Kennt ihr schon KARL? So heißt die neue EU-Richtlinie, die Arzneimittelherstellern zu schaffen macht. Sie sollen die Entfernung ihrer Wirkstoffe aus dem Abwasser bezahlen. Warum das ein riesiges Problem für Ärzte werden könnte.
Bei KARL denken die meisten hier sicher an den ehemaligen Bundesgesundheitsminister. Doch dieser KARL soll unser Abwasser von Schadstoffen befreien. Hinter der Abkürzung verbirgt sich nämlich die Kommunale Abwasserrichtlinie, offiziell bekannt als Urban Waste Water Treatment Directive (UWWTD). Ziel der überarbeiteten EU-Richtlinie zur Behandlung von kommunalem Abwasser ist es, den Gewässerschutz zu verbessern, die Umweltbelastung durch Abwasser zu reduzieren und die Abwasserbehandlung nachhaltiger zu gestalten. Dazu wird eine zusätzliche vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen eingeführt. Sie soll Mikroschadstoffe wie Arzneimittelrückstände und PFAS aus dem Wasser entfernen.
Neu ist die erweiterte Herstellerverantwortung. Hersteller von Humanarzneimitteln und Kosmetika sollen stufenweise bis 2045 mindestens 80 % der Kosten für die vierte Reinigungsstufe tragen. Die Regelung soll Anreize für umweltfreundlichere Produkte schaffen. Doch ist das zu Ende gedacht? Tragen Arzneimittelhersteller pauschal Kosten dieser Größenordnung, trifft das auch lebenswichtige Medikamente, besonders Generika. Diese Präparate sind preiswert und unentbehrlich für die Versorgung von Millionen Patienten allein in Deutschland. Generische Arzneimittel werden pro Wirkstoff oft nur noch von wenigen Herstellern angeboten, die Marge ist gering. Wenn nun zusätzliche Umweltkosten kommen, könnte ein Hersteller nach dem anderen sagen: „Das lohnt sich nicht mehr.“ Dann verschwindet das Arzneimittel – nicht wegen medizinischer Bedenken, sondern wegen Umweltrecht.
Genau dieses Schicksal droht nun zum Beispiel Metformin: Der Arzneistoff wird nicht vollständig im Körper metabolisiert und in großen Mengen unverändert ausgeschieden. Er ist im Abwasser daher in hoher Konzentration nachweisbar. Die biologische Abbaubarkeit ist gering, ebenso die Eliminationsrate in herkömmlichen Kläranlagen.
Metformin ist eines der meistverordneten Arzneimittel in Europa – allein in Deutschland beziehen rund drei Millionen Patienten regelmäßig das Präparat. Da es sich um ein Generikum mit einem sehr niedrigen Preisniveau handelt, arbeiten Hersteller nahe der Wirtschaftlichkeitsgrenze. Eine Erhöhung der Produktionskosten um 445 % (wie geschätzt durch Pro Generika) kann nicht mehr kompensiert werden. Anders als bei Hochpreispräparaten gibt es jedoch keinen Spielraum für Querfinanzierung oder Preisanpassungen im Generikasegment.
KARL bedroht noch andere für die Volksgesundheit wichtige Medikamente.
Als Lösung wird gefordert, dass pharmazeutische Unternehmen nun endlich umweltverträgliche Wirkstoffe entwickeln sollen. Das klingt zunächst vernünftig. Doch nicht jeder Wirkstoff lässt sich „grün“ gestalten. Was, wenn der einzige wirksame Stoff umweltstabil ist? Und selbst wenn neue Arzneien entwickelt würden, dauert das Jahre, kostet Millionen und ist mit hohem Risiko verbunden.
Es sollen deshalb zukünftig verstärkt ethische Fragen gestellt werden: Was tun, wenn ein Mittel therapeutisch notwendig, aber ökologisch problematisch ist? Soll dann am Ende der Patient den Kürzeren ziehen und eine schlechtere oder gar keine Therapie erhalten? Darf ein Kranker leiden oder muss er gar sterben, weil ein Gesetz zu starr ist oder der Umweltschutz wichtiger ist?
Zwar will KARL umweltfreundlichere Wirkstoffe fördern – doch bislang fehlen geeignete regulatorische Anreize oder ein transparenter Bewertungsmaßstab dafür. Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe mit geringer Umweltpersistenz sind teuer. Wenn gleichzeitig die Altpräparate durch Kostenpflicht belastet werden, verschärft sich der wirtschaftliche Druck auf die Unternehmen zusätzlich.
Die Mitgliedstaaten der EU müssen die Abwasserrichtlinie bis zum 31. Juli 2027 in nationales Recht umsetzen. In Deutschland betrifft das in erster Linie die Anpassung des Wasserhaushaltsgesetzes und entsprechender Verordnungen. Der Gesetzgeber kann also noch gegensteuern und zum Beispiel mit einer differenzierenden Bewertung die ärgsten Folgen für Patienten verhindern. Das könnte wie folgt aussehen:
In Schweden gibt es bereits eine öffentlich zugängliche Umweltklassifikation für Arzneimittel; auch bei Pflanzenschutzmitteln sind solche Risikobewertungen bekannt. Weiterhin wäre ein EU-Fonds sinnvoll, der Hersteller besonders kritischer, aber unersetzlicher Arzneimittel finanziell durch Mitfinanzierung der Reinigungsmaßnahmen entlastet. Bestenfalls können als Kompromiss alle geschützt werden, die kranken Menschen und das Wasser. Denn dass Schwächere – nämlich die Kranken – am Ende den Preis für unser sauberes Wasser zahlen, kann weder richtig noch gewollt sein.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney