Der aktuelle WHO-Bericht zeigt: In vielen Teilen der Erde nimmt die Anzahl antibiotikaresistenter Bakterien ein alarmierendes Ausmaß an. Während Forscher an neuen Wirkstoffen arbeiten, die Resistenzen von vornherein ausschließen sollen, schlägt die WHO Sofortmaßnahmen vor.
Die schnelle Entwicklung von Antibiotika, die vor etwa 60 Jahren begann, zählt ohne Zweifel zu den wichtigsten Errungenschaften in der Medizingeschichte. Doch weil immer wieder neue pathogene Bakterien auftreten und pathogene Bakterien immer wieder Resistenzen gegen antibiotische Medikamente ausbilden, ist der Kampf gegen bakterielle Krankheitserreger noch lange nicht ausgestanden. Denn die Pipelines der Pharmafirmen spucken immer weniger antibiotische Wirkstoffe aus, um dem Problem Herr zu werden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat nun erstmals in einem Bericht Daten zur weltweiten Verbreitung von Antibiotikaresistenzen zusammengetragen. Bei der Vorstellung des Berichts in Genf warnte Keiji Fukuda, Generaldirektor für Gesundheitssicherheit bei der WHO, vor den Folgen dieser Entwicklung: „Wenn wir jetzt nicht rasch und zielgerichtet handeln, bewegt sich die Welt in eine postantibiotische Ära, in der gewöhnliche Infektionen und kleine Verletzungen, die für Jahrzehnte behandelbar waren, wieder tödlich sein können.“
Auch das Robert Koch-Institut warnt auf seiner Internetseite: „Es gibt zahlreiche Hinweise, dass auch in Deutschland die Problematik der Antibiotikaresistenz zunimmt. Während in den letzten Jahren vor allem gram-positive Infektionserreger wie Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) und Glykopeptid-resistente Enterokokken (VRE) im Vordergrund des Interesses standen, rückt jetzt auch das zunehmende Auftreten von gram-negativen Infektionserregern, die neben anderen Antibiotikagruppen auch gegen alle ß-Laktamantibiotika resistent sind, in den Fokus.“
Platensimycin und Platencin sind erst kürzlich entdeckte, antimikrobielle Substanzen, die aus einem südafrikanischen Bodenbakterium isoliert wurden. Streptomyces platensis schützt sich vor anderen Bakterien, indem es diese antimikrobiellen Substanzen absondert. Ihre Wirkung beruht auf der Unterbrechung der lebenswichtigen Fettsäuresynthese der anderen Bakterien. Denn ohne Fettsäuren können Bakterien keine Zellwand aufbauen und sind weder vermehrungs- noch lebensfähig. Obwohl die beiden Verbindungen sich chemisch ähnlich sind, gibt es einen kleinen Unterschied in ihrer Wirkweise: Während Platensimycin nur ein Enzym (FabB/F) in der Fettsäuresythese hemmt, blockiert Platencin zwei (FabF und FabH) davon.
Beide Verbindungen sind Hoffnungsträger im Kampf gegen resistente pathogene Bakterien, denn beide Substanzen zeigten die Aktivität eines Breitbandantibioktikums, führten nicht zu Cross-Resistenzen klinisch relevanter Pathogene und waren auch in vivo ohne schwerwiegende Nebenwirkungen aktiv (Wang et al., 2006, Wang et al., 2007). Im Tierversuch hatte sich Platensimycin außerdem als wirksam gegen multiresistente Gram-positive Keime wie MRSA erwiesen, für die bisher Vancomycin das letzte Reserveantibiotikum ist. Wissenschaftler des Scripps Research Institute (TSRI) in Florida, USA, arbeiten nun daran, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Bei der Entwicklung der beiden Verbindungen zu wirksamen Antibiotika wollen sie mögliche Resistenzbildungen von vornherein ausschließen.
Augenscheinlich ist Streptomyces platensis resistent gegen sein selbst produziertes Antibiotikum. Wie ihm das gelingt, haben die Wissenschaftler nun untersucht. „Es ist wichtig, den genauen Mechanismus zu kennen, mit dem sich das Bakterium vor Platensimycin und Platencin schützt, weil es diese Resistenz auf andere Bakterien übertragen könnte“, so Tingting Huang, Erstautor der Studie, die im Fachmagazin Cell veröffentlicht wurde. Mithilfe genetischer und bioinformatischer Methoden konnten die Forscher zwei komplementäre Mechanismen entdecken, die für die Resistenz gegen Platensimycin und Platencin verantwortlich zu sein scheinen. Zwei Gene in Streptomyces platensis sorgen offenbar dafür, dass seine Fettsäuresynthese radikal vereinfacht wird und ihm so Platensimycin und Platencin nichts anhaben können. In der Fettsäurebiosynthese werden zwei wichtige Enzyme (FabH und FabF) durch ein einfaches Enzym praktisch ersetzt – ein Trick, den sich auch andere Bakterien zunutze machen könnten. Doch genau das wollen die Wissenschaftler verhindern. Studienleiter Ben Shen: „Weil wir nun den Resistenzmechanismus kennen, können wir diesen bei der Entwicklung der neuen antimikrobiellen Wirkstoffe gleich mitberücksichtigen.“ Dazu ist allerdings noch jede Menge zeitintensive Forschungsarbeit nötig.
Doch betrachtet man die Daten der WHO zur aktuellen Verbreitung antibiotikaresistenter Bakterien, fehlt schlichtweg die Zeit, um sich allein auf solche Forschungsvorhaben zu verlassen. Um Antibiotikaresistenzen entgegenzuwirken, schlägt die WHO folgende Sofortmaßnahmen vor:
Ob die von der WHO befürchtete „Post-Antibiotika-Ära“ noch aufzuhalten ist, bleibt abzuwarten.