Einst Hoffnungsträger in der Influenza-Therapie, scheiterte Baloxavir am G-BA. Neue Daten rücken das antivirale Medikament wieder ins Rampenlicht. Zeit für eine Neubewertung?
Für Eilige gibt’s am Ende eine Zusammenfassung.
Weltweit infizieren sich Jahr für Jahr 5 bis 15 Prozent der Weltbevölkerung mit dem Influenzavirus. Dabei kommt es zu 3 bis 5 Millionen schweren Krankheitsverläufen. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jährlich zwischen 290.000 und 650.000 Menschen an den Folgen der saisonalen Influenza. Besonders gefährdet sind ältere Personen, Schwangere, Menschen mit chronischen Erkrankungen oder einem geschwächten Immunsystem – bei ihnen kann eine Grippe zu schweren Komplikationen führen.
In erster Linie schützen Impfungen vor schweren Folgen einer Infektion. Doch Ärzten stehen verschiedene antivirale Medikamente zur Verfügung, darunter Oseltamivir (Tamiflu®), Zanamivir (Relenza®) und Baloxavir marboxil (Xofluza®). Diese Medikamente zielen darauf ab, den Krankheitsverlauf zu verkürzen und schwere Verläufe zu verhindern.
Sie wirken auf unterschiedliche Weise: Neuraminidase-Hemmer wie Oseltamivir und Zanamivir blockieren die Neuraminidase auf der Oberfläche der Viren. Das Enzym ist notwendig, um neue Viruspartikel aus der infizierten Wirtszelle freizusetzen. Wird es inhibiert, bleiben Viren an der Zelloberfläche „kleben“ – und die Infektion breitet sich nicht weiter aus.
Baloxavir marboxil unterscheidet sich in seinem Wirkmechanismus grundlegend von klassischen Neuraminidase-Hemmern. Das Medikament wird im Körper in seinen aktiven Metaboliten Baloxavir umgewandelt. Baloxavir inhibiert die CAP-Endonuklease – ein Enzym, das Grippeviren benötigen, um ihre RNA zu vervielfältigen. Dieser Mechanismus macht Baloxavir zu einer interessanten Alternative, vor allem für Patientengruppen mit erhöhtem Risiko. Nur, welchen Mehrwert bietet der Wirkstoff im Vergleich zu anderen Therapien?
Genau diese Frage haben Wissenschaftler jetzt mit einer systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse untersucht. Ihre große Auswertung von 73 klinischen Studien mit insgesamt über 34.000 Teilnehmenden zeigt: Antivirale Medikamente stoßen bei Influenza an ihre Grenzen. Doch es gibt Unterschiede.
Keines der untersuchten Virostatika konnte im Vergleich zu Placebo oder Standardtherapien das Sterberisiko senken, weder bei Patienten mit geringem noch mit erhöhtem Risiko. Auch vor Klinikaufenthalten schützten die antiviralen Mittel Menschen mit nicht-schwerer Influenza und niedrigem Komplikationsrisiko kaum. Für Hochrisikopatienten zeigte Oseltamivir keinen relevanten Effekt, während Baloxavir den Anteil der Krankenhauseinweisungen leicht senken konnte (-1,6 %). Allerdings ist die Aussagekraft hier gering (niedrige Sicherheit). Aufgrund der hohen Zahl an Grippepatienten könnten aber selbst kleine Änderungen von Nutzen sein.
Bei der Dauer der Symptome schnitt Baloxavir besser ab. Es konnte die Krankheitsdauer im Schnitt um etwa einen Tag verkürzen (-1,02 Tage; moderate Sicherheit). Oseltamivir hatte in dieser Analyse wahrscheinlich keinen klinisch relevanten Einfluss auf die Dauer der Symptome (-0,75 Tage). Interessant wäre auch, weitere Endpunkte wie die Zahl der Krankheitstage oder des Zeitraums mit Virusausscheidung (Shedding) zu untersuchen. Darauf gibt die Arbeit keine Antworten.
Was Nebenwirkungen betrifft, schnitt Baloxavir gut ab: Es kam kaum zu Beschwerden. Oseltamivir hingegen erhöhte das Risiko für Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Erbrechen leicht.
Alles in allem könnte Baloxavir bei Patienten mit Risikofaktoren und nicht schwerer Influenza das Risiko für eine Krankenhauseinweisung senken. Zudem verkürzt der Wirkstoff möglicherweise die Zeit bis zum Abklingen der Symptome – und das, ohne die Häufigkeit unerwünschter Nebenwirkungen zu erhöhen.
Wenig überraschend sieht die WHO Baloxavir marboxil deshalb als Behandlungsoption bei unkomplizierter Influenza an. WHO-Experten empfehlen vor allem bei Erwachsenen mit unkompliziertem Verlauf einen frühzeitigen Therapiebeginn – idealerweise innerhalb der ersten 48 Stunden nach Symptombeginn. Die einmalige orale Einnahme und die direkte Hemmung der viralen Endonuklease machen den Wirkstoff zu einer Alternative zu Neuraminidase-Hemmern.
Hierzulande ist die Sachlage anders. Bereits im Jahr 2021 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Baloxavir marboxil geprüft – mit einem klaren Ergebnis: Ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie wurde nicht festgestellt.
Zwar zeigte Baloxavir in Studien eine moderate Verkürzung der Symptomdauer bei unkomplizierter Influenza, jedoch ohne klaren Vorteil gegenüber Oseltamivir als Vergleichstherapie. Auch schwerwiegende Endpunkte wie Hospitalisierungen oder Komplikationen wurden nicht signifikant beeinflusst.
Die Folge: Keine Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen – der Hersteller zog das Medikament vom deutschen Markt zurück. Aus damaliger Sicht war die Entscheidung des G-BA formal korrekt, wenn auch konservativ. Nach der Metaanalyse wäre es an der Zeit, den Zusatznutzen erneut zu bewerten.
Für Eilige das Wichtigste auf einen Blick
Bildquelle: Luke Stackpoole, Unsplash