Was haben das Antlitz, Störfelder und Zungenbeläge gemeinsam? Heilpraktiker nutzen sie für pseudomedizinische Diagnosen. Warum ihr die Verfahren kennen solltet und wie sie euren Patienten gefährlich werden können.
Auch in unserer Apotheke kommt es immer wieder vor, dass Kunden mit einer Derma-Diagnose vom Heilpraktiker vorbeischauen. Oft bleibt dabei unklar, welche Untersuchungsmethoden dort genau zur Anwendung kamen und wie die mitgebrachten Diagnosen zustande gekommen sind – denn diese Verfahren unterscheiden sich teilweise stark von bekannten Standards und folgen häufig spekulativen Prinzipien. Dabei reicht das Spektrum von positiv zu sehenden ausführlichen Anamnesegesprächen bis hin zu besonders fragwürdigen diagnostischen Verfahren wie der Antlitzdiagnostik oder Kinesiologie. Damit ihr fürs nächste Kundengespräch gerüstet seid, habe ich hier einige dieser Methoden, die bei uns häufiger benannt werden, kritisch betrachtet.
Wichtig ist die Unterscheidung: „Heilpraktiker“ und „naturheilkundliche Therapeuten“ sind keine Synonyme. Auch Ärzte können naturheilkundliche, evidenzbasierte Verfahren anwenden. Viele der im Folgenden beschriebenen Methoden zählen zur Alternativmedizin und sind wissenschaftlich nicht anerkannt. Einzelne Verfahren – wie eine ausführliche Anamnese oder Ernährungsberatung – können hingegen durchaus evidenzbasiert sein und werden z. B. auch von Hausärzten eingesetzt.
Im Gegensatz zur oft knapp bemessenen Zeit im Praxisalltag kann sich der Heilpraktiker üblicherweise deutlich mehr Zeit nehmen, um bei der Anamnese Informationen über den Patienten zu sammeln. Dazu gehören, wie in der Arztpraxis auch, der genaue Zeitpunkt des Auftretens einer Hautveränderung, der Verlauf einer Erkrankung, mögliche frühere Episoden sowie potenzielle Zusammenhänge mit Kontakt zu bestimmten Substanzen oder Allergenen. Ebenso werden Begleitsymptome, Begleiterkrankungen, aktuelle Medikamenteneinnahmen und die Familienanamnese eingehend betrachtet.
Grundsätzlich gehen alternative Verfahren oft davon aus, dass Hauterkrankungen keine Lokalerkrankungen seien, sondern Ausdruck einer inneren Störung des biologischen Gleichgewichts. Dieser Annahme zufolge zeigen sich die Symptome einer systemischen Erkrankung zuerst äußerlich. Diese Theorie ist wissenschaftlich jedoch nicht abgesichert und bleibt spekulativ.
Die körperliche Untersuchung umfasst eine gründliche Inspektion der Haut, der Hautanhangsgebilde und der Schleimhäute. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die genaue Beschreibung der Hautveränderungen gelegt: Lokalisation, Verteilung, Begrenzung und Form der Effloreszenzen (z. B. Flecken, Knoten, Quaddeln) werden detailliert dokumentiert. Beispielsweise deutet ein symmetrisches Auftreten von juckenden, rötlichen Papeln häufig auf eine allergische oder atopische Genese hin.
Mittels Dermographismus-Prüfung lässt sich eine atopische Konstitution anhand des sogenannten weißen Dermographismus feststellen, was etwa bei Neurodermitis charakteristisch ist. Neben der Inspektion erfolgt auch eine sorgfältige Palpation der Lymphknoten und Pulse, besonders bei Hautveränderungen an den unteren Extremitäten. Diese Vorgehensweisen sind auch in der dermatologischen Praxis etabliert und sinnvoll und sollten nicht mit spekulativen Methoden vermischt werden.
Die Antlitzdiagnostik, auch Gesichtsanalyse genannt, basiert auf der nicht belegten Annahme, dass sich innere Erkrankungen im Gesicht widerspiegeln. Zum Beispiel soll eine blasse, wächserne Hautfarbe unter der rechten Unterlippe auf Darmprobleme hinweisen, während Schwellungen oder rote Äderchen über den Wangen bronchiale Belastungen anzeigen sollen. Eine Verdickung oder Farbveränderung unter der rechten Unterlippe interpretiert man als Zeichen für eine Leber- oder Gallenerkrankung. Diese Methode ist populär, jedoch völlig spekulativ. Die subjektive Interpretation birgt ein erhebliches Risiko für Fehldiagnosen, insbesondere ohne ergänzende, evidenzbasierte Diagnostik.
Die Irisdiagnostik unterteilt die Iris in konzentrische Zonen, die bestimmten Organbereichen zugeordnet sind. Angeblich weisen Veränderungen um die Pupille auf Magen- oder Darmprobleme hin. Trotz ihrer Verbreitung gibt es keinerlei wissenschaftliche Nachweise für diese Zuordnungen. Die subjektive Interpretation und fehlende Standardisierung erhöhen das Risiko falscher Schlussfolgerungen deutlich. Computergestützte Irisanalysen zur Früherkennung von Diabetes befinden sich in einem frühen, experimentellen Stadium. Für Hauterkrankungen ist dieses Verfahren völlig ungeeignet.
Die Zungendiagnostik, insbesondere in der traditionellen chinesischen Medizin verbreitet, soll Krankheiten anhand von Zungenbelägen diagnostizieren. Ein gelblicher Belag beispielsweise soll auf Leberprobleme hindeuten. Trotz ihrer weiten Verbreitung fehlen aussagekräftige Studien. Auch hier drohen Fehldiagnosen und verzögerte notwendige Behandlungen durch eine stark subjektive Interpretation der Befunde.
Die Fußreflexzonendiagnostik geht von der Existenz von Reflexzonen an den Füßen aus, über die Störungen innerer Organe erkannt werden sollen. Diese Methode besitzt keinerlei nachgewiesene diagnostische Relevanz und wird wissenschaftlich als unhaltbar eingestuft. Sie wird hier nur zur Information aufgeführt, weil sie von Kunden immer wieder bei allgemeineren Erkrankungen außerhalb der Hautproblematik ins Feld geführt wird.
Kinesiologische Tests verwenden Muskelreaktionen, um Blockaden oder Unverträglichkeiten zu diagnostizieren. Objektivität und Reproduzierbarkeit solcher Tests sind wissenschaftlich nicht belegt. Studien belegen ausdrücklich, dass kinesiologische Ergebnisse nicht valide sind. Fachgesellschaften raten deshalb davon ab, solche Tests medizinisch ernst zu nehmen.
Die sogenannte Störfelddiagnostik postuliert versteckte Entzündungen als Ursachen für Hauterkrankungen. Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht. Patienten drohen unnötige, teils invasive Eingriffe, während tatsächliche Ursachen möglicherweise unentdeckt bleiben.
Alternativmedizinische Diagnoseverfahren mögen aufgrund der ausführlichen Anamnese beliebt sein. Dennoch mangelt es den meisten dieser Methoden an wissenschaftlicher Grundlage. Einzelne der verwendeten Verfahren, wie die ausführliche Anamnese oder Ernährungsberatung, können sinnvoll und evidenzbasiert sein. Die Mehrheit der hier vorgestellten Methoden ist jedoch spekulativ, birgt Risiken und darf keinesfalls alleiniger Ausgangspunkt diagnostischer oder therapeutischer Entscheidungen sein. Ärzte und Apotheker sollten Patienten klar auf diese Unterschiede und Risiken hinweisen.
Bildquelle: Vinicius "amnx" Amano, Unsplash