Pflanzlichen Arzneimitteln eilt der Ruf voraus, weniger chemische Inhaltsstoffe zu haben. Damit verbinden viele die Vorstellung, dass sie auch gesünder oder harmlos sind. Zeit, mit diesem Mythos aufzuräumen.
Nach „etwas Pflanzlichem“ in der Apotheke zu fragen, weil man etwas ohne Chemie möchte, macht keinen Sinn. Pflanzliche Arzneimittel enthalten viel mehr Chemie als nicht pflanzliche Arzneimittel. Alles ist Chemie. Nichts ist keine Chemie.
Der Wirkstoff eines bestimmten Arzneimittels ist meist nur eine einzige Substanz. Zum Beispiel Acetylsalicylsäure: Ein Molekül, das im Labor synthetisiert wurde. Ein pflanzliches Arzneimittel hingegen besteht meist aus dem Auszug einer oder mehrerer Pflanzen.
Nehmen wir als Beispiel den Baldrian. Die Baldrianwurzel wird mit 70%igem Ethanol extrahiert. Das heißt, man nimmt die Baldrianwurzel, legt sie in Ethanol (Alkohol) ein und der Ethanol löst alle chemischen Verbindungen aus dem Baldrian, die in Ethanol löslich sind – und das sind einige. Viele verschiedene Moleküle, die von der Pflanze synthetisiert wurden.
Möchte man daraus keine Tropfen und auch keinen Saft herstellen, wird diese Lösung eingedampft – heißt, man entfernt das Lösungsmittel. Dadurch bleiben dann lediglich die herausgelösten Stoffe zurück. Um bei unserem Beispiel Baldrian zu bleiben: Baldrianöl, Iridoide, Flavonoide, Alkaloide, Sesquiterpene und Fettsäuren. Ganz schön viel Chemie für jemanden, der eigentlich dachte, etwas Pflanzliches zu bekommen heiße, dass darin keine Chemie enthalten sei.
Würde man stattdessen Baldrian wie einen Tee aufgießen, ist das Lösungsmittel Wasser und man würde nur die wasserlöslichen Substanzen aus dem Baldrian lösen. Es macht also einen Unterschied, ob man Baldrian als Aufguss trinkt oder einen ethanolischen Trockenextrakt zu sich nimmt.
Ich frage mich immer wieder, warum manche denken, dass es die Aufgabe einer Pflanze sei, für den Menschen eine Arznei zu liefern. Warum sollten Pflanzen daran ein Interesse haben? Warum sollte etwas Pflanzliches besser für den Menschen sein als etwas aus dem Labor?
Und wenn Pflanzen so harmlos sind, was ist mit Tabak, Schlafmohn, Fingerhut und allen anderen giftigen Pflanzen? Sind die auch harmlos und völlig ungefährlich? Nein! Zumindest nicht in hohen Dosen. Denn auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift.
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