Eine 37-jährige Patientin hat ein triple-negatives Mammakarzinom hinter sich, die Gefahr eines Rezidivs ist hoch. Sie wagt dennoch eine Schwangerschaft, die mich als ihre Gynäkologin vor viele Fragen stellt.
Eine 37-jährige Schwangere erwartet ihr erstes Kind. Familienanamnestisch wurden bei ihrer Mutter im Alter von 45 Jahren ein Mammakarzinom und eine BRCA1-Mutation diagnostiziert. Die Patientin, die ebenfalls BRCA1-positiv ist, erkrankte vor fünf Jahren an einem Mammakarzinom rechts, das zunächst brusterhaltend operiert wurde. Histologisch handelte es sich um ein triple-negatives Mammakarzinom, demnach einen Hochrisikotumor mit hoher Rezidivrate. Es erfolgte die adjuvante Behandlung mittels Strahlen- und Chemotherapie. Die Patientin wurde engmaschig in die erweiterte Mammadiagnostik mit MRT, Mammographie und Mammasonographie eingebunden und blieb bisher rezidivfrei. Aufgrund der schwerwiegenden Diagnose und genetischer Belastung entschied sich die Patientin zur beidseitigen Mastektomie mit Wiederaufbau.
Jetzt, vier Jahre später, stellt sie sich mit 7+2 Schwangerschaftswochen (SSW) in der gynäkologischen Sprechstunde vor. Sie ist stark verunsichert, weil sie einerseits Angst vor einem Rezidiv hat und sich andererseits um die Gesundheit ihres Kindes sorgt. Besonders macht ihr der Gedanke zu schaffen, sie könnte die genetische Veranlagung weitervererbt haben. Eine psychoonkologische Anbindung wird von der Patientin deshalb gerne angenommen.
Die gynäkologische Untersuchung ist unauffällig. In der Vaginalsonographie zeigt sich eine intakte und zeitgerechte Einlingsschwangerschaft. Das rechte Ovar ist regelrecht, im linken Ovar befindet sich das nicht suspekte Corpus luteum. Die Mammasonographie ergibt ebenfalls keinen pathologischen Befund. Ich bespreche mit der Patientin alle Möglichkeiten der Diagnostik ausführlich. Sie fragt explizit nach Untersuchungen einer möglichen BRCA1-Mutation ihres Kindes, wobei eine fetale BRCA1/2-Diagnostik in Deutschland während der Schwangerschaft nicht durchgeführt wird. Das Ersttrimester-Screening mit 12+1 SSW zeigt später eine unauffällige fetale Sonoanatomie mit zeitgerechter Biometrie und kein erhöhtes Präeklampsierisiko.
Bei großer maternaler Sorge führten wir einen nichtinvasiven Pränataltest (NIPT) durch – er ergab keine Anzeichen für Trisomien 21, 13 oder 18. Auch die detaillierte Sonographie mit 21+3 SSW lässt im Verlauf keine fetalen Fehlbildungen erkennen. Aufgrund der Lebensumstände und gelegentlicher Panikattacken wünscht die Patientin eine primäre Sectio, die mit 39+0 SSW durchgeführt wird. Sie bringt ein gesundes Mädchen mit einem Geburtsgewicht von 3.650 g auf die Welt. Wochenbett und postpartale Untersuchung verlaufen komplikationslos. Die Patientin deutet an, sie mache sich Gedanken über eine Entfernung der Eierstöcke, da sie weiterhin große Angst vor einer erneuten Krebserkrankung habe und sich eine weitere Schwangerschaft nicht vorstellen könne.
Etwa 5 % aller Mammakarzinome werden bei Frauen unter 40 Jahren diagnostiziert und etwa 12 % der Tumore werden hier durch Mutationen im BRCA1- oder im BRCA2-Gen ausgelöst. Mutationsträgerinnen haben ein erhöhtes Risiko für ein Mamma- und Ovarialkarzinom.
Frauen mit einer BRCA1-Mutation erkranken bis zu ihrem 80. Lebensjahr in 72 % der Fälle an einem Mammakarzinom. Bei einer BRCA2-Mutation liegt die Rate bei 69 %. Das höhere Lebenszeitrisiko bei einer BRCA1-Mutation beruht darauf, dass die genetische Disposition um etwa zehn Jahre früher zur Erkrankung führt. Die Inzidenz steigt bis zu einem Lebensalter von 30 bis 40 Jahren an. Danach sistiert sie auf einem hohen Niveau von 20 bis 30 Neuerkrankungen auf 1.000 Personen pro Jahr. Bei Frauen mit BRCA2-Mutationen wird die höchste Inzidenz im Lebensalter zwischen 40 bis 50 Jahren erreicht. Danach ist die Rate an Neuerkrankungen wie bei Frauen mit einer BRCA1-Mutation.
Patientinnen mit einer BRCA1-Mutation, die bereits an einem Mammakarzinom erkrankt sind, haben ein Risiko von 40 %, in den nächsten 20 Jahren ein kontralaterales Mammakarzinom zu entwickeln. Bei einer BRCA2-Mutation beträgt das kumulative Risiko für die kontralaterale Brust 26 %. Die Wahrscheinlichkeit für ein Ovarialkarzinom wird für BRCA1-Trägerinnen mit 44 % und mit 17 % bei einer BRCA2-Mutation angegeben. Entscheidend ist auch die Familienanamnese: Wenn bereits zwei Verwandte ersten und zweiten Grades an einem Mammakarzinom erkrankt sind, ist das Risiko für Frauen mit BRCA1/2-Mutationen etwa doppelt so hoch wie ohne familiäre Disposition.
Eine BRCA1/2-Mutation wird autosomal dominant vererbt. Die Wahrscheinlichkeit, ebenfalls Genträger zu sein, beträgt für alle Söhne und Töchter einer betroffenen Frau damit 50 %. Möchte das Elternpaar wissen, ob ihr Kind ebenfalls betroffen ist, stellt sich die Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID), vorausgesetzt, die Schwangerschaft entsteht mittels assistierter Reproduktionstechnik (ART). Seit dem 1. Februar 2014 ist die Durchführung der PID in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Demnach ist eine PID zulässig, wenn aufgrund der genetischen Disposition der Eltern oder eines Elternteils eine schwerwiegende Erbkrankheit für das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Eine eigene Ethikkommission entscheidet im Einzelfall anhand der Schwere des klinischen Bildes, der Therapierbarkeit und der Verringerung der Lebenserwartung, ob eine Indikation zur PID vorliegt. Es gibt keinen speziellen Indikationskatalog. In den Niederlanden1 ist mittlerweile der häufigste Grund für eine PID eine genetische Disposition für Mamma- und Ovarialkarzinome, in Großbritannien2 ist die Methode ebenfalls hierfür zugelassen. Für spontan eingetretene Schwangerschaften liegen in der Literatur derzeit keine Diagnoseoptionen vor. Insgesamt stellen genetische Untersuchungen am Embryo ein medizinethisch kontrovers diskutiertes Thema dar3.
Eine internationale Multicenter-Studie unter Matteo Lambertini von der Universität Genua kam zu folgendem Ergebnis: Zwischen 2000 und 2020 wurde bei 4.732 Frauen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation vor dem 40. Lebensjahr ein invasives Mammakarzinom diagnostiziert. Davon wurden 659 Frauen (13,9 %) mindestens einmal schwanger, 79 % auf natürlichem Weg. Zwischen Krebsdiagnose und Schwangerschaftseintritt lagen im Median 3,5 Jahre. Angeborene Fehlbildungen traten bei vier Kindern auf (0,9 %), ein Wert, der auch bei Frauen dieses Alters ohne Brustkrebsanamnese zu erwarten ist.
Postpartal wurden die Frauen acht Jahre nachbeobachtet. In dieser Periode gab es beim krankheitsfreien Überleben der BRCA1-Trägerinnen keinen Unterschied zu den Frauen, die nicht schwanger waren. Bei den BRCA2-Trägerinnen war das Risiko für eine Verkürzung des krankheitsfreien Überlebens nach einer Schwangerschaft signifikant erhöht. „Die Ergebnisse sind beruhigend für BRCA1-Trägerinnen, während bei der Beratung von BRCA2-Trägerinnen etwas mehr Vorsicht geboten ist“, so Lambertini.
Frauen mit einer BRCA1/2-Mutation haben ein erhöhtes Risiko für ein Mamma- und Ovarialkarzinom. In der Schwangerschaft kommen zu den Ängsten um die eigene Gesundheit noch die um das Kind hinzu. Die krankheitsfreie Überlebenszeit wird bei BRCA1-Trägerinnen durch eine Schwangerschaft nicht beeinträchtigt, anders als bei BRCA 2-Trägerinnen. Eine erhöhte fetale Fehlbildungsrate wurde nicht beobachtet. Die Indikation für eine Präimplantationsdiagnostik stellt in Deutschland eine Ethikkommission – sie bleibt ein medizinethisch kontrovers diskutiertes Vorgehen.
Literatur:
1. Marckmann, Georg (2022): Praxisbuch Ethik in der Medizin; Praxisbuch Ethik in der Medizin - Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
2. Buyx, Alena: Leben und Sterben, Die großen Fragen ethisch entscheiden (2025); https://www.fischerverlage.de/buch/alena-buyx-leben-und-sterben-9783103975239
3. Foth et al.: Präimplantationsdiagnostik in Deutschland: Historie und Aktuelles aus der Praxis. Frauenarzt, 2022.
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