Im Labor hergestellt und getarnt als vermeintlich legales Cannabis-Präparat: So kommen synthetische Cannabinoide mit Namen wie „Görke“, „Spice“ und „Baller-Liquid“ daher. Warum ihr jeden Kunden und Patienten vor dem Konsum warnen solltet.
In Apotheken gibt es immer häufiger Fragen zu synthetischen Cannabinoiden – denn diese Substanzen sind zunehmend in Vapes und E-Liquids erhältlich. Oft sind es besorgte Eltern, die so etwas bei ihren Kindern finden und sich mit Beratungsbedarf melden. Was also steckt dahinter und welche Risiken bestehen tatsächlich für Konsumenten?
Synthetische Cannabinoide (SC) sind künstlich erzeugte chemische Verbindungen, die ähnlich wie Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), der psychoaktive Hauptwirkstoff des Cannabis, auf die Cannabinoid-Rezeptoren (CBR) wirken. Im Unterschied zu THC, einem partiellen Agonisten, fungieren viele synthetische Cannabinoide jedoch als Vollagonisten und besitzen zudem eine deutlich höhere Affinität zu diesen Rezeptoren. Dies führt dazu, dass ihre Wirkung oft stärker, intensiver und gefährlicher ist.
Bekannte Szenenamen solcher Produkte sind „Spice“, „K2“, „Black Mamba“ oder neuerdings auch „Görke“ und „Baller-Liquid“. Anfangs wurden SC überwiegend in Kräutermischungen verkauft, mittlerweile finden sie sich aber zunehmend in Vapes und E-Liquids, was insbesondere bei jungen Konsumenten den Eindruck einer harmlosen, legalen Alternative zu Cannabis erzeugen kann.
Die größte Gefahr der SC liegt in ihrer unvorhersehbaren Zusammensetzung und Potenz. Produkte wie „Görke“ oder „Baller-Liquid“ enthalten häufig völlig unbekannte Mischungen verschiedener SC, deren Konzentrationen stark schwanken und kaum überprüfbar sind. Dies erhöht das Risiko für akute Überdosierungen erheblich.
Zu den häufigsten akuten gesundheitlichen Folgen zählen
Schwerwiegendere Komplikationen umfassen aber auch Schlaganfälle, Herzinfarkte, akutes Nierenversagen und Atemdepressionen. Auch Todesfälle durch SC-Konsum sind gut dokumentiert: Eine retrospektive Untersuchung in München registrierte zwischen 2014 und 2020 mindestens 98 Todesfälle, bei denen SC involviert waren. In über der Hälfte dieser Fälle waren synthetische Cannabinoide die Hauptursache des Todes.
Chronischer SC-Konsum führt zudem zu langfristigen Schäden wie kognitiven Beeinträchtigungen, psychischen Erkrankungen und schweren Abhängigkeitssymptomen. Entzugssymptome können heftig ausfallen und beinhalten unter anderem Unruhe, Kopfschmerzen, Übelkeit und Albträume.
SC werden hauptsächlich über Cytochrom-P450-Enzyme (CYP3A4, CYP2C9, CYP2C19) in der Leber abgebaut – dieselben Enzyme, die auch zahlreiche gängige Medikamente verstoffwechseln. Durch Hemmung oder Aktivierung dieser Enzyme können SC zu erhöhten oder verminderten Wirkstoffspiegeln anderer Medikamente führen. Besonders betroffen sind Arzneimittel mit engem therapeutischem Fenster wie Antikoagulanzien (z. B. Warfarin), Immunsuppressiva (z. B. Tacrolimus, Sirolimus) und Antiepileptika (z. B. Valproat).
Die gleichzeitige Einnahme von SC und zentral dämpfenden Medikamenten wie Benzodiazepinen oder Opioiden kann zu verstärkter Sedierung, Atemdepression und sogar Koma führen. Zudem sind Wechselwirkungen mit Medikamenten, die das Herz-Kreislauf-System beeinflussen (z. B. Sympathomimetika, Anticholinergika), gefährlich, da sie Tachykardien, Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen hervorrufen können. Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen oder Substanzgebrauchsstörungen sind hierbei besonders gefährdet. Daher ist eine offene Kommunikation zwischen Patienten und medizinischem Fachpersonal über den Konsum von synthetischen Cannabinoiden essenziell.
Für Ärzte und Apotheker liegt die Schwierigkeit im Umgang mit SC darin, dass weder das medizinische Personal noch die Patienten selbst oft genau wissen, welche Substanzen konsumiert wurden. SC werden meist unter der Deklaration „nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt“ verkauft, um gesetzliche Regelungen zu umgehen. Gerade im Notfall erschwert diese fehlende Information eine adäquate Behandlung erheblich.
In Deutschland versucht man seit 2016, dem Aufkommen neuer synthetischer Substanzen entgegenzuwirken. Das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) reguliert definierte Kernstrukturen und Seitenketten von SC. Trotz regelmäßiger Aktualisierungen des NpSG gelingt es Chemikern in illegalen Labors, ständig neue Substanzen zu synthetisieren, die nicht unmittelbar verboten sind. Experten kritisieren daher zunehmend, dass das Gesetz sein Ziel verfehlt habe, die Verbreitung neuer psychoaktiver Substanzen effektiv einzudämmen.
Aktuelle Beispiele für SC, die häufig in toxikologischen Untersuchungen auftauchen, tragen komplizierte Namen wie 4F-ABUTINACA, ADB-HEXINACA oder 5F-MDMB-PICA. Diese Substanzen zeigen, dass die chemische Vielfalt enorm ist – bisher wurden auf dem europäischen Markt bereits über 200 unterschiedliche SC identifiziert.
Ein zentraler Aspekt für Ärzte und Apotheker ist neben der Notfallbehandlung vor allem die Prävention. Patienten, insbesondere Jugendliche, sollten über die erheblichen Risiken aufgeklärt werden, die mit SC verbunden sind. Dazu gehört die Information, dass es keine sicheren SC-Produkte gibt, sondern dass jedes einzelne potenziell lebensbedrohliche Wirkungen entfalten kann. Apotheken können dabei eine entscheidende Rolle einnehmen, indem sie sachlich und wissenschaftlich fundierte Informationen zur Verfügung stellen und so einen Beitrag zur Risikominderung leisten. Die Zusammenarbeit mit Schulen, Behörden und Präventionsstellen ist hierbei ebenso sinnvoll wie wichtig.
SC sind hochgefährliche Substanzen, deren Missbrauch schwerwiegende gesundheitliche Folgen bis hin zum Tod haben kann. Ihre ständig wechselnde chemische Struktur macht eine rechtliche Kontrolle schwierig. Apotheker und Ärzte stehen daher in der Pflicht, Patienten intensiv aufzuklären und bei Vergiftungsfällen fachgerecht zu reagieren. Die Risiken, die von SC ausgehen, müssen klar kommuniziert werden, um präventiv wirken zu können – Patienten und Kunden sollten ausdrücklich vor dem Konsum gewarnt werden.
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