Immer wieder eine schwierige Situation: Patienten, die keine Krankenversicherung haben. Die gute Nachricht: Es gibt Wege, damit umzugehen – nur zu wenige.
Ein junger Patient in meiner Sprechstunde fragt mich, ob ich auf seinen Namen ein Rezept für Blutdrucktabletten ausstellen könnte – seine Mutter bräuchte diese dringend und sei in Deutschland nicht krankenversichert. Eine andere Patientin gibt vor, einen grippalen Infekt zu haben und wünscht ein Antibiotikum. Sie ist fieberfrei und die orientierende körperliche Untersuchung unauffällig, sodass ich von einer Antibiose zunächst Abstand nehme – woraufhin sie mir verrät, dass sie das Medikament an ihren Bruder weitergeben wollte, der seit Tagen unter einem fieberhaften Infekt leide und hier nicht krankenversichert sei. Da stellt sich die Frage: Wie kommt es dazu, dass Menschen in Deutschland keine Krankenversicherung haben – und wie mit ihnen verfahren?
Seit 2009 gibt es eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht in Deutschland. Dennoch waren laut Statistischem Bundesamt 2019 etwa 61.000 Personen nicht krankenversichert (mit aktuelleren Ergebnissen des Mikrozensus von 2023 wird in den nächsten Monaten gerechnet). So waren zu dem Zeitpunkt rund 0,4 % der Selbstständigen und 0,8 % der Erwerbslosen betroffen. Bei der Gesamtbevölkerung lag der Anteil bei weniger als 0,1 %.
Zu den vielfältigen Ursachen zählen unter anderem fehlende Beitragszahlungen oder Obdachlosigkeit. Darüber hinaus gibt es Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus und somit auch ohne Krankenversicherung. Oder Personen vom europäischen Kontinent, die sich zwar im Rahmen des Schengenabkommens visafrei für eine begrenzte Zeit in Deutschland aufhalten können, aber keinen Zugang zur Krankenversicherung haben. So wird die Dunkelziffer der Betroffenen deutlich höher geschätzt: Experten gehen von bis zu einer Million Menschen in Deutschland aus.
In zwölf Bundesländern gibt es aktuell sogenannte Clearingstellen, die entweder vom Land oder von freigemeinnützigen Trägern organisiert und finanziert werden (Übersicht und Kontakt siehe hier). Sie dienen als Anlaufstelle für Menschen, die entweder keine Krankenversicherung haben oder ihren Versicherungsstatus nicht kennen.
Für Menschen ohne Versicherungsschutz können in den Clearingstellen sogenannte anonyme Behandlungs- oder Krankenscheine ausgestellt werden. Damit wird eine medizinische Behandlung ermöglicht. Die Stellen kooperieren häufig mit Arztpraxen, die auf Menschen ohne Versicherungsschutz und die entsprechenden Scheine eingestellt sind. Theoretisch können aber alle Praxen die Behandlungsscheine abrechnen. Ein hoher bürokratischer Aufwand ist dabei nicht zu erwarten: Es müssen nur der anonyme Behandlungsschein und eine privatärztliche Rechnung (1,0-fachen Satz der Gebührenordnung für Ärzte) bei den entsprechenden Träger- oder Clearingstellen eingereicht werden.
Da sowohl psychotherapeutische als auch ärztliche Kooperationspraxen in allen Fachbereichen gesucht werden, gibt es regelmäßige Aufrufe der jeweiligen Landesärztekammern an ihre Mitglieder. Denn viele Clearingstellen berichten zuletzt von steigenden Bedarfen an Behandlungen. So meldet beispielsweise die Stelle in Bremen eine Steigerung von knapp 20 % im Vergleich zum Vorjahr. Zur Einordnung: 2024 haben dort etwa 960 Personen das Angebot genutzt.
Ein Teil der Ratsuchenden in Clearingstellen habe grundsätzlich einen Versicherungsanspruch, fühle sich aber mit der schwierigen Rechtssituation überfordert, so Sozialmediziner Prof. Gerhard Trabert. In solchen Situationen wird dann geprüft, wer für die Übernahme der Beiträge zuständig ist, etwa Jobcenter oder Sozialamt.
Häufig ist die Sprachbarriere in den Beratungsstellen und Praxen ein Problem. Daneben können in den Clearingstellen über die Gesundheit hinausgehende Probleme wie beispielsweise Obdachlosigkeit oftmals nicht ausreichend gelöst werden. Auch besteht zwar für die Behandlung von medizinischen Notfällen in Kliniken ein Erstattungsanspruch gegenüber Sozialleistungsträgern, was allerdings mit einem hohen Verwaltungsaufwand und teilweise rechtlichen Unsicherheiten einhergeht. Elektive stationäre Behandlungen sind kaum möglich. So sei man laut einem Sprecher des Vereins „Anonymer Krankenschein Thüringen“ nur begrenzt in der Lage, stationäre Kosten zu übernehmen. Man habe dort jedes Jahr einige Behandlungen aus Kostengründen ablehnen müssen.
In den letzten Jahren gab es einen deutlichen Ausbau an Clearingstellen. In Bundesländern ohne entsprechende Angebote bieten ehrenamtlich organisierte Praxen zum Beispiel von der „Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung“ oder vom Verein „Ärzte der Welt“ mögliche Anlaufstellen. Insgesamt gibt Dr. Peter Bobbert, Präsident der Berliner Ärztekammer, als Ziel an, auf politischer Seite entsprechende Akzeptanz zu schaffen und Entscheidungen herbeizuführen. Er verzeichnet, dass das Thema in den vergangenen Jahren im Bundestag und in Anhörungen der Ausschüsse deutlich ernster genommen worden sei.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney