Autismus ist eine Epidemie, gegen Masern hilft Hühnersuppe und die Vogelgrippe erledigt sich von selbst. Was sich wie eine kreative Zusammenstellung medizinischer Absurditäten liest, ist ernstgemeinte Überzeugung des US-Gesundheitsministers.
Nach unten zu schauen – oder zu treten –, hat noch nie geholfen, wenn man echte, substanzielle Probleme hat. Entsprechend sollte es beim hiesigen Gesundheitspersonal auch keine Feelgood-Momente hervorrufen, wenn man aktuell einen Blick über den großen Teich wirft und sieht, wie dort Ministerien, medizinische Forschungseinrichtungen und Institutionen niedergerissen werden.
Vorab: Ja, jeder Präsident bringt auch in Sachen Gesundheitspolitik eigene Schwerpunkte, Ansichten und Personal mit. Die Ausgestaltung und Implementierung des Patient Protection and Affordable Care Act – besser gesagt: Obamacare – mag ein demokratisches Beispiel sein. Dennoch ist das Ausmaß, in dem aktuell strukturell niedergerissen wird, beispiellos – und doch absehbar. Der neue Gesundheitsminister kündigte es mit der ihm eigenen Sprache an: „We’re gonna streamline HHS to make our agency more effecient and more effective. We’re gonna eliminate an entire alphabet soup of departments and agencies, while preserving their core functions by merging them into a new organization.“
Gesagt, getan: Seit dieser Ankündigung wurden 10.000 Personen entlassen und weitere 10.000 kündigten selbst und wurden nicht nachbesetzt. Spätestens, wenn das Know-how verloren geht, die Forschung abnimmt (DocCheck berichtete) und die Versorgungslücken größer werden, wird sich die medizinische Tragweite dieser Entscheidungen bemerkbar machen – und dann auch relevant für die deutsche Ärzteschaft sein.
Prominent und derzeit vermutlich am gravierendsten ist der Masernausbruch, der vornehmlich im Südwesten der Vereinigten Staaten grassiert – ein Landstrich (und Wählerkreis), der traditionell eine niedrige Impfrate aufweist und empfänglich ist für hardcore trumpsche und republikanische Vorstellungen von Prävention und Behandlung. Das Ergebnis folgte stante pede: Nach Ausbruch der Masern riet Gesundheitsminister Kennedy der Bevölkerung zu Vitamin A statt Impfungen – immerhin hatte Vitamin A und Hühnersuppe auch bei ihm selbst bereits funktioniert. Dass der Minister hier einiges durcheinanderwarf, den Einsatz von Vitamin A fehldeutete und mit eigener Kindheitserinnerung garniert zum Social-Media-Erfolg machte, führte zu einer Reihe von Notfällen durch Vergiftungserscheinungen bei ebenjenen Gläubigen durch zu hohe Vitamin-Konzentrationen.
Den Notfällen zum Trotz scheint sich keine Einsicht in Sachen Impfungen einzustellen. Im Gegenteil: Laut aktuellem Beschluss sollen sämtliche bestehenden Impfungen nun zuerst mit Placebo-kontrollierten Studien gegengetestet werden – auch wenn ihre Wirksamkeit bereits bestätigt ist. Mit inbegriffen sind Covid-, Masern- und alle „neuen“ Impfungen. Experten warnen derweil davor, die Hälfte der Kinder jetzt mit Placebos zu „versorgen“, während bereits wirksame Impfstoffe vorhanden sind.
Dass das Thema Impfen bei Kennedy ein zwiespältiges ist, berichtete bereits dessen Cousine und Tochter des Präsidenten John F. Kennedy, Caroline Kennedy: „Seine Ansichten zu Impfstoffen sind gefährlich und vorsätzlich falsch.“ So gehe er zwar mit radikalen Standpunkten in den Wahlkampf – privat impfe er seine Kinder aber beispielsweise. Dass dieser Opportunismus sich wie ein roter Faden durch sein politisches Handeln zieht, wird später noch deutlicher.
In Sachen Vogelgrippe handelt Kennedy ähnlich fahrlässig: Nachdem er zunächst die entscheidenden Wissenschaftler und Tierärzte von FDA und CDC entließ, die sich auf Früherkennung und Verbreitung der Krankheit spezialisiert hatten, wurden die Sitzungen des Teams abgesagt und Dokumente unter Verschluss gehalten. Alternativer Vorschlag vom Mann mit dem Wurm im Kopf: Man solle dem Virus erlauben, sich unkontrolliert in Beständen zu verbreiten, um dann immune Tiere zu identifizieren und aus diesen ein Gegenmittel zu entwickeln.
Besser noch: Landwirte sollten ihre Bestände absichtlich infizieren, um immune Tiere zu generieren. „Es ist, als würde man eine fast lehrbuchmäßige Geschichte darüber beobachten, wie sich ein Virus über Tiere verbreitet, sich mit verschiedenen Tierarten vermischt und dann auf den Menschen überspringen kann“, sagt Linsey Marr, Expertin für Luftviren an der Virginia Tech. Nicht nur die Übertragung auf Viehherden und Milchprodukte ist dabei aktuell eine Gefahr, ebenso die Möglichkeiten zur Mutation von H5N1 birgt ernste Risiken. Nicht nur Epidemiologen dürften bei solchen Vorschlägen und Entwicklungen alarmiert sein.
Vermeintlich gute Nachrichten gibt es immerhin in Sachen Autismus-Forschung zu vermelden – wenn man denn an die sehr eigentümlichen Zeitvorgaben der aktuellen republikanischen Regierung glaubt (Reminder: Der Ukraine-Krieg ist nach 1 Tag beendet). Jedenfalls scheint auch Kennedy schneller in Dingen zu sein als der Rest der Fachschaft und sieht bereits das Ende der Krankheit: „We’ve launched a massive testing and research effort, that’s going to involve hundreds of scientists from around the world. By September we will know what has caused the autism epidemic and we’ll be able to eliminate those exposures.“
Dass Forscher weltweit bereits seit Jahrzehnten daran forschen, muss man wohl ausklammern – ebenso, dass er eine ganz eigene Ursache für die Erkrankung ins Feld führt. Immerhin müsse man ja „genau identifizieren, welche Umweltgifte die Ursache sind“. Denn die Genforschung sei eine „Sackgasse“, weil „Gene keine Epidemien verursachen“ können ….
Wer noch immer keine Bedenken hat, der kann die Intention wirken lassen, weshalb Kennedy sich der Sache überhaupt annimmt: „Autism destroys families. And, more importantly, it destroys our greatest ressource, which are our children. These kids will never pay taxes. They’ll never hold a job. They’ll never play baseball. They’ll never write a poem.“
Kommen wir als Abrundung der Absurditäten zu einem Schmankerl aus der Reihe „Erst handeln, dann denken“. Zu einer bitter-amüsanten Erkenntnis kam bereits vor einem Jahr eine Studie zum Kosten-Nutzen-Effekt der Streichungen im Gesundheitswesen. Ergebnis: „Every dollar of research funded by the NIH delivers 2,56 dollar in economic activity.“ Ein Tiefschlag gegen das trump-musksche Credo der Effizienzsteigerung und Kostensenkung. Warum als auch auf Studienergebnisse vertrauen – dann doch lieber entlassen und das gesparte Geld direkt im Haushalt wissen.
Dass jedoch auch dieses Vorgehen nicht von ungefähr kommt, offenbart Kennedy in einem Interview selbst – und zeigt dabei erneut sein politisches Machtbewusstsein. Auf die Frage, warum man die angestellten Gesundheitsbeamten nicht zuerst auf ihre Nützlichkeit und Entbehrlichkeit für das System prüft und dann entlässt, fasst es der Gesundheitsminister sehr vielsagend zusammen: „That would have been another approach, and it’s the approach that has failed for 60 years. It takes too long and you lose the political momentum.“
Auf Deutsch: Es geht nicht um Gesundheit, es soll sich gut anhören. Nicht zuletzt auch ein Grund, weshalb man kurzerhand einen neuen, eigenen Namen für das Department of Health and Human Services (HHS) etablieren möchte und diese umtauft in Administration for a Healthy America (AHA). Ob das die seit 1924 bestehende American Heart Association (AHA) erfreut? Jedenfalls bewirbt sich der ehemalig demokratische, dann unabhängige und nun republikanische Politiker so um einen Lexikoneintrag unter Opportunismus.
Bildquelle: Midjourney