Männer haben oft andere Migräne-Symptome als Frauen. Dabei könnte eine rechtzeitige Diagnose und gezielte Therapie viel Leid ersparen – doch dafür braucht es das geschulte Auge von Hausärzten und Neurologen.
Für Eilige gibt’s am Ende eine Zusammenfassung.
Historisch wird Migräne als überwiegend weibliche Erkrankung wahrgenommen und auch in den Medien werden im Zusammenhang mit Migräne vorrangig Abbildungen weiblicher Betroffener gezeigt. Die nicht sichtbaren Beschwerden der Migräne werden dabei häufig nicht ernst genommen oder bagatellisiert.
Das hat weitreichende Folgen: Laut einer Studie der Europäischen Migräne- und Kopfschmerzallianz (EMHA) zur Stigmatisierung bei Migräne fühlen sich 74 % der Migränepatienten von medizinischen Fachkräften nicht ernst genommen. Auch Laien unterschätzen die Erkrankung, denn 26 % der Befragten, die keine Migräne hatten, glauben, die Krankheit sei nichts anderes als starke Kopfschmerzen.
Dieses Bild zeigt sich auch in anderen Studien: Eine bevölkerungsbasierte Online-Umfrage befragte 11.997 zufällig ausgewählte, erwachsene US-Amerikaner ohne Migräne zu ihrer Einstellung gegenüber Menschen mit Migräne. 45,1 % der Befragten glaubten, dass Migräne leicht behandelbar sei und 36,9 % glaubten, dass Migräne durch ungesundes Verhalten selbst verursacht werde. Männer waren hier signifikant häufiger als Frauen der Ansicht, dass Betroffene ihre Migränebelastung übertreiben und dass Menschen mit Migräne ihre Arbeit erschweren. Obwohl Migräne die Lebensqualität stark einschränken kann, geben Männer seltener als Frauen an, von der Erkrankung belastet zu sein.
Doch die Einschränkung der Lebensqualität durch Migräne ist hoch: Die Global-Burden-of-Disease-Studie berechnete für Migräne in Deutschland einen Anteil von 5,1 % der in Krankheit verbrachten Lebenszeit (years lived with disability, YLD). Damit ist die Migräne auf Rang zwei aller Erkrankungen. Trotzdem geben Männer seltener an, dass sie wegen ihrer Migräne den Haushalt nicht schaffen, weniger produktiv bei der Arbeit sind oder soziale Aktivitäten verpassen als Frauen. Sie bleiben eher handlungsfähig und suchen seltener wegen starker Kopfschmerzen die Notaufnahme auf als Frauen. Das ergab eine Auswertung der Daten der American Migraine Prevalence and Prevention Study. Des Weiteren gehen Männer seltener zur Behandlung ihrer Migräne zum Arzt als Frauen. Die Folge: Migräne wird bei Männern seltener diagnostiziert.
Eine Ursache dafür könnte sein, dass die charakteristischen Symptome der Migräne bei Männern häufig nicht vollständig ausgeprägt sind und auch Begleitsymptome seltener auftreten, was die Diagnostik erschwert. Zum anderen tragen Männer auch selbst dazu bei, dass ihre Migräne übersehen wird, wenn sie z. B. aus Angst vor Stigmatisierung oder wegen traditionell männlicher Wertvorstellungen ihre Belastung herunterspielen und nicht zum Arzt gehen. 25 % der Befragten der EMHA-Umfrage gaben außerdem an, die Inanspruchnahme eines Arztes hinauszuzögern oder zu vermeiden, weil sie sich peinlich berührt fühlen und eine Verurteilung durch medizinisches Fachpersonal befürchten.
Wird eine Migräne nicht ärztlich diagnostiziert, kann dies dazu führen, dass Patienten ihre Beschwerden selbst behandeln und keine passende Therapie erhalten. Das birgt das Risiko einer Chronifizierung durch Übergebrauch von Schmerzmitteln. Die Burden-2020-Studie des RKI ergab, dass der größte Teil der Migräne-Patienten freiverkäufliche Schmerzmittel, die nicht speziell gegen Kopfschmerzen entwickelt wurden, verwenden. Am häufigsten nannten die Befragten Ibuprofen (46 %), gefolgt von Paracetamol (17 %) und Acetylsalicylsäure (11 %). Die in der Aktutherapie der Migräne hochwirksamen Triptane wurden nur von 7,3 % der betroffenen Migräne-Patienten angegeben.
Ein Übergebrauch liegt vor bei Nichtopioidanalgetika wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Diclofenac, bei ≥ 15 Tagen Einnahme im Monat und bei Ergotaminen, Triptanen, Opioiden oder Kombinationsanalgetika ≥ zehn Tagen pro Monat. Der Teufelskreis: Lässt die Wirkung des Akutmedikaments allmählich nach, tritt der Schmerz erneut auf (sog. „Wiederkehr-Kopfschmerz“), weswegen nach kurzer Zeit erneut ein Schmerzmittel eingenommen wird.
Grundsätzlich sollte die Migräne bei Männern gemäß den aktuellen Empfehlungen der Leitlinie für Akuttherapie und Prophylaxe behandelt werden. Bei akuten Migräneattacken wird die möglichst frühzeitige Einnahme von Analgetika/NSAR empfohlen sowie Triptane (Serotonin-5-HT1B/1D-Rezeptoragonisten) bei (mittel-)schweren Migräneattacken und bei (bekanntem) fehlendem Ansprechen auf Schmerzmittel. Der Serotonin-1F-Rezeptoragonist Lasmiditan bzw. Rimegepant, ein CGRP-Rezeptorantagonist, kommen zum Einsatz bei Kontraindikationen gegen Triptane oder Unwirksamkeit von Analgetika, NSAR oder Triptanen.
Studiendaten zeigen allerdings, dass Männer häufiger entweder gar keine Medikamente bei Migräne einsetzen oder eher zu rezeptfreien Medikamente greifen als Frauen. Triptane werden dagegen häufiger von Frauen eingesetzt. Dabei können besonders Männer von Triptanen profitieren: Eine Metaanalyse mit 2.280 Männern and 13.899 Frauen zeigte kürzlich ein deutlich niedrigeres Risiko für Wiederkehr-Kopfschmerzen und Nebenwirkungen bei Männern als bei Frauen. Auch bei der Migräneprophylaxe zeigen Daten, dass Männer seltener Prophylaxe-Medikamente einsetzen als Frauen – obwohl mit einer medikamentösen Prophylaxe die Häufigkeit, Schwere und Dauer der Migräneattacken reduziert werden kann. Außerdem kommt sie zum Einsatz, um dem auftretenden Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln vorzubeugen.
Mittel der Wahl in der unspezifischen Prophylaxe sind u. a. die Betablocker Metoprolol und Propranolol, der Kalziumantagonist Flunarizin, das Antikonvulsivum Topiramat sowie das Antidepressivum Amitriptylin. Allerdings führen bei diesen Medikamenten teilweise ausgeprägte Nebenwirkungen in vielen Fällen zum Therapieabbruch. Bei Männern sollte man bei einer Prophylaxe mit Amitryptilin oder Betablockern besonders auf Nebenwirkungen achten. Eine Amitriptylin-assoziierte sexuelle Dysfunktion war in Studien bis zu sechsmal häufiger bei Männern als bei Frauen, und unter Betablockern trat bei über 10 % der Männer eine erektile Dysfunktion auf.
Die selektive Migräneprophylaxe mit CGRP-Inhibitoren zeigt bislang eine sehr gute Verträglichkeit im Unterschied zu den konventionellen, unspezifischen Prophylaktika. Die Antikörpertherapie ist bei mindestens vier Migränetagen pro Monat zugelassen. Gepoolte Ergebnisse aus FDA-Untersuchungen von 2024 zeigen, dass diese Arzneistoffe sowohl bei Männern als auch bei Frauen mit episodischer Migräne wirksam sind zur Migräneprävention, obwohl die Behandlungseffekte bei Frauen höher waren. Bei chronischer Migräne waren die Ergebnisse ähnlich.
Obwohl Männer seltener und teils weniger intensiv an Migräne leiden als Frauen, stellt die Erkrankung auch für sie eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität dar. Häufig bleibt Migräne bei Männern unerkannt oder wird unterschätzt – was dazu führt, dass therapeutische Chancen ungenutzt bleiben. Dabei ist die Erkrankung heute gut behandelbar, vor allem wenn sie frühzeitig diagnostiziert wird.
Umso wichtiger ist es, dass medizinisches Fachpersonal – insbesondere Hausärzte und Neurologen – auch bei männlichen Patienten aufmerksam auf migränetypische Symptome achtet. Denn Männer schildern ihre Beschwerden mitunter weniger detailliert oder anders als Frauen. Die Sensibilität für diese Unterschiede kann entscheidend dazu beitragen, die richtige Diagnose zu stellen und frühzeitig eine wirksame Therapie einzuleiten.
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Deutsche Hirnstiftung 2025: Migräne bei Männern – oft tabuisiert und unterdiagnostiziert.
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