Patienten-Support-Programme sollen chronisch kranke Menschen über die ärztliche Therapie hinaus unterstützen. Wir haben mit dem Head of Medical Affairs von Biogen darüber gesprochen, wie das funktionieren kann.
Pharmazeutische Unternehmen wie Biogen setzen immer häufiger auf Patienten-Support-Programme (PSP), um Erkrankte über die ärztliche Versorgung hinaus zu unterstützen. Doch wie genau funktionieren solche Programme, welche Angebote gehören dazu – und welche Rolle spielen digitale Tools? Wir haben bei Andreas Bracher, Head of Medical Affairs bei Biogen, nachgefragt.
Herr Bracher, zu welchen Erkrankungen hat Biogen ein PSP aufgebaut?
Andreas BracherBracher: Biogen etabliert PSP in unterschiedlichen Indikationsbereichen mit dem Ziel, Patientinnen und Patienten bzw. deren Angehörige bestmöglich während der Therapie zu begleiten. Im Bereich Multiple Sklerose (MS) verfügen wir über langjährige Erfahrung. Für seltene Erkrankungen, zum Beispiel die Friedreich-Ataxie (FA) oder die Spinale Muskelatrophie (SMA), befinden sich entsprechende Programme in Planung.
Unser Ansatz ist, PSP stets indikationsspezifisch und patientenzentriert zu gestalten, um den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden und so Therapieadhärenz, Lebensqualität und Versorgungskontinuität zu fördern.
Welche typischen Leistungen gehören zu einem PSP?
Bracher: Unsere PSP legen den Fokus auf eine enge, kontinuierliche Begleitung von Patientinnen und Patienten durch geschulte Fachkräfte. Dabei setzen wir gezielt auf regelmäßige telefonische Kontakte, die im Rahmen eines Coachings unter Anwendung der Motivational Interviewing-Technik [der motivierenden Gesprächsführung] stattfinden. Dieses evidenzbasierte Vorgehen ermöglicht es Betroffenen, individuelle Strategien im Umgang mit ihrer Erkrankung und mit der ärztlich verordneten Therapie zu entwickeln.
Darüber hinaus erkennen wir den wachsenden Bedarf an digitalen Lösungen, insbesondere bei jüngeren Menschen sowie bei Personen mit krankheitsbedingten Einschränkungen, etwa in der Sprach- oder Hörverarbeitung. Digitale Formate sind hier eine wichtige Ergänzung, um den Zugang zu unseren Unterstützungsangeboten barriereärmer, flexibler und alltagsnah zu gestalten.
Welchen Mehrwert bieten ihre PSP?
Bracher: Regelmäßige Evaluationen und strukturiertes Feedback der Teilnehmenden zeigen deutlich, dass unsere Programme einen wichtigen Beitrag zum Patient Empowerment leisten. Sie fördern das Verständnis für die verordnete Therapie und unterstützen die Patientinnen und Patienten dabei, diese eigenständig und sicher anzuwenden.
Darüber hinaus konnten wir in bestimmten Indikationen – etwa bei Multipler Sklerose – auch positive Effekte auf die Therapieadhärenz und -persistenz nachweisen. Ebenso wurde ein verbesserter Umgang mit kontrollierbaren Nebenwirkungen dokumentiert und in Fachkreisen publiziert.
Wie gelingt es Ihnen, Patienten anzusprechen und an ein PSP zu binden?
Bracher: Die wichtigste Rolle kommt den behandelnden Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften zu. Ihr Vertrauen und ihre Empfehlung sind für viele Menschen ausschlaggebend, sich mit einem Begleitangebot auseinanderzusetzen. Nachweislich tragen auch von Patientinnen und Patienten geteilte Informationen zur Anmeldung an unseren Programmen bei.
Durch eine bedürfnisorientierte Betreuung schaffen wir einen echten Mehrwert im Alltag der Menschen. Entscheidend ist dabei ein niederschwelliger Zugang, ein vertrauensvoller Austausch sowie die erlebbare Unterstützung, die Patientinnen und Patienten in ihrer persönlichen Therapiesituation stärkt.
Welchen Nutzen haben Sie als pharmazeutisches Unternehmen von PSP?
Bracher: Die Entscheidung für eine bestimmte Therapie liegt ausschließlich in der Verantwortung der behandelnden Ärztinnen bzw. Ärzte und erfolgt im engen Dialog mit den Patientinnen und Patienten. Erst nach dieser Entscheidung und nach einer aktiven Anmeldung im PSP setzen wir mit unserer Unterstützung an – und zwar ausschließlich für die verordnete Therapie (...).
Als Unternehmen profitieren wir indirekt davon, dass eine informative und engagierte Patientenversorgung zu einer stabilen, nachhaltigen Anwendung der zugelassenen Therapien beiträgt – im Sinne einer qualitativ hochwertigen Versorgung entlang ärztlicher Verordnungen.
Wie können PSP mit anderen Akteurinnen und Akteuren vernetzt werden?
Bracher: Aus unserer Sicht ist es wünschenswert, dass – im Rahmen der gesetzlichen und regulatorischen Möglichkeiten – alle relevanten Akteure im Gesundheitswesen gemeinsam zum Wohle der Patientinnen und Patienten handeln. Dazu gehört insbesondere, transparent über bestehende Therapiebegleitprogramme zu informieren und deren Nutzen sichtbar zu machen.
Eine enge Vernetzung mit behandelnden Ärztinnen, Ärzten und medizinischem Fachpersonal ist dabei zentral, da sie eine vertrauensvolle Schnittstelle zur Patientenschaft darstellen. Ebenso sind Patientenorganisationen wichtige Partner, wenn es darum geht, Bedarfe sichtbar zu machen, Informationslücken zu schließen und Programme noch zielgerichteter auszurichten.
Wir setzen uns dafür ein, dass PSP als ergänzender Bestandteil einer qualitativ hochwertigen Versorgung verstanden werden – getragen durch eine verantwortungsvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Welche Hürden gibt es bei der Implementierung und Durchführung von PSP?
Bracher: Eine zentrale Herausforderung ist, die behandelnden Ärztinnen und Ärzte vor Ort umfassend und transparent über Zielsetzung, Inhalte und Mehrwert der Programme zu informieren.
Es ist uns besonders wichtig, deutlich zu machen, dass unsere Angebote ausschließlich der Unterstützung der Menschen dienen und dabei ausdrücklich nicht in die ärztliche Therapiehoheit eingreifen. Die Programme sind als ergänzende Maßnahme zur Stärkung der Patientenkompetenz und zur Förderung der sicheren Anwendung der ärztlich verordneten Therapie gedacht.
Eine klare Kommunikation, Vertrauensbildung im Gesundheitsumfeld sowie die Einhaltung aller regulatorischen Rahmenbedingungen sind daher essenziell für eine erfolgreiche und nachhaltige Umsetzung unserer PSP.
Herr Bracher, vielen Dank!
Bildquelle: Mit Midjourney erstellt