz positiver Erfahrungsberichte aus der Praxis bleibt die Datenlage dünn – Fachgesellschaften äußern sich daher weiterhin kritisch. Professor Ziemann von der Uniklinik Tübingen resümiert für die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie: „Sieht man sich die publizierten Studien im Detail an, so gibt es derzeit definitiv noch keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit der neuen Methode. Es ist daher aktuell nicht gerechtfertigt, TPS als neue effektive Therapieform der Alzheimer-Erkrankung oder anderer Erkrankungen des Gehirns anzusehen und zu bewerben.“
Die erste kontrollierte Studie liefert Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit bei jüngeren Alzheimer-Patienten – sie sollte ein Anstoß für größere, qualitativ hochwertige Untersuchungen sein. Nur so lässt sich klären, ob die durch die teils vollmundigen Werbeversprechen geweckten Hoffnungen tatsächlich gerechtfertigt sind. Bis dahin bleibt die TPS eine experimentelle Methode. Wer sich dafür entscheidet, sollte sich der unklaren Studienlage bewusst sein.
Cont et al.: Retrospective real-world pilot data on transcranial pulse stimulation in mild to severe Alzheimer's patients. Front Neurol, 2022. doi: 10.3389/fneur.2022.948204
Matt et al.: Ultrasound Neuromodulation With Transcranial Pulse Stimulation in Alzheimer Disease: A Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open, 2025. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.59170
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