In den sozialen Medien gilt Melatonin als Nonplusultra, wenn der Sandmann mal Verspätung hat. Dabei ist die Selbstmedikation nicht ganz ungefährlich.
Melatonin spielt als körpereigenes Hormon eine zentrale Rolle bei der Regulation unseres Schlaf-Wach-Rhythmus. Das Hormon der Dunkelheit orchestriert nicht nur unseren Schlaf, sondern ist in ein komplexes System körperlicher Funktionen eingebunden. Gerade in den sozialen Medien ist ein zunehmendes Interesse an Melatonin zu verzeichnen – was ist dran an dem Hype?
Melatonin wird vorwiegend von den Pinealozyten in der Zirbeldrüse (Epiphyse) – einem Teil des Zwischenhirns – produziert. Diese Produktion unterliegt einer strengen tagesrhythmischen Steuerung durch den circadianen Schrittmacher im suprachiasmatischen Kern des Hypothalamus. Besonders charakteristisch ist, dass die Melatoninproduktion durch Licht gehemmt wird. Bei Dunkelheit – also in der biologischen Nacht – wird diese Hemmung aufgehoben.
Neben der Zirbeldrüse gibt es weitere Produktionsorte im Körper, darunter den Darm und die Netzhaut des Auges. Das deutet auf die vielfältigen Funktionen des Hormons über die Schlafregulation hinaus hin.
Die Melatoninkonzentration im Körper folgt einem charakteristischen Tagesverlauf. Sie steigt im Laufe der Nacht deutlich an, wobei der Anstieg bei jungen Menschen um den Faktor zwölf und bei älteren Menschen um den Faktor drei erfolgt. Das Maximum wird gegen drei Uhr morgens erreicht, mit jahreszeitlich wechselnder Rhythmik. Mit zunehmendem Alter nimmt die natürliche Produktion ab – was ein Grund für die häufigeren Schlafprobleme bei älteren Menschen sein kann.
Als Hormon der Dunkelheit ist Melatonin maßgeblich an der Regulierung des circadianen Rhythmus beteiligt. Es wirkt auf Melatoninrezeptoren im Gehirn und fördert die Schlafinduktion sowie die Stabilisierung des circadianen Rhythmus. Durch die Koordinierung der circadian-rhythmischen Vorgänge im Körper entfaltet es seine Wirkung als zentraler Zeitgeber. Die schlaffördernde Wirkung beruht auf der Signalgebung an den Körper, dass die biologische Nachtphase begonnen hat. Dies erleichtert das Einschlafen und verbessert potenziell die Schlafqualität bei Menschen mit Schlafstörungen. Melatonin beeinflusst allerdings nicht nur den Schlaf, sondern auch weitere physiologische Prozesse: Untersuchungen zeigen, dass es akut den Blutzuckerspiegel beeinflussen kann.
Melatonin wird hauptsächlich zur Behandlung von Einschlafstörungen eingesetzt, besonders bei Erwachsenen ab 55 Jahren, bei denen die natürliche Produktion abnimmt. Eine Meta-Analyse von 19 Studien mit 1.683 Probanden ergab, dass Melatonin bei Kindern und Erwachsenen mit primären Schlafstörungen die Einschlafzeit um durchschnittlich 7 Minuten verkürzt, die Gesamtschlafzeit um 8 Minuten erhöht und die Schlafqualität verbessert. Besonders wirksam zeigt sich Melatonin bei der Behandlung des verzögerten Schlafphasensyndroms und bei der Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus bei blinden Patienten.
Die Bedeutung von Melatonin bei Jetlag und Schichtarbeit ist allgemein anerkannt, obwohl die Anwendung in diesem Zusammenhang teilweise umstritten ist. Eine systematische Cochrane-Übersichtsarbeit zeigte, dass Melatonin (1–10 mg) nach der Nachtschicht im Vergleich zu Placebo die Schlafdauer während des Tagesschlafs um 24 Minuten und des Nachtschlafs um 17 Minuten erhöhen kann. Besonders effektiv scheint es zur Minimierung der Auswirkungen des Jetlags zu sein – vor allem bei Menschen, die über 2–5 Zeitzonen hinweg nach Osten fliegen.
Bei Kindern und Jugendlichen zwischen zwei und 18 Jahren gibt es die Möglichkeit, Melatonin bei Autismus-Spektrum-Störung (ASS) oder dem Smith-Magenis-Syndrom einzusetzen. Bei diesen neurologischen Erkrankungen kann es als Einschlaf- bzw. Durchschlafmedikament dienen. In randomisierten, kontrollierten Studien verbesserte Melatonin bei Kindern mit neurologischen Erkrankungen die Latenzzeit beim Einschlafen.
