Beschleunigen häufige Vollnarkosen im Alter den kognitiven Abbau? Eine Langzeitstudie liefert erstmals belastbare Daten – und zeigt, welche Risikofaktoren Ärzte im Blick behalten sollten.
Für Eilige gibt’s am Ende eine Zusammenfassung.
Ärzte führen in deutschen Krankenhäusern jedes Jahr rund 17 Millionen Narkosen bei OPs durch. Hinzu kommen viele weitere tausend Narkosen in Arztpraxen und Behandlungszentren bei ambulanten Eingriffen. Die Wahrscheinlichkeit eines narkosebedingten Todesfalls oder eines dauerhaften Schadens liegt älteren Studien zufolge bei etwa 0,7 Ereignissen pro 100.000 Anästhesien. Aktuell sind die Zahlen wahrscheinlich noch niedriger.
Doch ganz so einfach ist die Sachlage nicht: Forscher und Ärzte wissen zwar, dass nach OPs kurzfristig kognitive Beeinträchtigungen auftreten können. Die langfristigen Auswirkungen wurden bislang aber kaum erforscht. Frühere Arbeiten, etwa die ISPOCD 1-Studie, fanden keinen Zusammenhang zwischen einer kurzfristigen postoperativen kognitiven Dysfunktion und der späteren Entwicklung einer Demenz. Allerdings fehlen Untersuchungen mit längerem Follow-up. Genau hier setzt eine neue Arbeit an.
Ein Forschungsteam hat anhand der Maastricht Aging Study (MAAS) untersucht, ob wiederholte Vollnarkosen das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen erhöhen. Dazu begleiteten sie 1.823 gesunde Erwachsene im Alter von 24 bis 86 Jahren über einen Zeitraum von zwölf Jahren.
Zu drei Zeitpunkten – zu Beginn, nach sechs und nach zwölf Jahren – wurden umfassende kognitive Tests durchgeführt. Bei der Aufnahme hatten die Probanden eine normale kognitive Leistungsfähigkeit. Sie berichteten selbst über frühere OPs, auf deren Basis erfahrene Anästhesisten die Narkoseexposition beurteilten. Getestet wurden exekutive Funktionen, verbales Gedächtnis, selektive Aufmerksamkeit, mentale Geschwindigkeit sowie die Informationsverarbeitung.
In die statistischen Auswertungen flossen neben Alter, Geschlecht und Bildung auch gesundheitliche Einflussfaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes und Rauchen ein. Ziel war es, möglichst präzise herauszufinden, ob und wie sich Narkosen auf das Denkvermögen im Alter auswirken.
Während der zwölfjährigen MAAS nahm die Gesamtzahl der Operationen unter Vollnarkose bei den Teilnehmern leicht zu – von durchschnittlich 1,78 auf 2,25 pro Person. Die mittlere Dauer der Narkoseexposition betrug rund 83 Minuten. Die Analyse zeigte: Eine längere Narkosedauer ging mit einem beschleunigten kognitiven Abbau einher – allerdings nur in bestimmten Bereichen. Besonders betroffen waren exekutive Funktionen, Aufmerksamkeit, mentale Geschwindigkeit und die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Diese Leistungen verschlechterten sich messbar, wenn auch nur leicht. Das verbale Gedächtnis blieb hingegen weitgehend stabil.
Neben der Narkose selbst spielten weitere Risikofaktoren eine Rolle. Ein höheres Alter, geringere Bildung, Diabetes mellitus und Rauchen verstärkten den kognitiven Abbau deutlich. Die Studienautoren betonen, dass gerade systemische Erkrankungen – wie Herz-Kreislauf-Leiden – einen wesentlichen Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit im Alter hätten.
Dennoch liefert die MAAS erstmals robustere Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Vollnarkose und geistigem Abbau – vermutlich auch, weil sie deutlich länger angelegt war und differenziertere Methoden nutzte. Die Ergebnisse sprächen dafür, Narkosen im höheren Alter sorgfältig abzuwägen – vor allem bei Menschen mit zusätzlichen gesundheitlichen Belastungen, heißt es im Artikel.
Die MAAS überzeugt durch ihren Aufbau: Mit einem prospektiven Design, einer langen Nachbeobachtungszeit von zwölf Jahren und einer umfassenden Erhebung verschiedener kognitiver Fähigkeiten bietet sie eine solide Grundlage für belastbare Ergebnisse.
Dennoch gibt es Einschränkungen: So beruhte die Erfassung der Operationszeiten auf Angaben der Teilnehmer, was zu Fehlern führen kann. Auch fehlen Daten zu möglichen intraoperativen Komplikationen sowie zu moderneren Anästhesietechniken – wie der totalen intravenösen Anästhesie (TIVA) –, die andere Effekte auf die kognitive Entwicklung haben könnten.
Alles in allem legt die Studie legt nahe: Wer im Laufe des Lebens häufiger Allgemeinanästhesien erhält, könnte langfristig mit leichten Einbußen seiner geistigen Leistungsfähigkeit rechnen. Zwar fällt dieser Effekt im Vergleich zum natürlichen Alterungsprozess eher gering aus – doch im Alltag könnten die Unterschiede durchaus relevant sein. Ärzte sollten auch unter diesem Aspekt sorgfältig abwägen, ob jede OP tatsächlich notwendig ist.
Quelle
Christoph H Pennings et al.: Anaesthesia as a risk factor for long-term cognitive decline: Results of the prospective MAAS cohort study. Eur J Anaesthesiol, 2025. doi: 10.1097/EJA.0000000000002133
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