Ein Kind wird mit dem Lebendimpfstoff Varilrix® gegen Windpocken geimpft. Wenige Tage darauf stirbt es an einer Enzephalitis. Die EMA nimmt den Fall ernst – und prüft jetzt zwei gängige Impfstoffe erneut.
Obwohl es sich bisher um einen Einzelfall handelt, nimmt die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) den Vorfall sehr ernst und hat über ihren Pharmakovigilanz-Ausschuss (PRAC) eine Sicherheitsbewertung eingeleitet. Welche Impfstoffe sind betroffen? Bei den untersuchten Präparaten handelt es sich um Varilrix® und Varivax®, zwei zugelassene Varizellen-Lebendimpfstoffe, die in der gesamten EU zur Immunisierung gegen Windpocken eingesetzt werden. Beide enthalten attenuierte Varizella-Zoster-Viren und sind für Kinder ab zwölf Monaten zugelassen – in bestimmten Fällen auch ab neun Monaten.
Nach der Impfung mit dem Lebendimpfstoff wird Enzephalitis als mögliche, aber äußerst seltene Nebenwirkung neben Komplikationen wie Hautinfektionen und Lungenentzündungen erwähnt. Eine Enzephalitis als Nebenwirkung ist in der Fachinformation beider Impfstoffe also bereits heute schon aufgeführt – jedoch als sehr seltene Komplikation, die aus Spontanmeldungen nach der Zulassung stammt. Bislang lagen keine Hinweise auf ein gehäuftes Auftreten im Zusammenhang mit der Impfung vor. In der Regel verläuft eine Varizelleninfektion bei Kindern zwischen zwei und acht Jahren mild.
Nach dem polnischen Todesfall stoppte die nationale Arzneimittelbehörde vorsorglich die Verteilung der betroffenen Charge des Impfstoffs. Die EMA kündigte an, nun alle verfügbaren Daten und Verdachtsmeldungen im europäischen Kontext zu bewerten, um das tatsächliche Risiko einer impfinduzierten Enzephalitis besser einschätzen zu können. Bis zum Abschluss dieser Überprüfung sollen die Impfstoffe weiterhin gemäß den geltenden Fachinformationen verwendet werden. Das bedeutet: Es besteht aktuell kein offizieller Rückruf, keine Einschränkung der Anwendung und keine Änderung der Zulassung.
Sowohl Varilrix® als auch Varivax® gelten seit Jahren als wirksame und sichere Impfstoffe zur Prävention der Varizellen – gerade auch deshalb, weil sie schwere Verläufe verhindern können, zu denen auch die Enzephalitis selbst zählt. Der derzeit untersuchte Fall muss daher differenziert betrachtet werden: Eine Kausalität ist bislang nicht belegt, das Risiko scheint extrem niedrig zu sein.
Dennoch ist die laufende Überprüfung ein wichtiges Signal, dass die Arzneimittelsicherheit in Europa engmaschig überwacht wird. Was bedeutet das für Ärzte und Apothekenteams? Es ist nun wichtig, informiert zu bleiben, auf Rückfragen von Eltern vorbereitet zu sein und gleichzeitig die bestehenden Empfehlungen nicht voreilig infrage zu stellen. Der Nutzen der Varizellen-Impfung überwiegt weiterhin das Risiko – insbesondere im Hinblick auf den Schutz vor potenziell schwerwiegenden Krankheitsverläufen.
Der tragische Fall aus Polen erinnert uns daran, dass Impfungen – so selten es auch vorkommen mag – mit Risiken verbunden sein können. Gerade bei Lebendimpfstoffen ist ärztliche Abwägung und Überwachung essenziell. Umso wichtiger ist es, klar zwischen den Impfstoffarten zu differenzieren, wenn derzeit über neue Impfangebote in Apotheken diskutiert wird. Denn entgegen mancher Kritik: Die geplanten Erweiterungen beziehen sich ausschließlich auf Totimpfstoffe – also solche, die keine vermehrungsfähigen Erreger enthalten und ein deutlich geringeres Risikoprofil aufweisen.
In mehreren Ländern, etwa Italien oder Polen, haben Apotheken bereits bewiesen, dass sie eine sichere und niedrigschwellige Ergänzung im Impfangebot darstellen können. Studien zeigen: Impfquoten steigen, Zufriedenheit ist hoch, der Zugang wird erleichtert – vor allem für Menschen, die bislang an langen Arztwegen, vollen Wartezimmern oder eingeschränkten Öffnungszeiten scheiterten. Diese Realität lässt sich nicht ignorieren.
Dennoch stößt das Thema in Deutschland auf Widerstand – vor allem von ärztlicher Seite. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt vor einem Eingriff in die Heilkunde, pocht auf den Arztvorbehalt und zweifelt am Nutzen der Maßnahme. Dabei blendet sie aus, dass es hier weder um komplexe Impfentscheidungen noch um Erstdiagnosen geht, sondern um klar definierte Schutzimpfungen mit niedrigem Risikoprofil – also etwa gegen Grippe, COVID-19 oder FSME. All diese Impfungen gehören seit Jahren zum Alltag vieler Menschen – und könnten mit entsprechender Qualifikation auch durch Apothekenteams sicher verabreicht werden. Natürlich darf die Apotheke kein Ersatz für ärztliche Betreuung sein – das fordert auch niemand.
Vielmehr geht es um eine pragmatische Ergänzung, gerade in ländlichen Räumen oder bei überfüllten Hausarztpraxen. Dass Apotheker dazu verpflichtet werden, spezielle Schulungen zu absolvieren, zeigt, dass Sicherheit und Qualität im Zentrum stehen. Auch die digitale Anbindung an Impfregister und strukturierte Dokumentation sind bereits Bestandteil der Pläne – kein blinder Aktionismus also, sondern strukturierte Weiterentwicklung.
Klar ist: Die Einführung muss mit Augenmaß erfolgen. Nur Totimpfstoffe, klare Aufklärungspflichten, Notfallmanagement – all das muss verlässlich geregelt sein. Und: Die Apotheken brauchen dafür finanzielle und personelle Ressourcen, sonst bleibt das Projekt ein Papiertiger. Aber mit der richtigen Umsetzung können sie ein wirkungsvoller Partner im Kampf gegen Impflücken sein. Denn eine gute Impfung ist vor allem eines: verabreicht.
Grzegorczyk-Karolak et al.: Evaluation of Patient Experiences Regarding Pharmacist-Administrated Vaccination and Attitude towards Future Additional Pharmacy Services in Poland. Vaccines, 2022. https://doi.org/10.3390/vaccines10091479
Sayyed et al.: (2024). Vaccination Training for Pharmacy Undergraduates as a Compulsory Part of the Curriculum?—A Multicentric Observation. Pharmacy, 2024. 10.3390/pharmacy12010012
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