Die Nebenwirkungen von Melatonin können dosisabhängig sein. Gastrointestinale Beschwerden wie Bauchkrämpfe, Durchfall und Übelkeit treten häufiger bei höheren Dosen (über 5 mg pro Tag) auf. Schläfrigkeit und Müdigkeit tagsüber, verminderte Wachsamkeit und andere Beeinträchtigungen können bei Dosen von 3 mg und höher auftreten, insbesondere wenn die Einnahmezeit zu nah an der Aufwachzeit liegt.
Als unerwünschte Folgen einer Melatonin-Einnahme bei gesunden Erwachsenen werden häufig ausgeprägte Tagesmüdigkeit, verringerte Aufmerksamkeit oder verlängerte Reaktionszeiten genannt. Dies kann besonders im Straßenverkehr oder bei bestimmten beruflichen Tätigkeiten das Unfallrisiko erhöhen. Weitere mögliche unerwünschte Effekte umfassen Kopfschmerzen, Blutdruckabfall, Reduktion der Körpertemperatur, Albträume, Kraftlosigkeit und Gangunsicherheit.
Eine aktuelle japanische Studie an männlichen Mäusen zeigt einen interessanten neuen Forschungsbereich: Nach Verabreichung von Melatonin (1 mg pro kg Körpergewicht) konnte eine deutliche Verbesserung des Langzeitgedächtnisses festgestellt werden. Die Studie identifizierte verschiedene Schlüsselproteine, die an dieser Gedächtnisverbesserung beteiligt waren, darunter die Proteine Kinase (ERK), Calcium/Calmodulin-abhängige Kinase IIα (CaMKIIα) und Creb. Diese Forschung könnte neue Perspektiven für mögliche kognitive Anwendungen von Melatonin eröffnen, obwohl die Übertragbarkeit auf den Menschen noch unklar ist.
Die derzeit vorhandenen Daten aus wissenschaftlichen Studien deuten darauf hin, dass Melatonin bei einigen Personengruppen gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorrufen kann. Untersuchungen an Erwachsenen zeigen beispielsweise, dass eine einmalige Einnahme von Melatonin akut den Blutzuckerspiegel beeinflussen kann, was besonders für Diabetiker relevant sein könnte.
Die therapeutische Anwendung von Melatonin bei Schlafstörungen, Jetlag und speziellen neurologischen Erkrankungen ist durch wissenschaftliche Studien gut belegt – wobei die Wirksamkeit je nach Indikation variiert. Die Einnahme sollte daher stets mit Vorsicht erfolgen, um dosisabhängige Nebenwirkungen zu vermeiden. Besonders für ältere Menschen mit nachlassender natürlicher Melatoninproduktion kann eine kontrollierte Supplementierung sinnvoll sein, während bei Kindern und Jugendlichen spezifische Indikationen und angepasste Dosierungen beachtet werden sollten.
Die aktuelle Forschung zum Einfluss von Melatonin auf das Gedächtnis sowie weitere physiologische Funktionen eröffnet neue Perspektiven für zukünftige Anwendungsgebiete, die über die klassische Schlafregulation hinausgehen. Wie immer sind jedoch weitere Studien jedoch notwendig, um das volle Potenzial wie auch mögliche Risiken dieses vielseitigen Hormons vollständig zu verstehen.
Schlaf- und Rhythmusregulator: Melatonin steuert den circadianen Rhythmus; seine körpereigene Produktion steigt nachts stark an, nimmt mit dem Alter ab und kann bei Schlafstörungen, Jetlag sowie beim verzögerten Schlafphasensyndrom therapeutisch (≙ 2–10 mg / Tag) eingesetzt werden.
Wirksamkeit und Zielgruppen: Meta-Analysen belegen eine moderate Verkürzung der Einschlafzeit und Verlängerung der Schlafdauer; besondere Nutzen zeigen sich bei älteren Erwachsenen, blinden Menschen sowie Kindern mit ASS oder Smith-Magenis-Syndrom.
Grenzen und Risiken: Wirkung ist dosisabhängig; höhere Dosen (> 3–5 mg) erhöhen u. a. Tagesmüdigkeit, gastrointestinale Beschwerden und Unfallgefahr; neue Tierdaten deuten zwar auf mögliche kognitive Effekte hin, doch sind weitere Studien nötig, um Chancen und Nebenwirkungen vollständig abzuschätzen.
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