Ich möchte die elektronische Patientenakte ja gerne nutzen, aber es scheitert schon an den Grundlagen. Von technischen Problemen bis Unklarheiten, welche Informationen überhaupt eingepflegt werden sollen – wem ist damit geholfen?
Es ist so weit: Die EPA kommt. Grundsätzlich bin ich großer Fan von einem guten Informationsfluss zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens. Unzählige Anrufe und in Warteschleifen verbrachte Minuten, um Befunden hinterherzujagen, sind einfach verschwendete Zeit. Und ein Mangel an Information gefährdet Patienten, weil mögliche medikamentöse Interaktionen einfach nicht auffallen. Deswegen gibt es inzwischen viele Länder, die in irgendeiner Weise elektronisch Patientenakten bearbeiten. Das scheint in einigen Ländern (v. a. Skandinavien) echt gut zu klappen.
Ich habe aber den Eindruck, dass Deutschland (mal wieder) seinen eigenen Weg finden muss, anstatt andere funktionierende Systeme zu kopieren (ggf. einzukaufen). Damit also nach ca. 20 Jahren Planung endlich was Konkretes zu sehen ist, kommt jetzt die EPA mit der Brechstange – und seit Ende April sollen alle Praxen sie so weit möglich nutzen (zum Krankenhaus später mehr).
Wir hatten uns als Testpraxis beworben, konnten die EPA aber aufgrund der Entscheidung unseres PVS-Anbieters, mit nur 2–3 Praxen über mehrere Wochen zu testen, ca. 2 Wochen vor dem offiziellen Start für alle testen. Für mich war die Entscheidung des PVS-Anbieters zwar nachvollziehbar, da die ersten Wochen erst die groben Fehler ausgebügelt werden mussten. Da reichen zwei Praxen, die denselben Fehler melden und man braucht keine 20. Trotzdem war es ärgerlich, weil die Information, WANN wir endlich anfangen dürfen, nicht kam und wir uns zwar als Testpraxis beworben hatten, dann aber nichts tun konnten.
Na ja, irgendwann lief es dann. Aber irgendwie finde ich es (wieder einmal) erschreckend kompliziert. Dadurch, dass ich bereits über 10 Jahre in der Hausarztpraxis gearbeitet habe, bevor ich sie übernommen habe, reichen unsere Akten wirklich SEHR weit zurück, teilweise bis zu 25 Jahren. Das ist für viele Kleinigkeiten nicht wichtig, aber bei manchen Patienten sind diese Informationen durchaus relevant (von Schilddrüsenszintigraphie bis Mammakarzinom).
Aber diese Informationen darf ich nicht ohne weiteres in die Akte einstellen, weil ich sie nicht selbst aktuell erhoben habe. Ich muss den Patienten die Information stattdessen ausdrucken. Die Patienten bringen die Befunde dann zur Krankenkasse, die sie wiederum einstellt (2 Mal im Leben bis zu je 10 Dokumente, wenn ich das richtig gelesen habe). Macht natürlich keiner und viele unserer älteren Patienten sind auch nicht fit genug, um selbst über die App Dokumente einzustellen.
Noch lustiger wird, was ich etwas einstellen soll/darf: Wir sollen nur aktuell von uns erhobene Befunde im PDF-Format oder Arztbriefe einstellen. Das heißt für mich als Hausarzt: Da Laborwerte und EKG eben NICHT als PDF vorliegen, ist es relativ umständlich, sie einzupflegen. Arztbriefe schreibe ich selten, sondern bekomme sie meist zugeschickt. Also dachte ich, es sei eine gute Idee, den Medikationsplan als PDF einzustellen. Der soll ja auf Dauer eh mit abgelegt werden – aber diese Funktion ist erst ab nächstem Frühjahr verpflichtend. Außerdem legt unser PVS automatisch AU-Kopien in der Akte ab, was ich aber nicht patientenindividuell einstellen kann (muss ja aufpassen mit psychiatrischen Diagnosen), sondern nur für alle Patienten an oder aus.
Warum das relevant ist? Weil es für die sogenannte „Erstbeladung“ satte 11 Euro gibt, für alle weiteren nur ca. 1,80 Euro. Am Anfang dachte ich, diese „Erstbeladung“ sei deswegen so viel höher, weil man auch ältere, relevante Vorbefunde einstellt. Aber das sollen wir ja nicht (siehe oben). Ist also die eingestellte AU eine Erstbeladung? Laut der Dame von der KV, mit der ich dann telefoniert habe, ja. Später hörte ich von anderen, dass es aufgrund des Dateiformates eben KEINE Erstbeladung sei, da diese nur PDF umfasse und keine XML-Dokumente.
Stattdessen meinte die Dame, eine Medikationsverordnung sei keine Erstbeladung, auch wenn gerade darauf die allermeisten wichtigen Informationen vermerkt sind, die etwaige andere Kollegen interessieren (und auch die Informationen, die am häufigsten von Krankenhäusern oder anderen weiterbehandelnden Kollegen nachgefragt werden). Ich weiß nicht, was jetzt stimmt – ich lade so viel wie möglich rein, denn ich sehe, dass die Informationen wirklich gebraucht werden und setze die Ziffer an – mal schauen, ob sie mir wieder aberkannt wird oder nicht. Da scheint ja aktuell keiner so richtig durchzublicken ….
Fachärzte haben es da einfacher: Der Arztbrief, den sie eh nach der Behandlung für den Überweiser erstellen müssen, können sie hochladen, zack, 11 Euro extra. Ja, diese Diskrepanz ärgert mich schon – die meisten Fachärzte (Psychiater und Pädiater explizit ausgenommen!) haben eh ein höheres Honorar als wir und eine 11-Euro-Subvention für drei Klicks bei einem halbwegs guten PVS erscheint dann schon krass.
Und dann sind da noch die Krankenhäuser. Die tun sich ja schon länger schwer mit der Telematik – letztlich bekommen wir von genau einem Krankenhaus im Umfeld die Arztbriefe zumindest per E-Nachricht (E-Arztbrief geht da immer noch nicht), der ganze Rest benutzt weiterhin das Fax.
Auf meine Nachfrage, warum das so sei, meinte ein sichtlich frustrierter Chefarzt mal bei einer Fortbildung, dass es für die Kliniken schlichtweg zu teuer sei, da in verschiedenen Krankenversicherungen unterschiedliche Software-Anforderungen existieren. Da es gleichzeitig keinerlei (!) Sanktionen für nicht-teilnehmende Krankenhäuser gibt, ist natürlich der Anreiz, sich um Telematik und damit auch um die Nutzung von EPA etc. zu bemühen, nahe null. Wir fassen zusammen: teuer, kein Anreiz, keine Sanktionen.
Das heißt also, dass ich zwar versuche, die EPA zu pflegen, aber fürs Krankenhaus dann doch wieder ausdrucken oder faxen muss (und der Patient es dann selbst einscannen muss oder max. 2x bei der Krankenkasse einscannen lassen kann). Ganz ehrlich: Fortschritt hatte ich mir anders vorgestellt.
Nun ja, es bleibt hoffentlich eine Übergangsphase und in ein paar Jahren lache ich darüber – ich hoffe nur, dass sich nicht der alte Spruch bewahrheitet: „Nichts hält länger als ein Provisorium“.
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