Die Amyotrophe Lateralsklerose ist immer noch unheilbar – wirksame Medikamente sind Mangelware. Jetzt scheitert der aktuelle Hoffnungsträger kurz vor dem Ziel. Wir haben die Hintergründe.
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine unheilbare Erkrankung, bei der Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark – sogenannte Motoneurone – zugrunde gehen. Betroffene verlieren dadurch nach und nach die Kontrolle über ihre Muskulatur, bis hin zur Atemlähmung. Eine Heilung gibt es bislang nicht, viele Therapieansätze sind gescheitert. Nun folgt die nächste Enttäuschung: Das Medikament Reldesemtiv wurde in einer Phase-III-Studie an ALS-Patienten getestet. Weil es keinerlei positive Effekte zeigte, wurde die Studie vorzeitig gestoppt. Jetzt liegt die vollständige Analyse vor – mit ernüchterndem Ergebnis: Es gab keinen Unterschied zwischen Reldesemtiv und Placebo, auch nicht in den vordefinierten Subgruppen.
Die ALS beginnt meist schleichend: Erste Symptome sind oft eine Fußheberschwäche oder eine Kraftminderung in den Fingern. Mit fortschreitender Erkrankung nehmen die Lähmungen zu. Hinzu kommen Muskelzuckungen (Faszikulationen), Muskelschwund (Atrophien) und schmerzhafte Krämpfe. Die Ursache ist das Absterben der Motoneurone – jener Nervenzellen, die willkürliche Muskelbewegungen steuern.
Der Therapieansatz von Reldesemtiv klang zunächst vielversprechend: Die zunehmende Muskelschwäche sollte durch eine Stärkung der Muskelkontraktion kompensiert werden. Im Mausmodell und bei gesunden Probanden ließ sich die Muskelkraft durch Reldesemtiv steigern. Eine frühere Substanz aus derselben Wirkstoffklasse hatte bei ALS-Patienten leichte Verbesserungen gezeigt, wurde jedoch wegen starker Nebenwirkungen nicht weiterentwickelt. Reldesemtiv war besser verträglich – aber offenbar wirkungslos. In der Studie wurden rund 500 Patienten über 24 Wochen mit Reldesemtiv oder Placebo behandelt. Die Krankheitsprogression wurde mithilfe eines standardisierten ALS-Scores (dem ALSFRS-R) gemessen – ohne Unterschied zwischen den Gruppen.
Entsprechend der Krankheitsursache konzentrierte sich die Forschung lange Zeit darauf, die Motoneuronen zu schützen und ihr Absterben zu verzögern. Dabei gab es schon viele Rückschläge. Ein Beispiel ist das Medikament Edaravon, das in den USA und Japan zugelassen, bei uns aber nicht erhältlich ist. Es handelt sich um einen sogenannten Radikalfänger (oder Antioxidans): Das Medikament soll freie Radikale neutralisieren. Diese freien Radikale entstehen bei Zellstress und können Nervenzellen schädigen. Es wird vermutet, dass dieser Mechanismus auch an der Schädigung der Nervenzellen bei ALS beteiligt ist.
Die klinischen Studien mit Edaravon enttäuschten. In einer nachträglichen Subgruppen-Analyse konnte aber ein Effekt für eine bestimmte Untergruppe gezeigt werden, nämlich für Patienten mit einer definitiven oder wahrscheinlichen ALS-Diagnose und einer Krankheitsdauer von zwei Jahren oder mehr. Das führe zur Zulassung in den USA und Japan. Weitere Studien konnten den Effekt aber nicht reproduzieren, sodass in Europa die Entscheidung gegen die Zulassung fiel.
Das bisher einzige für die Behandlung von ALS zugelassene Medikament ist Riluzol. Es wirkt unter anderem, indem es die Freisetzung von Glutamat hemmt. Bei ALS kommt es zu einer Glutamat-Überaktivität, die zu einer übermäßigen Reizung und damit Schädigung der Nervenzellen führt. Riluzol kann diesen Krankheitsmechanismus bremsen und so den Krankheitsverlauf etwas verlangsamen. Das Medikament wurde bereits in den 90er Jahren zugelassen und verlängerte in den Zulassungsstudien die Überlebenszeit um durchschnittlich 2–3 Monate.
Neuere Beobachtungsstudien deuten jedoch darauf hin, dass der Effekt stärker sein könnte als bisher angenommen: ALS-Patienten, die mit Riluzol behandelt wurden, überlebten im Durchschnitt 6–19 Monate länger als Patienten, die die Therapie nicht erhielten. Ein möglicher Grund dafür ist die kurze Nachbeobachtungszeit der Zulassungsstudien. Andererseits müssen auch die Ergebnisse der Beobachtungsstudien mit Vorsicht interpretiert werden. Da diese Studien nicht randomisiert sind, können verschiedene Einflussfaktoren – etwa ein insgesamt besserer Gesundheitszustand der Patienten oder eine intensivere medizinische Betreuung – das Ergebnis verzerren.
Für die rund 8.000 Menschen mit ALS in Deutschland ist jeder neue Therapieansatz ein Hoffnungsschimmer. Umso härter trifft sie das Scheitern von Reldesemtiv. Neue Therapieoptionen bei ALS werden dringend benötigt. Seit der Zulassung von Riluzol hat die ALS-Forschung einen Rückschlag nach dem anderen erlitten. Nun scheint mit der Verstärkung der Muskelkontraktionen durch Reldesemtiv das nächste Therapiekonzept gescheitert zu sein. Weitere Medikamente mit den unterschiedlichsten Wirkmechanismen sind in der Erprobung – bleibt zu hoffen, dass ein Treffer dabei ist. Manchmal liegt der Durchbruch näher als man denkt.
Shefner et al.: COURAGE-ALS Study Group. Reldesemtiv in Amyotrophic Lateral Sclerosis: Results From the COURAGE-ALS Randomized Clinical Trial. JAMA Neurol, 2025. doi: 10.1001/jamaneurol.2025.0241
EDARAVONE (MCI-186) ALS 16 STUDY GROUP. A post-hoc subgroup analysis of outcomes in the first phase III clinical study of edaravone (MCI-186) in amyotrophic lateral sclerosis. Amyotroph Lateral Scler Frontotemporal Degener, 2017. doi: 10.1080/21678421.2017.1363780
Witzel et al.: German Motor Neuron Disease Network (MND-NET). Safety and Effectiveness of Long-term Intravenous Administration of Edaravone for Treatment of Patients With Amyotrophic Lateral Sclerosis. JAMA Neurol, 2022. doi: 10.1001/jamaneurol.2021.4893Erratum in: JAMA Neurol, 2022. doi: 10.1001/jamaneurol.2022.1581
Andrews et al.: Real-world evidence of riluzole effectiveness in treating amyotrophic lateral sclerosis. Amyotroph Lateral Scler Frontotemporal Degener, 2020. doi: 10.1080/21678421.2020.1771734
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