Eine Autoimmunenzephalitis wird in der Regel mit Immunsuppression behandelt. Die wirkt zwar oft, ist aber sehr unspezifisch – und versagt manchmal komplett. Aber keine Sorge: Neue, präzisere Therapiekandidaten warten auf ihren Auftritt.
Autoimmunenzephalitiden sind entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die durch eine fehlgeleitete Immunantwort gegen neuronale Strukturen ausgelöst werden. In vielen Fällen sind Autoantikörper nachweisbar, die entweder gegen Oberflächenproteine von Neuronen wie den NMDA-Rezeptor oder gegen intrazelluläre Zielstrukturen gerichtet sind. Die Erkrankung betrifft häufig junge Erwachsene, kann jedoch prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten.
Klinisch zeigen sich neuropsychiatrische Symptome wie kognitive Defizite, Psychosen, epileptische Anfälle oder Bewusstseinsstörungen. Ohne rasche Behandlung kann die Autoimmunenzephalitis zu bleibenden Schäden oder sogar zum Tod führen. Die frühe Diagnose und Therapie sind daher entscheidend für die Prognose der Betroffenen.
Die Behandlung der Autoimmunenzephalitis erfolgt in der Praxis meist in mehreren Stufen, abhängig vom Ansprechen auf die jeweils eingesetzten Medikamente. In der Akutphase steht zunächst die sogenannte First-Line-Therapie im Vordergrund. Diese besteht in der Regel aus hochdosierten Kortikosteroiden wie Methylprednisolon, intravenös verabreichten Immunglobulinen (IVIG) oder therapeutischer Plasmapherese. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die akute Entzündungsreaktion zu unterbrechen und Autoantikörper aus dem Kreislauf zu entfernen.
Sprechen Patienten auf diese Erstlinientherapie nicht ausreichend an, wird im nächsten Schritt eine Second-Line-Therapie mit Rituximab oder Cyclophosphamid eingeleitet. Rituximab führt als monoklonaler Antikörper gegen das CD20-Oberflächenprotein zur Depletion von B-Zellen, die für die Produktion von Autoantikörpern verantwortlich sind. Cyclophosphamid ist ein stark immunsuppressiv wirkendes Alkylierungsmittel, das insbesondere bei schweren Verläufen eingesetzt wird.
Trotz dieser Optionen gibt es eine relevante Gruppe von Patienten, die auf keine dieser Behandlungen ausreichend anspricht oder bei denen es zu Rückfällen kommt. Für diese Fälle besteht ein wachsender Bedarf an neuen, zielgerichteten Therapien, die effektiver und verträglicher sind als die bisher eingesetzten Medikamente.
In den letzten Jahren wurden verschiedene neue Therapieansätze entwickelt, die über die klassische Immunsuppression hinausgehen und gezielter in die pathologischen Prozesse eingreifen. Einige spannende neue Therapieansätze befinden sich aktuell noch in der Pipeline, könnten aber schon in den kommenden Jahren zugelassen werden.
Ein vielversprechender neuer Wirkstoff in der Behandlung therapierefraktärer Autoimmunenzephalitiden ist Bortezomib. Dabei handelt es sich um einen Proteasom-Inhibitor, der ursprünglich in der Onkologie zur Therapie des multiplen Myeloms eingesetzt wurde. Bortezomib wirkt, indem es langlebige Plasmazellen zerstört, die für die Produktion pathogener Autoantikörper verantwortlich sind. Diese Zellen werden von Rituximab nicht erreicht, da sie kein CD20 exprimieren. Bortezomib bietet daher eine zusätzliche therapeutische Option für Patientinnen und Patienten, die auf klassische B-Zell-Depletion nicht ansprechen.
In der multizentrischen deutschen Studie GENERATE-BOOST wird derzeit untersucht, ob Bortezomib in Kombination mit der Standardtherapie die Krankheitsaktivität bei schwerer Autoimmunenzephalitis senken kann. Die Studie richtet sich insbesondere an Patienten mit NMDA-, LGI1- oder GAD65-Antikörpern und unzureichendem Therapieerfolg nach Standardbehandlung.
Ein weiterer innovativer Antikörper ist Inebilizumab, ein Anti-CD19-Antikörper, der ebenfalls zur B-Zell-Depletion eingesetzt wird und bereits zur Behandlung von Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) zugelassen ist. Im Gegensatz zu Rituximab, das ausschließlich CD20-positive B-Zellen angreift, erfasst Inebilizumab auch Vorläuferzellen und einige Plasmazellen, die CD19 exprimieren. Dadurch ergibt sich eine tiefere Immunsuppression, die insbesondere bei autoantikörpervermittelten Erkrankungen von Vorteil sein kann.Die ExTINGUISH-Studie, finanziert vom National Institute of Health (NIH), untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit von Inebilizumab bei Patienten mit Anti-NMDAR-Enzephalitis. Erste erfolgversprechende Ergebnisse dieser Studie liefern wichtige Hinweise auf einen möglichen neuen Behandlungsstandard.
