Sinneszellen in der Harnröhre, die schmecken können – diesen neuen Zelltyp haben Forscher nun entdeckt. Die in der Schleimhaut angesiedelten Sinneszellen „schmecken“ von außen eindringende Bakterien und können somit mögliche Harnwegsinfektionen früh erkennen.
„Dass neue Molekülvarianten entdeckt werden und ihre Funktion entschlüsselt wird, ist in den Biowissenschaften fast schon auf der Tagesordnung. Dass aber eine ganze Zelle bisher übersehen blieb und erst jetzt entdeckt wird, ist schon eine Überraschung“, so Prof. Dr. Wolfgang Kummer, Institut für Anatomie und Zellbiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Harnwegsinfektionen entstehen meistens dadurch, dass Bakterien von außen über die Harnröhre eindringen. Wachsende Bakterien geben verschiedenste Substanzen in die Umgebung ab, darunter solche, die wir auf der Zunge als „bitter“ empfinden. Auch freie Aminosäuren wie Glutamat, das wir als Geschmacksverstärker kennen oder auch als „umami“, können bei einem solchen Infekt vermehrt auf der Schleimhaut vorliegen und ihn auch begünstigen. Sowohl bitter als auch umami haben daher in der Harnröhre nichts zu suchen und sind ein Gefahrensignal. Die neu entdeckten Sinneszellen können es wahrnehmen und eine Reaktion darauf einleiten.
Dr. Klaus Deckmann aus dem Institut für Anatomie und Zellbiologie der JLU konnte mit Unterstützung von Dr. Martin Fronius und Dr. Mike Althaus aus dem Institut für Tierphysiologie der JLU zeigen, dass die neu entdeckte Sinneszelle auf bitter, umami und auch abgetötete Bakterien reagiert und dabei genauso funktioniert wie die Geschmackszellen unserer Zunge. Gemeinsam mit Prof. Dr. Jochen Klein von Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt und PD Dr. Dr. Thomas Bschleipfer von der Gießener Urologischen Universitätsklinik konnte auch aufgeklärt werden, was dann geschieht: Diese Zelle erregt über den chemischen Botenstoff Azetylcholin die Nervenfasern und leitet so über einen Reflex Kontraktionen der Blasenmuskulatur ein. Der gefährliche Inhalt soll aus der Harnröhre herausgespült werden. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Sinneszelle und der neu entdeckte Reflex eine wichtige Rolle spielen sowohl bei der Entstehung von Harnwegsinfekten als auch bei Erkrankungen mit unangemessenem Harndrang (überaktive Blase). Originalpublikation: Bitter triggers acetylcholine release from polymodal urethral chemosensory cells and bladder reflexes Klaus Deckmann et al.; PNAS, doi: 10.1073/pnas.1402436111; 2014