Ab dem 1. Juli 2025 geben Apotheken keine Hilfsmittel mehr an Versicherte der IKK classic ab. Nicht, weil wir nicht wollen – sondern, weil wir nicht dürfen. Warum wir Patienten jetzt wegschicken müssen.
Der Vertrag zwischen dem Deutschen Apothekerverband (DAV) und der IKK classic wurde von der Krankenkasse gekündigt. Eine Einigung? Fehlanzeige. Die Bedingungen, die die Kasse den Apotheken in Einzelverträgen anbietet, sind wirtschaftlich nicht tragbar. Das ist keine Schutzbehauptung, sondern das Ergebnis intensiver Prüfung durch die Verbände. Apotheken sollen sich auf Einzelverträge einlassen, die de facto Minusgeschäfte bedeuten – und dabei gleichzeitig die Verantwortung für eine lückenlose Versorgung übernehmen. Wir sind doch nicht blöd!
Der Preis dafür? Dass künftig Eltern mit einem frisch entlassenen Kind im Arm nicht mehr wissen, wohin, wenn sie freitagnachts ein Inhalationsgerät brauchen. Dass chronisch Kranke nicht mehr in der gewohnten Apotheke ihre Kompressionsstrümpfe angemessen bekommen. Dass unsere älteren insulinpflichtigen Diabetiker ohne Führerschein demnächst mit dem Bus zum nächsten Vertragspartner schuckeln müssen, um ihre Kanülen zu bekommen. Dass aus wohnortnaher Versorgung ein bürokratischer Spießrutenlauf wird.
Krankenkassen haben einen gesetzlichen Versorgungsauftrag. Und der umfasst mehr als das Versenden von Hilfsmitteln aus einem Zentrallager 300 Kilometer entfernt. Es geht um schnelle, niederschwellige Hilfe – auch am Wochenende, im Notdienst, für Menschen ohne Auto oder Internetaffinität.
Aber es geht auch um Vertrauen. Um die Gewissheit, dass man bei seiner Apotheke vor Ort nicht nur ein Produkt, sondern auch Rat, Anleitung und Menschlichkeit bekommt. Die Apotheken stehen seit Jahren unter ökonomischem Druck, stemmen Lieferengpässe, wanken unter Personalmangel – und sollen jetzt auch noch Dumpingpreise für die Hilfsmittelversorgung akzeptieren? Draufzahlen, um ja keine Patienten zu verprellen? Nein.
Wir sagen nicht: Es geht uns nur um den Umsatz. Wir sagen: ohne faire Vergütung keine Leistung. Punkt. Niemand erwartet, dass Ärzte kostenlos arbeiten. Auch würde niemand von einem Pflegedienst verlangen, seine Touren auf eigene Kosten zu fahren. Warum also wir? Weil wir seit Jahren schon kostenfrei Dienstleistungen übernommen haben? Wahrscheinlich sind wir in gewisser Weise auch selbst schuld, dass wir an diesem Punkt angekommen sind, aber hier sollte jetzt ein dicker Schlussstrich gezogen werden.
Sicher, Wettbewerb im Gesundheitssystem kann sinnvoll sein. Aber nur, wenn er den Menschen hilft – nicht, wenn er ihn instrumentalisiert. Eine Kasse, die sich aus der Versorgung zurückzieht, darf sich nicht hinter dem Satz verstecken: „Ihre Apotheke hätte dem Vertrag ja beitreten können.“ Nein. Versorgung ist keine Einbahnstraße. Und keine Erpressung.
Vielleicht wird sich in den ersten Wochen mancher Patient beschweren. Vielleicht wird es uns in der Apotheke treffen, wenn wir erklären müssen, dass wir nicht mehr zuständig sein dürfen. Aber dann muss die IKK classic auch erklären, warum sie sich dafür entschieden hat. Und wie sie sich eine „effiziente Versorgung“ vorstellt, die nicht mehr funktioniert, wenn’s schnell gehen muss.
Wir haben uns entschieden, nicht zu unterschreiben. Nicht aus Trotz, sondern aus Verantwortung. Für die Menschen, die wir versorgen. Für die Kollegen, die diesen Beruf mit Würde ausüben wollen. Für ein Gesundheitssystem, das diesen Namen noch verdient – auch, wenn es überall mehr krankt als gesundet.
Bitte sensibilisiert eure IKK-classic-Versicherten frühzeitig für die anstehenden Änderungen. Besonders bei chronischen Erkrankungen, Hilfsmittelverordnungen oder geplanten Entlassungen kann eine andere Kasse momentan die bessere Entscheidung sein. Zum Glück haben wir ja an die 100 gesetzliche Krankenkassen, von denen die meisten weiterhin mit den Apotheken vor Ort kooperieren. Auch das gehört zur Aufklärung – ob die IKK classic es will oder nicht. Ab sofort sollte mit den Füßen abgestimmt werden.
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