Gestern hielt die neue Gesundheitsministerin Nina Warken die erste Regierungserklärung für ihr Ressort. Ihre zentralen Punkte – und was die Opposition davon hält.
Der Gesundheitsbereich ist ein bedeutender Wirtschaftssektor in Deutschland – vergleichbar mit dem gern genannten Vorzeigezweig Automobilwirtschaft. Dazu sei er – im Gegensatz zu allen anderen Bereichen – wesentlich unmittelbarer für die Menschen. Eben deshalb müsse man die Menschen in den Blick nehmen, die diesen ausmachen, stabile Arbeitsbedingungen schaffen, mehr zuhören, wie effektiv gestaltet werden kann und welche Hürden überwunden werden müssten.
Mit diesen Kernanliegen hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken gestern ihre erste Regierungserklärung gestartet – eine auf doppelte Weise bemerkenswerte Rede, wenn man gleichzeitig den Koalitionsvertrag im Hinterkopf hat. Zum einen schafft sie den Brückenschlag zu anderen Wirtschaftssektoren und setzt mit entsprechender Gewichtung das Gesundheitswesen gegen der Deutschen liebstes Produkt: das Auto. So schafft sie gleich zu Beginn eine Bedeutungsebene, die auch denjenigen klar macht worum es geht, die weder in Wahlkampf noch Antrittsreden lange auf Gesundheitspolitik eingingen. Möglichweise von Vorteil angesichts mangelnder Popularität unter Politikern für das Thema.
Zum anderen streckt sie zum Amtsantritt die Hand an Selbstverwaltung und Praktiker aus. Der explizite Fokus auf die Beschäftigten des Gesundheitswesens war im Koalitionsvertrag noch vielfach vermisst worden – scheint nun aber nachgeholt. Insbesondere die ihr vorgeworfene Fachfremde scheint sich dabei auszuzahlen und führt weniger zu selbstgerecht-politischen Politik von oben als zum Diskurs mit Ärzten, Pflegern, Apothekern und Co.
Besondere Gesprächsbereitschaft besteht indes mit der Industrie. Hier soll ein neuer Pharmadialog aufgesetzt werden, „um Gesundheitswirtschaft, Medizintechnik und Pharmaindustrie als Leitindustrie zu stärken.“
Der fachliche Teil und die Schwerpunkte ihrer Arbeit knüpften nun in Teilen bei dem aus der Hüfte geschossene Koalitionsvertrag an. So möchte die 46-Jährige an die in Umsetzung und Planung befindlichen Reformen der Vorgängerregierung anknüpfen, also „die nötigen und tiefgreifenden Strukturreformen […] gemeinsam fortsetzen und weiterentwickeln.“ Details, Ideen und Zeitpunkte zur Umsetzung, eigene Kritikpunkte? Fehlanzeige. Ebenso keine Antworten auf Fragen, wie man beispielsweise gleichzeitig Vertrauen aufbauen möchte, gleichzeitig über einen „Fairnessausgleich“ Ärzten einen Abschlag vom Honorar verkaufen und Fachärzte nur in unterversorgten Gebieten entbudgetieren möchte.
Und man wäre nicht in der Politik, wenn es nicht sofort schon Geschenke und Versprechen geben würde. Für die Kassen im Angebot: Die Überarbeitung des Transformationsfonds sowie die Finanzierung dessen aus dem Sondervermögen Infrastruktur. Auch klang es danach, dass die GKVen sich Hoffnung auf ein Vorschaltegesetz machen könnten, denn „ohne kurzfristige Maßnahmen wird es nicht gehen“. Ergänzt werden sollen diese durch langfristige Planungen, die aus den Ergebnissen einer neuen Kommission erarbeitet werden.
Ähnliche kurzfristige Finanzunterstützung darf man in der Pflege erhoffen. Die „Mammutaufgabe“ wolle die Ministerin „mehrgleisig“ angehen – mit kurz-, mittel- und langfristiger Hilfe. Insbesondere die perspektivische Arbeit soll auch hier von den Ideen einer eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe kommen.
Positiv gestimmt dürften zudem die Apotheken sein, denen die Ministerin eine tragende Rolle für das Vertrauen ins System zukommen lässt. So möchte sie insbesondere die „Vor-Ort-Apotheken im ländlichen Raum stützen“, „damit die Medikamente auch bei den Menschen ankommen.“
Während die Ministerin und ihr Plan in den Plädoyers der Nachredner von SPD und CDU naturgemäß verteidigt wurden, gab es von den Oppositionsparteien verhalten bis konkrete Kritik. Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen mahnte beispielsweise zu Geschwindigkeit und keiner verhaltenen Warteposition mit der Hoffnung auf Kommissionsergebnisse in 2027. „Warten Sie nicht auf Kommissionen, handeln Sie jetzt mutig“, so der Grüne.
Dabei verwies der Arzt auch auf die Wirtschaftlichkeit schneller Umsetzungen: „Mit einer umgesetzten Notfallreform könnten beispielsweise bis zu 3 Milliarden Euro jährlich eingespart werden.“ Politiker der Linken gaben ihrem Misstrauen an den Plänen Ausdruck und machten – teils in Dress von Pflege- und Krankenhauspersonal – klar, dass es konkreter Ideen bräuchte: Eine 35-Stunden-Woche, vorgeschriebene Pause- und Erholungszeiten. „Gesundheit ist keine Ware und wir als Personal sind kein Kostenfaktor, wir sind das Rückgrat der Versorgung“, erklärte Julia Stange (Die Linke).
Die Redner der AfD arbeiteten sich nahezu ausschließlich an der Regierung ab, die sie als „extremistisch“ diffamierte, weil sie nichts dagegen täte, dass Ärzte in letzter Konsequenz auch abwandern. Ebenso wenig konstruktiv war der Vergleich von Facharztterminen mit Bananen in der DDR oder die „echte Lösung“, dass man Vollversorgung nur für deutsche Staatsbürger anbieten dürfe.
Ob es mit der Neuen im Kabinett nun extra lange dauert, weil Kommissionen, Arbeitsgruppen und Austausch mit allen Seiten weite Kreise und Extrarunden ziehen oder ob man damit zu praxisorientierten (und damit schnellen) Ergebnissen kommt, dürften bereits die kommenden Wochen und Monate zeigen.
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