Die Suizidraten junger Erwachsener mit Krebs steigen deutlich. Vor allem betroffen: junge Männer mit Hoden-, Haut- oder Schilddrüsenkrebs und guter onkologischer Prognose. Was läuft hier schief?
Rund 15.600 junge Menschen zwischen 15 und 39 Jahren erkranken jedes Jahr in Deutschland neu an Krebs. Oft handelt es sich um Hodgkin-Lymphome, Leukämien sowie Keimzelltumoren. Auch Schilddrüsenkarzinome, maligne Melanome und bestimmte Weichteil- oder Knochentumoren wie Osteosarkome treten in jungen Jahren vergleichsweise häufig auf. Frauen unter 40 erkranken mitunter an Mammakarzinomen.
Auch wenn zirka 80 Prozent aller jungen Krebspatienten geheilt werden, stellt die Krankheit ihr Leben radikal auf den Kopf. Ihre Diagnose trifft sie oft in der Ausbildung, im Studium oder bei der Familiengründung. Finanzielle Sorgen oder überstürzte Lebensentscheidungen belasten sie zusätzlich. Viele soziale und psychische Probleme verschwinden auch nach der onkologischen Heilung nicht – mit Folgen, wie eine neue Analyse in JAMA Network Open zeigt. Im Fokus standen Jugendliche und junge Erwachsene (AYA, adolescents and young adults, 15 bis 39 Jahre) mit Krebs.
Für ihre Arbeit haben die Forscher Daten aus dem SEER-Programm (Surveillance, Epidemiology, and End Results) des US National Cancer Institute ausgewertet. Insgesamt untersuchten sie über 4,4 Millionen Todesfälle von Krebsüberlebenden zwischen 2000 und 2021. Die Aufzeichnungen wurden nach Altersgruppen (15-39 Jahre, 40-59 Jahre, über 60 Jahre) und Geschlecht ausgewertet.
Von allen Todesfällen waren in der Kohorte 11.902 auf Suizid zurückzuführen – das entspricht 2,7 Suiziden pro 1.000 Todesfällen. Für das Jahr 2000 fanden die Wissenschaftler bei 4,9 von 1.000 Todesfällen männlicher AYA-Krebspatienten einen Suizid als Ursache. In allen anderen Alters- und Geschlechtsgruppen lagen die Raten deutlich niedriger, nämlich zwischen 0,4 und 3,1 pro 1.000 Todesfälle.
Bis zum Jahr 2021 stieg die Zahl der Suizide unter männlichen AYA-Krebspatienten jedoch drastisch an – auf 15,4 pro 1.000 Todesfälle. Zwar wurden auch in den übrigen Gruppen steigende Suizidraten verzeichnet, doch lagen diese mit Werten zwischen 0,6 und 7,4 weiterhin deutlich unter denen der jungen Männer mit Krebsdiagnose.
Eine detaillierte Auswertung zeigt: Bestimmte Krebsarten gingen trotz vergleichsweise guter onkologischer Prognosen bei jungen Patienten mit besonders hohen Suizidraten einher: weibliche AYA-Patienten mit Schilddrüsenkrebs (38,7 Suizide pro 1.000 Todesfälle), männliche AYA-Patienten mit Schilddrüsenkrebs (36,6 pro 1.000 Todesfälle), männliche AYA-Patienten mit Hodenkrebs (36,3 pro 1.000 Todesfälle) und männliche AYA-Patienten mit kutanem Melanom (24,4 pro 1.000 Todesfälle).
Bei jungen Frauen und Männern lagen durchschnittlich mehr als fünf Jahre zwischen Krebsdiagnose und Suizid. Viele Suizide ereignen sich offenbar nicht in der akuten Krankheitsphase, sondern Jahre später – möglicherweise aufgrund von psychischen Langzeitfolgen oder sozialen Belastungen. Die tatsächlichen Gründe bleiben unklar – die Arbeit zeigt lediglich Assoziationen.
Auch wenn einige Fragen offenbleiben – etwa zur genauen onkologischen Prognose –, ziehen die Studienautoren ein klares Fazit aus ihren Ergebnissen: Junge Menschen mit Krebs zählen zur Hochrisikogruppe für Suizide und benötigen deshalb besondere Aufmerksamkeit.
Um sie besser zu schützen, sollten psychosoziale Belastungen frühzeitig erkannt werden – zum Beispiel durch gezielte Screenings. Eine professionelle psychoonkologische Begleitung kann helfen, die emotionale Belastung zu bewältigen. Darüber hinaus brauchen viele Betroffene Unterstützung im Alltag: bei der Rückkehr in Ausbildung oder Beruf, bei Fragen zu Versicherungen oder bei der Finanzierung von Therapien und Rehabilitationsmaßnahmen. Hier leisten vor allem Sozialarbeiter, etwa an onkologischen Zentren oder bei der Deutschen Krebshilfe, wertvolle Hilfe.
Diese Quellen könnt ihr jungen Krebspatienten empfehlen (eine Auswahl):
Quelle
Koji Matsuo et al.: Suicide Deaths Among Adolescent and Young Adult Patients With Cancer. JAMA Netw Open, 2024. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.42964
Bildquelle: Renaldo Kodra, Unsplash