Kann Vitamin D die Heilung nach einer Knie- und Hüftgelenkersatz-Operation verbessern? Spoiler: Die Antwort ist ein klares Jein.
Für Eilige gibt’s am Ende eine kurze Zusammenfassung.
Vitamin D trägt zur Knochengesundheit und zur Leistungsfähigkeit der Muskeln bei. Es fördert die Aufnahme von Kalzium aus der Nahrung und seine Einlagerung in die Knochen, was zur Härtung der Knochen beiträgt. Außerdem gibt es Hinweise, dass eine Vitamin-D-Einnahme Entzündungen günstig beeinflussen kann. All dies könnten Faktoren sein, die zu einem günstigen Verlauf nach einer Gelenkersatz-Operation beitragen. Ob sich die Gabe von Vitamin D vor einer solchen Operation positiv auf den Verlauf nach der OP auswirken könnte, wird bisher kontrovers diskutiert.
Ergebnisse von randomisiert-kontrollierten Studien (RCT) der letzten fünf Jahre deuten darauf hin, dass ein Vitamin-D-Mangel mit einem schlechteren Verlauf nach einer Gelenkersatz-Operation einhergehen könnte und dass eine Supplementierung mit Vitamin D rund um die Operation dazu beitragen könnte, Brüche, Infektionen und anderen Komplikationen nach der OP zu verringern. Allerdings sind die Ergebnisse der Studien nicht ganz eindeutig. Medizinische Fachgesellschaften empfehlen bisher nicht, vor einer Gelenkersatz-Operation routinemäßig den Vitamin-D-Spiegel zu testen oder vorsorglich Vitamin D einzunehmen.
Das Thema wird jedoch immer wichtiger, weil die Zahl der Gelenkersatz-Operationen steigt. So werden in den USA nach Angaben des American College of Rheumatology jedes Jahr etwa 790.000 Kniegelenkersatz-Operationen und etwa 544.000 Hüftgelenkersatz-Operationen durchgeführt. In Deutschland gab es im Jahr 2022 etwa 178.000 Hüftgelenk-Erstimplantationen und etwa 137.000 Kniegelenk-Erstimplantationen. Das ist ein neuer Höchststand.
Zudem ist ein Vitamin-D-Mangel in der Bevölkerung relativ häufig. So hat eine Studie gezeigt, dass etwa 20 % der Erwachsenen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren, die nicht in einer Institution wie etwa in einem Heim lebten, einen Vitamin-D-Mangel haben. Dieser war zugleich mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko verbunden.
Die Endocrine Society in den USA empfiehlt eine Vitamin-D-Einnahme für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre, für Schwangere und für Erwachsene über 75 Jahre. Bei anderen Erwachsenen wird eine Supplementierung über die tägliche Vitamin-D-Aufnahme mit der Nahrung hinaus nicht empfohlen. Auch die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) lautet, nur dann Vitamin-D-Präparate einzunehmen, wenn eine unzureichende Vitamin-D-Versorgung nachgewiesen wurde und wenn eine ausreichende Versorgung weder durch die Ernährung noch durch ausreichende Sonnenbestrahlung sichergestellt werden kann.
Die Empfehlungen der US Preventive Services Task Force (USPSTF) von 2018, die sich mit der Vitamin-D-Einnahme zur Vermeidung von Knochenbrüchen bei im eigenen Haushalt lebenden Erwachsenen beschäftigt, werden zur Zeit überarbeitet. Bisher wird hier das Thema Vitamin-D-Einnahme vor Gelenkersatz-Operation nicht angesprochen. In der medizinischen Grundversorgung werden Vitamin-D-Screenings immer häufiger durchgeführt. Die USPSTF kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Evidenz für den Nutzen eines routinemäßigen Vitamin-D-Screenings bei Erwachsenen ohne Symptome bisher unzureichend ist.
