Wenn sich der Vorhof in eine Flimmerkiste verwandelt, drohen Schlaganfälle, Herzinfarkte und Herzinsuffizienz. Experten plädieren für frühes Gegensteuern – und packen Smartwatches in die Leitlinie.
Armbanduhren waren einmal. Heute trägt man Computer am Handgelenk, die zum Beispiel das Herz überwachen und – eher als nettes Gimmick – auch die Zeit anzeigen. „Solche Devices werden heutzutage als wertvolles Screening-Tool anerkannt“, heißt es in der neuen S3-Leitlinie „Vorhofflimmern“. Das Werk ist eine doppelte Premiere: Sie ist die erste Leitlinie zu diesem Thema und die erste S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Glückwunsch!
Das Vorhofflimmern ist die häufigste Form anhaltender Herzrhythmusstörungen und betrifft etwa einen von 50 Menschen. Dieser Anteil wird sich in den kommenden 50 Jahren laut Prognosen verdoppeln. Zum einen, weil Alter ein wichtiger Risikofaktor ist und die Boomer dann ins beste Flimmeralter kommen und zum anderen, weil mehr Messgeräte am Handgelenk auch mehr Fälle entdecken.
Die Leitlinie sieht in frühen Diagnosen primär einen Vorteil: So kann man dem Vorhofflimmern rechtzeitig begegnen, um die Krankheit am Fortschreiten zu hindern und Thromboembolien sowie Herzinsuffizienzen zu vermeiden. Nicht zuletzt soll auch das Gesundheitswesen entlastet werden, dem durch die Behandlung des Vorhofflimmerns und seiner Folgen immense Kosten entstehen.
Aufgrund der Smartwatches und ähnlicher Geräte wird das asymptomatische Stadium „device-detected“ genannt. Obwohl die Geräte weniger als 10 % der Fälle übersehen und ebenso selten Fehlalarme auslösen, betont die Leitlinie: „Eine definitive Diagnose muss allerdings weiterhin durch ein EKG bestätigt werden.“ Für die Diagnose Vorhofflimmern ist eine EKG-Dokumentation von mindestens 30 Sekunden nötig.
Mit der Einteilung in paroxysmales, persistierendes und lang-persistierendes Vorhofflimmern sind die Autoren nicht recht glücklich, da beispielsweise die Grenze von 7 Tagen Dauer zwischen paroxysmal und persistierend eher historisch zu verstehen ist und nur wenig Einfluss auf ein Ansprechen auf die Therapie hat. Andere Klassifikationen richten sich nach der Therapie, nach hämodynamisch stabil versus instabil, asymptomatisch versus symptomatisch oder danach, ob die Anfälle getriggert werden, etwa von einer Operation. Nicht mehr verwenden soll man die Begriffe „lone atrial fibrillation“, valvuläres oder chronisches Vorhofflimmern.
Die Last durch das Vorhofflimmern, die AF-Last oder AF-Burden, ist für die Patienten umso größer, je öfter die Episoden auftreten und je länger sie jeweils andauern. Obwohl die AF-Last wohl auch mit kardiovaskulären Ereignissen korreliert, gibt es derzeit keine Empfehlung, sie routinemäßig zu erfassen.
Nach den üblichen Ratschlägen zum Lebensstil – nicht rauchen, nur mäßig Alkohol trinken und sich viel bewegen – können blutverdünnende Medikamente schon bei Patienten mit niedrigem Risiko Schlaganfällen und Herzinfarkten vorbeugen. Wie gefährdet jemand ist, lässt sich mit dem CHA2DS2-VA Score ermitteln. Ab einem Score-Wert von 2, den man geschlechtsunabhängig ohne weitere Risikofaktoren alleine mit einem Alter über 75 erreicht, wird bei bestehendem Vorhofflimmern zur Einnahme von Antikoagulanzien geraten. Die Mittel können in dieser Gruppe (2 Punkte) pro Jahr die Zahl der Schlaganfälle von 25 auf 9 je 1.000 Patienten reduzieren. Auch wenn Gerinnungshemmer die Gefahr für Blutungen erhöhen, spricht ein hohes Blutungsrisiko – etwa nach HAS-BLED-Score, der jedoch nur eine moderate Vorhersagegenauigkeit hat – meist nicht gegen die Einnahme der Medikamente. Bei einem CHA2DS2-VA Score von 1 steht die Abwägung zwischen Blutungs- und Embolierisiko hingegen mehr im Fokus.
Eine Rhythmuskontrolle, vor allem per Katheterablation, kann heutzutage bereits erwogen werden, wenn Patienten noch keine Beschwerden haben. Weitere Therapieoptionen bei Vorhofflimmern sind die elektrische oder medikamentöse Kardioversion, die AV-Knoten-Ablation mit Einsatz eines Schrittmachers sowie die chirurgische Ablation. Treten die Episoden nur gelegentlich auf, kann auch eine „pill-in-the-pocket“ Therapie sinnvoll sein, bei der Patienten das Antiarrhythmikum nur bei Bedarf schlucken. Diese Maßnahme konnte in Studien „hohe Effektivität zeigen“ und „Re-Hospitalisierungen verringern“.
Die Leitlinie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Daniel J. Schwarz, Unsplash