Eine Reform der GOÄ scheint zum Greifen nah. Doch sie bleibt umstritten – Fachärzte beschweren sich, nicht mit am Verhandlungstisch sitzen zu dürfen. Klar ist bisher nur: Die Auswirkungen wären heftig.
Die neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄneu), das Herzstück der privatärztlichen Abrechnung, soll endlich überarbeitet werden. Grünes Licht kam beim 129. Deutschen Ärztetag von nahezu allen Delegierten – wohl nicht ganz ohne Druck: Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt hatte gewarnt, werde der Entwurf abgelehnt, stehe die politische Glaubwürdigkeit der Ärzteschaft auf dem Spiel. Am Status quo festzuhalten, sei auch keine Option. Doch worum geht es bei der Reform?
Mit der GOÄneu steht eine der tiefgreifendsten Reformen im privatärztlichen Abrechnungssystem seit Jahrzehnten bevor. Die bisherige GOÄ ist noch von 1996. Sie bildet viele medizinische, technologische und strukturelle Entwicklungen der letzten Jahre nicht mehr adäquat ab. Die überarbeitete Fassung verfolgt das Ziel, ärztliche Leistungen moderner, transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten – sowohl für Ärzte als auch für Patienten und Kostenträger.
Zu den wichtigsten Neuerungen zählt die vollständige Überarbeitung der Leistungsziffern. Veraltete Leistungen werden gestrichen, während neue Ziffern für moderne Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eingeführt werden. Leistungen der Telemedizin, der elektronischen Arzt-Patienten-Kommunikation sowie der Fernüberwachung medizinischer Parameter finden in der neuen GOÄ deutlich mehr Berücksichtigung. Die Honorierung der Leistungen basiert erstmals auf einer systematischen Kalkulation. Dabei fließen Faktoren wie Zeitaufwand, Qualifikationsniveau der Leistungserbringer und Praxiskosten ein.
Auch die Struktur der Gebührenziffern wird grundlegend verändert: Die neuen Ziffern sind in thematisch geordnete Leistungsgruppen eingeteilt, etwa für Anamnese, Beratung, Untersuchung oder technische Leistungen. Innerhalb dieser Gruppen ist die Systematik logisch aufgebaut, was die Orientierung im Gebührenkatalog erleichtert. Der bisher bekannte Steigerungsfaktor bleibt zwar erhalten; allerdings wird seine Anwendung künftig durch klarere Kriterien und feste Höchstsätze geregelt.
Zudem wird die ärztliche Leistung in Zukunft klarer von den Sachkosten getrennt abgerechnet. Kosten für Verbrauchsmaterialien oder technische Geräte sollen separat ausgewiesen werden, um die Transparenz gegenüber Patienten und Versicherungen zu erhöhen.
„Der Ärztetag hat […] die richtige Entscheidung getroffen“, heißt es von den Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. „Nach Jahrzehnten des Verhandelns ist das ein wirklicher Durchbruch.“ Die Bundesärztekammer habe „gute Arbeit geleistet und den Reformprozess über Jahre hinweg geduldig und transparent vorangetrieben“. Mit der neuen GOÄ würde nicht nur die Zuwendungsmedizin endlich vernünftig vergütet werden; sie würde auch für Transparenz und Rechtssicherheit sorgen.
Dr. Christof Mittmann sieht das ähnlich. „Dies ist ein Meilenstein nach über vierzig Jahren Stillstand“, lobt der Vorsitzende des Verbands der Privatärztlichen Verrechnungsstelle. Gemeinsam hätten die privaten Kostenträger und die Ärzteschaft die ihnen von der Politik übertragene Aufgabe erfüllt. „Nun muss das Bundesgesundheitsministerium als Verordnungsgeber tätig werden und die Verordnung sowie potenzielle Begleitgesetze auf den Weg bringen.“
Doch ein Großteil aller Ärzte will sich den Jubelrufen nicht anschließen – und der Widerstand wächst. Mittlerweile haben sich 42 Fachgesellschaften und Berufsverbände zur Initiative „GOÄneu – So nicht!“ zusammengeschlossen. Sie lehnen die Novellierung in ihrer jetzigen Form klar ab. Zwar betonen die Unterzeichner, dass eine Reform der GOÄ grundsätzlich notwendig sei – jedoch nicht um jeden Preis und vor allem nicht auf Kosten der ärztlichen Geschlossenheit.
Einige ihrer Kritikpunkte:
Dr. Philipp Marcel Buck, Dermatologe aus Hamburg, bestätigt: „Die neue GOÄ wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt. Mit am Tisch: der PKV-Verband, die Beihilfestellen – und ärztliche Funktionäre ohne jeden Praxisbezug. Nicht am Tisch: wir.“
Er hat exemplarisch einige alte und neue Ziffern gegenübergestellt – mit teils drastischen Differenzen von bis zu -77 %. Der Minutenwert ärztlicher Leistungen liege derzeit bei gerade einmal 1,80 Euro, schreibt Buck. Von diesem Betrag müssen Ärzte jedoch ihre gesamte Praxis finanzieren: Gehälter für das Personal, Miete, IT-Infrastruktur, Hygienevorgaben und Steuern. Nach Abzug dieser Kosten bleiben oft weniger als 50 Euro pro Stunde übrig.
Besonders problematisch ist, dass die Vergütung keinerlei Rücksicht auf die Qualifikation oder Berufserfahrung nimmt. Ein Berufsanfänger erhält für dieselbe Leistung genauso viel wie ein Facharzt mit 25 Jahren Erfahrung. Die Honorierung spiegelt somit weder den tatsächlichen Aufwand noch die Qualität der Versorgung angemessen wider. Und selbst ein vermeintlicher Honorargewinn, etwa durch zusätzliche Patientenbehandlungen, ist in der Praxis kaum realisierbar – denn die Vergütung ist gedeckelt. Mehr Geld bedeutet für niedergelassene Ärzte vor allem eines: noch mehr Arbeit.
Größtenteils müssen Ärzte mit sinkenden Honoraren rechnen, wie Buck anhand einiger Vergleiche der neuen und alten Ziffern ausgerechnet hat:
Was können Ärzte jetzt noch tun? Die Verhandlungen zwischen BÄK, PKV-Verband und Bundesgesundheitsministerium sind weit fortgeschritten. Kollegen setzen als womöglich letzte Maßnahme auf eine Online-Petition. „Wenn die GOÄneu einmal beschlossen ist, dann haben wir eine weitreichende Verschlechterung im Bereich der ambulanten Versorgung“, schreibt Fabian von Bergen, Initiator der Petition. „Diese kann für mindestens drei Jahre dann nicht mehr rückgängig gemacht werden.“ Um das Quorum zu erreichen, fehlen allerdings noch 22.000 Unterschriften.
Bildquelle: Ben Klewais, Unsplash