Eine randomisiert-kontrollierte Studie mit 107 Patienten, von denen die Hälfte am Morgen vor einer Kniegelenkersatz-Operation 50.000 IE (internationale Einheiten) Vitamin D erhielt, fand im Hinblick auf Komplikationen nach der Operation und Verbesserungen der Funktionsfähigkeit des Knies keine signifikanten Unterschiede zwischen den Patientengruppen. Eine weitere Studie mit 1.080 Patienten kam zu dem Ergebnis, dass Patienten mit einem Vitamin-D-Spiegel unter 30 ng/dL (Nanogramm pro Deziliter), die in den zwei Wochen vor einer Knie- oder Hüftgelenkersatz-Operationen einmalig 300.000 IE Vitamin D erhielten, in den ersten 90 Tagen nach der Operation signifikant weniger Komplikationen, weniger Wundinfektionen und weniger postoperative Cellulitis hatten als die Patienten der Kontrollgruppe, die kein Vitamin D erhielten. Allerdings waren beide Gruppen nicht nach Alter, Geschlecht und anderen Faktoren gematcht und in der Kontrollgruppe wurde der Vitamin-D-Spiegel nicht bestimmt.
Eine Review-Studie von 2022 fand nur drei methodisch höherwertige Studien, die den Nutzen einer Vitamin-D-Gabe im Umfeld einer Knie- oder Hüftgelenkersatz-Operation untersucht haben: Zwei RCT und eine prospektive Kohortenstudie. Eine der RCT kam zu dem Ergebnis, dass eine Multivitamin-Gabe im Vergleich zu Placebo mit einer geringeren Rate von Entzündungen nach einer Kniegelenkersatz-Operation assoziiert war. Dieser Effekt konnte jedoch nicht direkt auf Vitamin D zurückgeführt werden. Weitere günstige Effekte von Vitamin D auf den Verlauf nach der Operation wurden nicht gefunden. Alle drei Studien wiesen Einschränkungen auf. Außerdem wurden unterschiedliche Vitamin-D-Dosierungen zu verschiedenen Zeitpunkten rund um die Operation verwendet. Um beurteilen zu können, ob ein Vitamin-D-Mangel vor einer Gelenkersatz-Operation ein Risikofaktor für den postoperativen Verlauf ist und ob sich dieser durch eine Vitamin-D-Supplementierung günstig beeinflussen lässt, sollten weitere RCT mit einer ausreichenden Patientenzahl durchgeführt werden, schreiben die Autoren.
Eine Review und Metaanalyse von 2020, die 18 Studien einbezog, ergab, dass über die Studien hinweg 53,4 Prozent der Patienten vor einer Knie- oder Hüftgelenkersatz-Operation eine Vitamin-D-Insuffizienz (Vitamin-D-Spiegel von 20 bis unter 30 ng/ml) und 39,4 Prozent einen Vitamin-D-Mangel (Vitamin-D-Spiegel unter 20 ng/ml) hatten. Ein Vitamin-D-Mangel war mit einer höheren Komplikationsrate nach der Operation verbunden. Allerdings waren die Ergebnisse der Studien sehr heterogen, sodass die Autoren auch hier zu dem Schluss kommen, dass ein Zusammenhang zwischen einem Vitamin-D-Mangel und Komplikationen nach einer Operation wie Entzündungen oder Gelenksteifheit nicht als ausreichend gesichert gelten kann. Da ein Vitamin-D-Mangel jedoch häufig vorkomme und ein Zusammenhang mit Komplikationen nach der Operation wahrscheinlich sei, lautet ihr Fazit: „Ein präoperatives Screening auf einen Vitamin-D-Mangel könnte für Patienten vor einer Knie- oder Hüftgelenkersatz-Operation von Nutzen sein und sollte in Erwägung gezogen werden.“
Eine aktuelle Literatur-Review und Metaanalyse von 2024, in die drei Metaanalysen und sieben weitere Studien einbezogen wurden, ergab wiederum, dass ein Vitamin-D-Mangel in vier Studien mit schlechteren funktionalen Ergebnissen nach einer Knie- oder Hüftgelenkersatz-Operation, einem längeren Aufenthalt im Krankenhaus, einem erhöhten Risiko für eine erneute Operation und einer höheren Rate an Wundinfektionen und postoperativer Steifheit verbunden war. Weiterhin wurde in sechs Studien eine Verbesserung des postoperativen Verlaufs bei einer Vitamin-D-Supplementierung gefunden.
Sollten Ärzte ihren Patienten also empfehlen, vor einer Knie- oder Hüftgelenkersatz-Operation ihren Vitamin-D-Spiegel bestimmen zu lassen oder vorsorglich Vitamin D einzunehmen? „Wenn jemand einen niedrigen Vitamin-D-Spiegel hat, ist es eine gute Idee, vor einer geplanten Operation eine Vitamin-D-Supplementierung in Erwägung zu ziehen“, sagt Claudette M. Lajam. Sie ist Professorin für orthopädische Chirurgie an der New York University Grossman School of Medicine in New York City (USA) und Sprecherin der American Academy of Orthopaedic Surgeons. „Wenn es einen möglichen Nutzen und keine schädlichen Auswirkungen hat, warum sollte man es nicht tun?“ Vitamin-D-Level werden jedoch vor Operationen häufig aus Kostengründen nicht routinemäßig bestimmt.
Auch die Vermeidung von Brüchen über oder unter dem Gelenk-Implantat – so genannten periprothetischen Frakturen – könnte ein wichtiger Grund dafür sein, den Vitamin-D-Status von Patienten vor der Operation im Blick zu haben und zu optimieren. So liegt die Zahl der periprothetischen Frakturen nach Kniegelenkersatz-Operationen zwischen 0,3 und 5,5 Prozent und nach Hüftgelenkersatz-Operationen zwischen 0,1 und 18 Prozent. Darüber hinaus haben Untersuchungen gezeigt, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel mit einer erhöhten Sturzrate verbunden ist. Und Stürze sind wiederum ein Risikofaktor für Knochenbrüche.
Viele ältere Patienten leiden an Osteoporose und haben daher ein erhöhtes Risiko für periprothetische Frakturen. Amerikanische Kliniken wie das Hospital for Special Surgery in New York City empfehlen daher, dass Frauen nach der Menopause und Männer über 70 Jahre, bei denen eine Gelenkersatz-Operation ansteht, einen Knochendichte-Test machen sollten, wenn sie dies nicht bereits in den letzten zwei Jahren getan haben. Wenn sich dabei herausstellt, dass sie Osteoporose haben, wird auch ihr Vitamin-D-Spiegel bestimmt. Wird ein Vitamin-D-Mangel festgestellt, wird dieser mit Vitamin-D-Gaben behandelt.
Weiterhin sei es wichtig, Patienten im Blick zu haben, bei denen bereits ein niedriger Vitamin-D-Spiegel festgestellt und denen eine Vitamin-D-Einnahme verordnet wurde, so Lajam. „Manche Patienten nehmen es jedoch möglicherweise nicht oder nicht regelmäßig ein“, sagt die Expertin. Vor einer Gelenkersatz-Operation sollten sie daher nochmals motiviert werden, das Vitamin regelmäßig einzunehmen, weil es sonst zu Komplikationen nach der Operation kommen könne. Kennen die Patienten die Zusammenhänge, könnte sie dies motivieren, stärker auf eine regelmäßige Einnahme zu achten – möglicherweise auch längerfristig über die Operation hinaus.
Insgesamt ist es sinnvoll, den Gesundheitszustand von Patienten vor einer Operation zu optimieren, weil dies den Verlauf nach der Operation günstig beeinflussen kann. Dazu gehört eine gutes Managment von Ernährung, Übergewicht und Diabetes – und ein guter Vitamin-D-Status. Idealerweise sollte auf diese Aspekte unabhängig von einer Operation oder schon Monate vorher hingearbeitet werden.
Bei Gelenkersatz-Operationen sollte besonders darauf geachtet werden, dass eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D und Kalzium sichergestellt ist. So empfiehlt das Komitee perioperatives Management der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik e. V. in einer aktuellen Stellungnahme, vor Knie- und Hüftgelenk-Operationen die Ernährung zu optimieren und dabei auch Vitamin D zu supplementieren, um das Risiko von Komplikationen zu reduzieren und die Genesung zu fördern. Möglicherweise wird eine präoperative Bestimmung und Optimierung des Vitamin-D-Spiegels bald zu den Routine-Maßnahmen vor einer Gelenkersatz-Operation gehören.
Zusammenfassung für Eilige:
Vitamin-D-Mangel: Ein Mangel ist besonders bei älteren Menschen häufig und kann das Risiko für Komplikationen nach einer Gelenkersatz-Operation möglicherweise erhöhen.
Uneindeutige Studienlage: Einige Studien zeigen positive Effekte durch Vitamin-D-Gabe, andere finden keinen eindeutigen Nutzen.
Keine klaren Empfehlungen: Eine routinemäßige Testung oder vorbeugende Supplementierung wird deshalb nur bei nachgewiesenem Mangel empfohlen.
Präoperative Vorbereitung: Eine gute Ernährung sowie eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D und Kalzium könnten den Heilungsverlauf nach der Operation verbessern.
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