Eine Katze wird mit Erbrechen und Anorexie in eine Tierklinik gebracht. Abdominelle Schmerzen und auffällige Blutwerte machen die Tierärzte stutzig. Was ist der Patientin über die Leber gelaufen?
Eine 10-jährige kastrierte, weibliche Hauskatze wird mit seit zwei Tagen bestehender Anorexie, Erbrechen und Lethargie in einer Tierklinik vorgestellt. Die Katze leidet bereits seit einem Jahr immer wieder unter Gewichtsverlust und zeitweise vermindertem Appetit. Sie ist laut Angaben des Besitzers Freigängerin, mit Impfungen und Entwurmungen auf dem neuesten Stand und wird mit handelsüblichem Katzenfutter ernährt.
Bei der Vorstellung ist die Katze lethargisch, aber aufmerksam, mit einem Body condition score (BCS) von 3/5. Die körperliche Untersuchung ergibt eine leichte Tachykardie (200 Schläge/Minute) und ein leichtes diffuses Unbehagen bei der Abtastung des Abdomens. Die hämatologischen Werte liegen innerhalb der Referenzintervalle. Der Blutausstrich zeigt toxische und hyposegmentierte Neutrophile. In der Serumbiochemie fallen eine starke Erhöhung der Alanin-Aminotransferase (ALT)-Aktivität, eine leichte Hyperglobulinämie, eine moderate Hyperbilirubinämie und eine starke Erhöhung der Serum-Amyloid-A-Konzentration auf.
Abnormale Werte sind fett hervorgehoben ALP = alkalische Phosphatase; ALT = Alanin-Transaminase; DGGR = 1,2-o-Dilauryl-rac-glycero-3-glutarsäure-(6′-methylresorufin)ester; RI = Referenzintervall; SAA = Serumamyloid-A-Konzentration
Eine abdominelle Ultraschalluntersuchung zeigt eine diffus echoarme Leber in Verbindung mit einer Verdickung und Erweiterung der intrahepatischen Gallenwege und des Gallengangs. Im Ductus hepaticus communis finden die Tierärzte eine echoarme spindelförmige Struktur mit einer Größe von 12 × 2,5 mm, die durch mehrere echoarme lineare Grenzflächen mit leichtem Schallschatten gekennzeichnet ist (Abb. 1a). Eine weitere lineare hyperechogene Struktur, die sich bis in die Papilla duodeni major ohne Erweiterung des distalen Gallengangs (d. h. Gallengang mit einem Durchmesser von < 2 mm) erstreckt, wird ebenfalls identifiziert. Außerdem stellen die Ärzte schwere Anzeichen einer Cholezystitis fest (Abb. 1b). Die Behandler tippen auf pflanzliche Fremdkörper oder ein Konglomerat aus Gallenblasensludge.
Ultraschallbild von (a) der hyperechoischen spindelförmigen Struktur innerhalb des gemeinsamen Gallengangs (BD) (Pfeil) und (b) einer deutlichen Verdickung der Gallenblasenwand (GB) (2,1 mm Dicke), die mit einer Cholezystitis vereinbar ist. Credit: Bildgebende Abteilung, Ecole Nationale Vétérinaire d'Alfort
Aufgrund der geografischen Lage (Paris, Frankreich) halten die Tierärzte einen Befall mit Ascariden für eher unwahrscheinlich. Die zytologische Untersuchung von Feinnadelaspiraten aus Lebergewebe und Galle ergibt vereinzelte Plasmazellen und Lymphozyten bzw. eine septische suppurative Entzündung.
In Erwartung der Ergebnisse des Antibiogramms wird die Katze stationär aufgenommen und erhält eine intravenöse Flüssigkeitstherapie (Laktat-Ringer-Lösung, 2 ml/kg/h) sowie eine empirische Breitband-Antibiotikatherapie mit zusätzlicher Wirkung gegen Anaerobier (Ampicillin-Sulbactam 20 mg/kg i. v. alle 8 Stunden, Metronidazol 10 mg/kg i. v. alle 12 Stunden), Antiemetika (Maropitant 1 mg/kg i. v. alle 24 Stunden, Metoclopramid 0,3 mg/kg i. v. alle 8 Stunden) und Analgetika (Buprenorphin 20 µg/kg i. v. alle 8 Stunden) verabreicht. Außerdem wird eine enterale Ernährung über eine nasoösophageale Sonde eingeleitet. In der Bakterienkultur der Galle wächst lediglich Escherichia coli – der Erreger ist empfindlich gegenüber Marbofloxacin, Doxycyclin, Amoxicillin und Sulfatrimethoprim.
Trotz der Behandlungen bleibt die Katze während des Klinikaufenthalts lethargisch und anorektisch. Es wird eine schwere persistierende ionisierte Hyperkalzämie beobachtet. Eine erneute Ultraschalluntersuchung des Abdomens bestätigt die retrograde Migration der spindelförmigen Strukturen.
Aufgrund des Auftretens einer schweren und anhaltenden Hyperkalzämie wurden zusätzliche diagnostische Untersuchungen durchgeführt. Die klinische Untersuchung, die ersten biochemischen und elektrolytischen Untersuchungen sowie die diagnostische Bildgebung (d. h. Ultraschalluntersuchung des Abdomens und Röntgenaufnahme des Thorax) ergeben keine Hinweise auf andere entzündliche/neoplastische Erkrankungen oder signifikante Nieren- oder Nebennierenanomalien. Das Plasmaparathormon (PTH), gemessen unter Verwendung eines validierten Tests für Katzen, liegt unterhalb des Referenzbereichs (< 20 pg/ml, Referenzbereich 50–200). Daher wird eine idiopathische Hyperkalzämie oder granulomatöse Entzündung als Folge des vermuteten Gallengangfremdkörpers vermutet.
Aufgrund des starken Anstiegs des Kalziums und der anhaltenden klinischen Symptome wird Dexamethason (0,1 mg/kg i. v. alle 24 Stunden) in Verbindung mit einer Änderung der Flüssigkeitstherapie (Natriumchlorid 0,9 %, 3 ml/kg/h) hinzugefügt.
Angesichts der ausbleibenden klinischen Besserung und der Migration der spindelförmigen Struktur wird schließlich eine chirurgische Behandlung eingeleitet. In der perioperativen Untersuchung der Gallenwege stellen sich Gallenblase und die extrahepatischen Gallengänge dilatiert dar. In der OP tasten die Tierärzte eine feste lineare Struktur durch den gemeinsamen Gallengang. Der zweite Fremdkörper kann nicht identifiziert werden, weshalb eine intraoperative Ultraschalluntersuchung zur genauen Lokalisierung der beiden Strukturen und zur Auswahl der besten Inzisionsstelle durchgeführt wird. Distal zur Verbindung des Ductus hepaticus führen die Operateure eine Choledochotomie durch. Dabei werden die Übeltäter sichtbar: zwei Ährchen mit Grannen mit einer Länge von jeweils etwa 2 cm.
Makroskopische Ansicht der beiden Grasähren nach chirurgischer Entfernung mit einer Injektionsnadel (25 G, 16 mm lang) zum Maßstab. Credit: Chirurgische Abteilung, Ecole Nationale Vétérinaire d'Alfort
Der Gallengang wird gespült und ein Choledochusstent unter Verwendung eines 4-Fr-Harnkatheters über eine Duodenotomie platziert und transparietal fixiert. Zudem wird mittels Keiltechnik eine Leberbiopsie zur histopathologischen Analyse durchgeführt. In dieser zeigt sich eine mäßige neutrophile und lymphoplasmatische Entzündung mit seltenen Bakterienkolonien.
