Wer im Gesundheitswesen regelmäßig mehr als 52 Stunden pro Woche schuftet, entwickelt messbare Veränderungen im Gehirn. Trotz offener Fragen zur Kausalität ist klar: Gesund ist das nicht.
In Deutschland arbeitet etwa jeder dritte Arzt regelmäßig mehr als 48 Stunden pro Woche. Die gesundheitlichen Folgen der Dauerbelastung sind seit Langem bekannt: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychische Beschwerden wie Depressionen oder Angststörungen sowie metabolische Störungen treten häufiger auf. Doch wie wirkt sich chronischer beruflicher Stress auf das Gehirn selbst aus? Dieser Frage geht eine aktuelle Pilotstudie nach, die in Occupational and Environmental Medicine veröffentlicht wurde.
Die Untersuchung stützt sich auf die südkoreanische Gachon Regional Occupational Cohort Study (GROCS). Untersucht wurden insgesamt 110 Personen, bei denen es sich überwiegend um medizinische Fachkräfte handelte. Rund ein Drittel der Teilnehmenden gab an, regelmäßig mehr als 52 Stunden pro Woche zu arbeiten. Im Verhältnis zu ihren Kollegen mit geringerer Stundenlast war die Gruppe im Durchschnitt jünger und verfügte bei einem höheren Bildungsabschluss über weniger Berufserfahrung.
Ziel der Studie war es, mithilfe moderner bildgebender Verfahren mögliche strukturelle Veränderungen im Gehirn zu erkennen, die mit langen Arbeitszeiten in Verbindung stehen könnten. Zum Einsatz kamen dabei zwei etablierte Analyseverfahren:
Die Kombination beider Methoden ermöglicht eine präzise Lokalisierung potenzieller Veränderungen in funktionell relevanten Hirnregionen – und schafft damit eine wichtige Grundlage für die Interpretation der Studienergebnisse.
Tatsächlich zeigte die Bildgebung deutliche Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen. Personen, die dauerhaft lange Arbeitszeiten hatten, wiesen signifikant größere Volumina in mehreren Hirnregionen auf – insbesondere in Bereichen, die für exekutive Funktionen und die Regulation von Emotionen zuständig sind.
Ein besonders auffälliger Befund betraf den Gyrus frontalis medius, also die mittlere Frontalwindung. Hier zeigte sich ein um 19 Prozent erhöhtes Volumen. Dieses Areal spielt eine zentrale Rolle bei der Steuerung von Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und sprachbezogener Verarbeitung. Auch der Gyrus frontalis superior, der mit Planung und Entscheidungsfindung in Verbindung gebracht wird, zeigte strukturelle Zunahmen. Darüber hinaus war die Insula betroffen – ein tief im Gehirn gelegenes Areal, das unter anderem an emotionaler Bewertung, an der Selbstwahrnehmung und an der Interpretation sozialer Signale beteiligt ist.
Insgesamt fanden die Autoren der Studie anhand der voxelbasierten Morphometrie Volumenvergrößerungen in 17 Hirnregionen. Sie deuten ihre Befunde als Hinweise auf neuroadaptive Veränderungen, also strukturelle Anpassungen des Gehirns an eine chronische berufliche Überlastung. Ob diese Veränderungen langfristig eher kompensatorisch wirken oder mit funktionellen Einbußen einhergehen, ist unklar. Diese Fragestellung soll in weiteren Studien untersucht werden.
Die Forscher weisen darauf hin, dass es sich um eine Beobachtungsstudie mit recht überschaubarer Kohorte handele. Entsprechend vorsichtig seien die Ergebnisse zu interpretieren: Kausale Zusammenhänge zwischen der Überlastung und strukturellen Hirnveränderungen ließen sich aus den Daten nicht ableiten. Auch bleibe offen, ob die beobachteten Volumenveränderungen potenziell schädliche Langzeitfolgen hätten oder ob es sich um eine kompensatorische Anpassung an chronischen Stress handele.
Trotz dieser methodischen Einschränkungen sehen die Wissenschaftler in ihren Ergebnissen einen möglichen Erklärungsansatz für kognitive und emotionale Probleme, die häufig bei überarbeiteten Personen auftreten. Sie sprechen von neuroadaptiven Reaktionen auf chronische berufliche Belastung, die sich strukturell im Gehirn abbilden könnten.
Trotz offener Fragen liefern die Forschungsergebnisse einen weiteren Grund, lange Arbeitszeiten kritisch zu hinterfragen. Schon jetzt belegen Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), dass weltweit jedes Jahr fast 800.000 Menschen an kardiovaskulären Folgen von Überarbeitung sterben. Die gesundheitlichen Auswirkungen könnten sogar weitreichender als bislang angenommen sein – zumindest lassen sich die Hinweise auf strukturelle Veränderungen im Gehirn nicht vom Tisch fegen. Besonders alarmierend ist dieser Befund für das Gesundheitswesen – eine Branche, in der lange Schichten oft als unvermeidlich gelten.
Zusammenfassung für Eilige:
Quelle:
Wonpil Jang et al.: Overwork and changes in brain structure: a pilot study. BMJ Occupational & Environmental Medicine, 2025. doi: 10.1136/oemed-2025-110057
Bildquelle: engin akyurt, Unsplash