Ein weiterer Antikörper, der bereits bei NMOSD zugelassen wurde, ist Satralizumab. Hierbei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der an den Interleukin-6-Rezeptor bindet und so entzündliche Signalwege unterbricht. Interleukin 6 spielt eine wichtige Rolle bei der Aktivierung von B-Zellen und der Differenzierung zu antikörperproduzierenden Plasmazellen.Die CIELO-Studie untersucht den Einsatz von Satralizumab bei Patientinnen und Patienten mit Anti-NMDAR- und LGI1-Antikörpern. Ziel ist es herauszufinden, ob eine gezielte IL-6-Blockade die Krankheitsaktivität besser kontrollieren kann als unspezifische Immunsuppressiva.
Ein neuer therapeutischer Ansatz, der sich noch in einem sehr frühen Forschungsstadium befindet, wurde kürzlich an der Emory University vorgestellt. Forschende entdeckten ein Enzym mit der Bezeichnung CU43, das menschliche IgG-Antikörper so verändert, dass sie ihre pathogene Wirkung verlieren. Das Enzym entfernt gezielt Zuckerreste, die für die Bindung der Antikörper an Immunzellen notwendig sind, wodurch die entzündliche Aktivität gehemmt wird. In präklinischen Mausmodellen konnte CU43 die Symptome verschiedener IgG-vermittelter Autoimmunreaktionen deutlich lindern. Hierbei war es sogar über 4000-fach effektiver als das bereits bei Myasthenie zugelassene Efgartigimod, welches ebenfalls die Antikörpermenge beeinflusst.
Eine Anwendung bei Autoimmunenzephalitiden wurde bisher zwar noch nicht direkt untersucht, erscheint aber theoretisch vielversprechend.Da viele Formen der Autoimmunenzephalitis mit pathologischen IgG-Antikörpern einhergehen, könnte dieser Ansatz langfristig eine gezielte Möglichkeit bieten, gegen krankheitsauslösende Antikörper vorzugehen, ohne das gesamte Immunsystem zu unterdrücken.
Seit ihrer Entdeckung findet die CAAR-T-Zell-Therapie (kurz für chimärer Autoantikörper-Rezeptor) zunehmend Verwendung in der Neuroimmunologie. So wird sie etwa bei einigen schweren, therapierefraktären Verlaufsformen der Multiplen Sklerose bereits erfolgreich eingesetzt. Ein neuer Ansatz stammt aus der Forschung der Charité Berlin und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Dort wurde eine CAAR-T-Zelltherapie entwickelt, bei der patienteneigene T-Zellen gentechnisch so verändert werden, dass sie ausschließlich B-Zellen erkennen und zerstören, die krankheitsrelevante NMDA-Rezeptor-Autoantikörper produzieren.
Diese Therapie ist besonders präzise und könnte in Zukunft dazu beitragen, die NMDA-Rezeptor-Enzephalitis oder Enzephalitiden, die durch andere Autoantikörper ausgelöst werden, gezielt zu behandeln, ohne das restliche Immunsystem zu schwächen. In einem präklinischen Mausmodell konnten durch die CAAR-T-Zelltherapie die Symptome deutlich reduziert und die Autoantikörper-Spiegel gesenkt werden. Eine klinische Anwendung befindet sich aktuell in Vorbereitung.
Die neuen Therapieansätze bieten eine wichtige Erweiterung des therapeutischen Spektrums bei Autoimmunenzephalitiden. Besonders in Fällen, in denen klassische Immunsuppressiva versagen oder nicht vertragen werden, eröffnen sie neue Behandlungsoptionen. Die gezielte Wirkung auf einzelne Zellpopulationen oder proinflammatorische Signalwege könnte in Zukunft nicht nur die Prognose verbessern, sondern auch die Zahl der Rückfälle reduzieren und die Langzeitfolgen mildern.
Allerdings befinden sich viele der hier vorgestellten Substanzen noch im Stadium der klinischen Erprobung. Es ist davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren weitere Studienergebnisse veröffentlicht werden, die über die tatsächliche Wirksamkeit und Sicherheit im Langzeitverlauf Auskunft geben. Besonders die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der Anwendung, der Kombination mit anderen, bereits etablierten Therapien und dem Nebenwirkungsprofil muss dabei kritisch beleuchtet werden.
Trotz dieser Unsicherheiten ist die Richtung klar: Die Therapie der Autoimmunenzephalitis entwickelt sich zunehmend von einer breit angelegten Immunsuppression hin zu einer individualisierten, zielgerichteten Immunmodulation. Dieser Wandel verspricht nicht nur eine bessere Kontrolle der Erkrankung, sondern auch eine bessere Lebensqualität für die Betroffenen.
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