Patienten fühlen sich beim Facharzt besonders gut aufgehoben. Am liebsten gehen sie direkt zu mehreren Experten und landen letztlich doch bei mir in der Hausarztpraxis. Das ist nicht effizient – und kann gefährlich sein.
„Lass da mal ’nen Fachmann ran“ ist ein Spruch, den ich seit Kindesbeinen kenne, von dem ich ehrlich gesagt gar nicht weiß, ob er nur in meiner Familie verbreitet war. Bei einer kurzen Recherche hab ich nur herausgefunden, dass er ähnlich in einer TKKG-Folge vorkommt. Mir kam dieser Satz jedenfalls ein paar Mal im Gespräch mit Patienten in den Sinn, wenn sie betonten, dass sie ja beim FACHarzt waren. Für ihr Herz, ihren Magen, ihre Gelenke oder ihre Schilddrüse. Und dass ja nur der die notwendigen Kontrollen durchführen könne, weshalb sie da ab jetzt jährlich hingehen sollten.
Ich hab da so meine Probleme mit. Denn mein Eindruck ist, dass vor lauter Kontrollterminen manchmal die Zeit für akute Probleme fehlt, die ich in meiner Praxis nicht lösen kann und für die ich die Unterstützung der Kollegen dringend benötige.
Aber fangen wir vorne an. Es geht ja schon los mit dem „Fach“ in Facharzt. Meine Mutter war (bis sie schwerst erkrankte) noch praktische Ärztin, also praktizierende Ärztin ohne Facharzt. Das war damals auch in der Niederlassung möglich, wurde aber im Verlauf abgeschafft, sodass heute auch alle niedergelassenen Hausärzte Fachärzte sind. Die meisten sind Facharzt für Allgemeinmedizin oder hausärztlich tätige Internisten. Wir sind also auch Fachärzte – werden aber so nicht wahrgenommen. „Haus- und Facharzt“ ist auch in den Medien eine gängige Gegenüberstellung und auch ich benutze diese Terminologie aus Gewohnheit. Obwohl das bei Patienten dazu führt, dass wir oft genug als weniger qualifiziert wahrgenommen werden. Wir sind ja in dieser Darstellung eben keine Fachärzte. Dabei sind wir das sehr wohl – aber eben „Facharzt für den ganzen Menschen“, wie ich häufiger mal als Definition gelesen habe. Und nicht der klassische Facharzt, der primär für ein Organ zuständig ist.
Wobei selbst das nicht mehr gilt. Ich kenne noch allgemeine Internisten. Dann wurde aufgespalten in Kardiologie, Gastroenterologie, Hämatonkologie, Nephrologie, etc. – und auch das reicht heutzutage nicht mehr. Da unser Wissen immer weiter zunimmt, wird z. B. in der Kardiologie häufig ein separater Rhythmologe abgegrenzt. Wenn ich Pech habe, muss mein Patient mit Herzproblemen nicht mehr nur zu EINEM Organ-Facharzt, sondern allein wegen des Herzens zu zweien. Die wiederum machen beide kaum noch die Durchblutungsuntersuchungen bei KHK. Dafür muss er noch zum Nuklearmediziner.
Ich verstehe grundsätzlich, dass unser Wissen immer weiter wächst und man mit der Ausdifferenzierung versucht, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Für mich ergeben sich dabei zwei Probleme.
Erstens brauche ich, wenn ich diese Differenzierung ausreize, immer mehr Termine bei verschiedenen Ärzten (und damit mehr Ärzte). Deutsche Patienten haben laut OECD deutlich mehr Arztkontakte als der internationale Durchschnitt – etwa 15 % haben sogar 11 Kontakte oder mehr pro Jahr (wobei die Zahlen leider von 2021 sind und eher noch zugenommen haben dürften). Das bedeutet auch, dass in Zeiten knapper Ressourcen mehr Geld pro Versichertem ausgegeben wird. Denn jeder dieser Fachärzte möchte ja auch für seine Arbeit bezahlt werden – aufgrund der längeren Ausbildungszeit und stärkeren Spezialisierung eher mehr denn weniger als wir „nur Hausärzte“. Und sei es nur für ein kurzes Händeschütteln und eine entsprechende Anamnese („Gibt es eine Verschlechterung? Nein? Dann sehen wir uns in einem Jahr wieder“) oder das jährliche Echo, das schon seit Jahren stabil ist.
Zweitens führt die immer weitere Spezialisierung natürlich dazu, dass man einen schmaleren Bereich immer besser kennt, dies aber auf Kosten der Breite geht. Und das merken wir Hausärzte auch, wenn ein Patient von Spezialist zu Spezialist weitergereicht wird, weil jeder nur seinen Standard durchzieht. Dann wird es irgendwann blöd: Jemand geht wegen Belastungsdyspnoe primär zum Lungenfacharzt (der ist ja der Spezialist für Atmung). Dieser findet nichts Auffälliges und schickt den Patienten zum Kardiologen (also zum Herzspezialisten). Dieser wiederum macht nur ein Echo, das unauffällig ist. Gegebenenfalls schickt er den Patienten bei V. a. KHK dann noch zum Nuklearmediziner – der aber auch keine Auffälligkeiten feststellt. Dann sitzt der Patient vor uns und wir sehen, dass seine Luftnot von einer Anämie kommt. Aber bis dahin sind Monate ins Land gegangen, weil ja jeweils auf die Termine gewartet werden musste. Bei einem gastrointestinalen Tumor als Anämieursache kann das ziemlich ungünstig sein.
Was also tun in dieser zersplitterten Fachwelt? Letztlich bleiben meiner Meinung nach nur zwei Möglichkeiten, die glücklicherweise schon eingesetzt werden, aber noch ausbaufähig sind.
Es bleibt zu hoffen, dass dieser Weg jetzt gegangen wird. Denn ich finde immer noch, dass genau diese Art der Medizin auch extrem befriedigend ist in dieser oft so fragmentierten Zeit: der (Haus-)Arzt für den GANZEN Menschen zu sein.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney