Es ist eine tragische Entscheidung, die die Familie Sievers bis heute nicht fassen kann: Die Organe ihres verunglückten Sohnes Kian durften nicht gespendet werden – obwohl die Eltern dem ausdrücklich zugestimmt hatten. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) berichtet in ihrer Ausgabe vom 4. Mai 2025 über einen Fall, der sowohl medizinisch als auch juristisch hohe Wellen schlägt.
Der 16-jährige Kian Sievers kollidiert am 3. Dezember 2024 bei einer Probefahrt mit seinem neuen Moped im nordrhein-westfälischen Erwitte frontal mit einem abbiegenden Auto. Trotz Helm erleidet der Jugendliche ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Nach tagelangem Koma stirbt er schließlich im Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld. Seine Eltern stimmen einer Organspende zu – doch die Staatsanwaltschaft Paderborn beschlagnahmt den Leichnam zur Obduktion. Die Spende wird verhindert.
Wie die FAS weiter berichtet, wurde den Eltern von der Staatsanwaltschaft keine Begründung für die Entscheidung mitgeteilt. Eine Kontaktaufnahme mit der Familie sei nicht erfolgt. Oberstaatsanwalt Thomas Heinz erklärte gegenüber der Zeitung, die Obduktion sei notwendig gewesen, um mögliche andere Todesursachen auszuschließen. Hinweise auf ein ärztliches Fehlverhalten hätten sich bislang aber nicht ergeben. Warum genau eine Organspende ausgeschlossen wurde, wurde nicht konkret erläutert. Der Staatsanwalt verweist auf „medizinisch-sachliche Gründe“.
Daran werden von Experten wie etwa dem Rechtsmediziner Peter Neis deutliche Zweifel geäußert. Der erfahrene Facharzt, der auf Anfrage der FAS Einsicht in den medizinischen Abschlussbericht erhielt, hält die Entscheidung der Staatsanwaltschaft für nicht nachvollziehbar. Kians Torso sei unverletzt gewesen – er wäre ein idealer Organspender gewesen. „Aus den vorgelegten Unterlagen ergeben sich für mich keinerlei Anhaltspunkte, die eine staatsanwaltschaftliche Ablehnung der Organspende begründen würden“, sagt Neis. Eine Obduktion hätte mit der Organentnahme vereinbart werden können – wie es in anderen Bundesländern längst gängige Praxis sein.
Auch eine wissenschaftliche Untersuchung der Rechtsmedizinerin Stefanie Plenzig vom Universitätsklinikum Frankfurt kommt laut FAS zu dem Schluss, dass sich Beweissicherung und Organspende nicht ausschließen müssen, wenn sie aufeinander abgestimmt sind. Dennoch scheitern in Deutschland laut Statistik der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) jedes Jahr Dutzende mögliche Organspenden an der Freigabe durch die Staatsanwaltschaft – im Jahr 2024 waren es 18 Fälle, so aktuelle DSO-Zahlen.
Für Dirk und Nicole Sievers wiegt der Verlust ihres Sohnes schwer. Dass sein Tod auch anderen das Leben hätte retten können, hätte ihnen Trost spenden können. „Wir wollen, dass die Spende von Kians Organen etwas Gutes für andere bewirkt und sein Tod damit nicht ganz so sinnlos ist“, sagt Dirk Sievers. Er spricht von einem „Sechser im Lotto“ für jeden Empfänger – und kann bis heute nicht verstehen, warum die Behörden dem Wunsch der Familie nicht gefolgt sind.
Die Eltern denken nun über eine Fachaufsichtsbeschwerde nach. Ein Gespräch mit der Staatsanwaltschaft hat bisher nicht stattgefunden. Das Evangelische Klinikum Bethel verzeichnete im Jahr 2024 insgesamt 15 Organspenden – es hätten 16 sein können.
(Quelle: DIATRA vom 6. Mai 2025 - https://diatra.de/articles/2025/05/06/staatsanwaltschaft-blockiert-organspende)