Anders auszusehen, ist nicht nur ein psychisches, sondern oft auch medizinisches Problem. Wie man embryonale Fehlbildungen im Gesicht bestmöglich behandelt, erfahrt ihr hier.
Ein Hoch auf unsere aufgeklärten Zeiten! Glaubte man früher, schon der Anblick von Hasen während der Schwangerschaft könne zu Lippenspalten beim Nachwuchs führen, weiß man heute, dass dem nicht so ist. Vielmehr führen Genveränderungen dazu, dass rechte und linke Gesichtshälfte bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats nicht vollständig zusammenwachsen oder wieder aufbrechen.
Was man medizinisch tun kann, um Betroffenen gutes Atmen, Hören, Sprechen und auch Aussehen zu ermöglichen, fasst die soeben erschienene S3-Leitlinie „Therapie der Lippen-Kiefer-Gaumen-Fehlbildungen“ zusammen. Die Federführung hatten die Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und die für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde.
Obwohl Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen gehören, sind sie unterm Strich immer noch selten: In Deutschland suchen pro Jahr etwa 1.200 Betroffene medizinische Hilfe. Daraus ergibt sich eine herausfordernde Situation, denn auf jeden Behandler entfallen nur relativ wenige Patienten. Dabei ist die Therapie mit ihren besonderen Anforderungen an Chirurgie, Anästhesiologie, Zahnheilkunde, Logopädie und andere Fachgebiete sehr komplex.
Zudem gibt es mehr als ein Dutzend verschiedener Ausprägungen der Erkrankung – von der einfachen Lippenfissur bis hin zur Spalte des harten und weichen Gaumens mit beidseitiger Lippenspalte –, die sich „in Pathogenese und Symptomatik eklatant unterscheiden“, wie die Autoren schreiben. Dem steht eine relativ schwache Studienlage gegenüber, sodass „keine klaren Behandlungsempfehlungen existieren“. Die Leitlinie dürfte also hochwillkommen sein, eine Patientenleitlinie soll folgen.
Nur etwa die Hälfte der Fehlbildungen wird pränatal festgestellt; dabei hilft eine frühe Diagnose den Eltern, sich auf die Situation einzustellen. Bei positiver Familienanamnese oder Hinweisen im Routineultraschall soll deshalb im zweiten oder dritten Trimester der Schwangerschaft per speziellem Ultraschall gezielt nach Fehlbildungen gesucht werden.
Weil Neugeborenen das Saugen schwerfallen kann, geht es direkt nach der Geburt in erster Linie darum, das Baby satt zu bekommen, am besten mit Muttermilch. Hilfreich ist dabei eine Gaumenplatte, die Nasen- und Mundhöhle trennt und obendrein das Kieferwachstum günstig beeinflusst, was eine spätere Operation erleichtert.
Die Fehlbildungen zu operieren, hat bereits eine jahrhundertelange Tradition. Trotz tausender Studien hat sich kein standardisiertes Vorgehen etabliert. Deshalb sollte der Operateur auch seine eigene Expertise bei der Wahl der Therapie in die Waagschale werfen. Anspruchsvoll ist zudem die Narkose – obwohl unklar ist, ob Maske oder Intubation besser ist, raten die Autoren eindeutig zur Intubation.
Wenn die Luftströmung im Rachenraum gestört ist und beim Sprechen Luft durch die Nase entweicht, klingt die Stimme von Menschen mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten näselnd. Hier kann Sprechtraining helfen. Die Rolle der Logopäden und Sprachtherapeuten können dabei eventuell auch die Eltern übernehmen. Apropos Eltern: Studien zeigen, dass Gesichtsfehlbildungen des Kindes bei ihnen „Schock, Wut, Angst, Schuld, Trauer und Sorge“ auslösen können. Deshalb der Appell an Mutter und Vater: „Nur ein Kind, welches sich von seinen Eltern geliebt und so akzeptiert fühlt, wie es ist, kann sich normal entwickeln.“
Unsere aufgeklärten Zeiten berücksichtigen neuerdings völlig zu Recht auch das Befinden der Betroffenen. Wie die Deutsche Cleft Kinderhilfe auf ihrer Webseite spaltkinder.org schreibt, sollen deshalb die als abwertend empfundenen Tiervergleiche zur Bezeichnung der Fehlbildungen nicht mehr verwendet werden. Das gilt auch für den immer noch verbreiteten Begriff „Hasenscharte“.
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