Die Katze erholt sich ohne Komplikationen von der Operation. Die Lethargie klingt während des postoperativen Krankenhausaufenthalts allmählich ab und ihr Appetit verbessert sich. In der Ultraschalluntersuchung zwei Tage später sind keine chirurgischen Komplikationen sichtbar. Die Katze wird 5 Tage nach der Operation mit einer doppelten Antibiotikatherapie (Amoxicillin-Clavulansäure 14 mg/kg PO alle 12 Stunden, Metronidazol 12,5 mg/kg PO alle 12 Stunden) über einen Zeitraum von 5 Wochen entlassen, um das Risiko eines Rezidivs zu minimieren. Zusätzlich erhält sie niedrig dosierte Kortikosteroide (Prednisolon 0,3 mg/kg PO alle 24 Stunden).
Nach der Entlassung klingen die klinischen Symptome allmählich weiter ab. Die Kortikosteroid-Dosis wird über 2 Wochen schrittweise reduziert. Das Kalzium bleibt 2 Wochen nach Absetzen der Kortikosteroid-Behandlung im Referenzbereich. Das Tier erholt sich in den folgenden 15 Monaten gut.
Bisher wurden in der Literatur mehrere Ursachen für eine extrahepatische Gallengangobstruktion (EHBO) bei Katzen beschrieben, darunter entzündliche und neoplastische Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse, der Leber, des Gallengangs und des Zwölffingerdarms, Fremdkörper in den Gallenwegen oder im proximalen Zwölffingerdarm, Gallenmukozelen, Zwerchfellhernie, Leberegelobstruktion und angeborene Anomalien (z. B. hier, hier und hier). Über einen Gallengangfremdkörper bei einer Katze gibt es bisher nur einen weiteren Fallbericht. In der Humanmedizin findet man einige Berichte über Gallengangobstruktionen infolge von Fremdkörpern wie Fischgräten oder chirurgischem Material (hier und hier).
Da eine EHBO bei Katzen lebensbedrohlich sein kann, ist ihre Erkennung für eine geeignete Behandlung von entscheidender Bedeutung. Die klinischen Symptome sind in der Regel unspezifisch, daher gilt die Ultraschalluntersuchung als die beste nichtinvasive Diagnosemethode. Aufgrund der Migration der Fremdkörper und der trotz Behandlung ausbleibenden klinischen Besserung wählten die Tierärzte aus Frankreich hier die Operation. Dabei half ihnen der Einsatz von intraoperativem Ultraschall, die Grasähren im Gallengang zu lokalisieren und die am besten geeignete Stelle für die Choledochotomie zu bestimmen.
In dem vorliegenden Fall wurde zunächst eine idiopathische Hyperkalzämie vermutet. Das akute und schwere Auftreten sowie das Ausbleiben einer Reaktion nach Kortikosteroidgabe stellten diese Hypothese jedoch infrage.
Aufgrund von Berichten über Hyperkalzämie als Folge einer granulomatösen Reaktion bei Katzen und als Folge eines Fremdkörpers bei Menschen und Hunden wurde sie in diesem Fall als Folge einer granulomatösen Reaktion auf einen Fremdkörper vermutet. Die Leberhistopathologie ergab jedoch keine granulomatöse Entzündung. Die Autoren schreiben: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Subtyp der Entzündung auf den Gallengang oder den extrahepatischen Gang beschränkt war oder durch sekundäre neutrophile und lymphoplasmatische Cholangitis-Läsionen verdeckt wurde. Daher wäre es vielleicht genauer zu sagen, dass die Hyperkalzämie in unserem Fall mit einer Fremdkörperobstruktion der Gallenwege assoziiert war. Die Untersuchung der Vitamin-D-Metaboliten wäre interessant gewesen, um diese Hypothese weiter zu stützen, konnte jedoch aufgrund des Mangels an zugelassenen Tests für Katzen nicht durchgeführt werden.“
Pflanzliche Fremdkörper in den Gallenwegen sollten bei der Differenzialdiagnose einer EHBO bei der Katze berücksichtigt werden. In diesem Fall konnte die Obstruktion durch einen chirurgischen Eingriff unter intraoperativer Ultraschallführung behoben werden.
Den gesamten Fallbericht findet ihr hier.
Bildquelle: Andriy Nestruiev, Unsplash