Flavonoide, Lignane, Stilbene: Polyphenole sind wertvoll für den Stoffwechsel. Eine Langzeitstudie schaut nun ganz genau hin – werden die Substanzen ihrem Ruf als Gefäßputzer gerecht?
Polyphenole gehören zu den durchweg positiv konnotierten Inhaltsstoffen pflanzlicher Lebensmittel. Die Evidenz aber fußt größtenteils auf Querschnittsstudien mit kleinen Probandenzahlen und fehlender Stratifizierung nach unterschiedlichen Polyphenolklassen. Nun wurden die Ergebnisse einer probandenstarken Longitudinalstudie zur Polyphenolwirkung vorgelegt. Im Fokus: das metabolische Syndrom und kardiometabolische Folgeerkrankungen.
Empfohlen wird in der Regel eine Ernährungsweise, die möglichst viele naturbelassene pflanzlichen Lebensmitteln beinhaltet. Diese Empfehlungen basieren neben dem Reichtum an ungesättigten Fettsäuren, Ballast- und Mikronährstoffen auch auf deren Gehalt an Polyphenolen (PPh). Diese Verbindungen werden nur im Sekundärstoffwechsel von Pflanzen gebildet und daher zu den »sekundären Pflanzenstoffen« gezählt. Sie bilden eine große und ungemein vielgestaltige Stoffklasse, deren verbindendes Merkmal das aromatische Grundgerüst mit einem oder mehreren Phenolringen bildet. Neben nahezu allen Obst- und Gemüsearten, Samen und Nüssen sind auch Tee (grün oder schwarz), Kaffee, Rotwein and Rohkakao bzw. dunkle Schokolade reich an PPh. Doch unterscheiden sich diese pflanzlichen Lebens- und Nahrungsmittel teils erheblich in der Art und im Gehalt der jeweiligen PPh.
Zu den prominentesten, mit einer Vielzahl bioaktiver Wirkungen assoziierten PPh zählen Flavonoide. Dazu gehören verschiedene Vertreter:
Letztere sind vor allem durch das Resveratrol bekannt, das als maßgebende gesundheitsförderliche Komponente im Rotwein dessen lange währendes positives Image begründet. Die krankheitsprotektiven Wirkungen der PPh werden auf Basis der Studienlage zuvorderst ihren antioxidativen und antiinflammatorischen Eigenschaften zugeschrieben. Diese gehen vermeintlich mit Risikominimierungen für kardiovaskuläre, metabolische und neoplastische Erkrankungen einher.
Zwar thematisiert eine Vielzahl von Studien unterschiedliche pflanzlich dominierte Ernährungsansätze im Hinblick auf Assoziationen der PPh-Aufnahme mit dem metabolischen Syndrom (MetS) und anhängigen kardiometabolischen Erkrankungen (CMD) (hier, hier und hier) – jedoch wird deren Aussagekraft nach Analysen eines brasilianischen Forschungsteams durch verschiedene Faktoren eingeschränkt. Dazu gehören ein deutliches Überwiegen horizontaler Studiendesigns („einmalige Momentaufnahme“), zu kleine Kohorten und fehlende Stratifizierung nach unterschiedlichen PPh-Klassen. Langfristige, einzelnen PPh-Klassen zuzuordnende Wirkungen sind mit derartigen Ansätzen nicht detektierbar.
In ihrer aktuellen Studie verfolgten die Wissenschaftler aus São Paulo daher das Ziel, über einen mehrjährigen longitudinalen Studienansatz mit einer probandenstarken Kohorte Assoziationen zwischen alimentärer PPh-Aufnahme (gesamt sowie nach Klassen stratifiziert) und MetS- bzw. CMD-Risiko zu ergründen. Das Datenmaterial lieferten knapp 6.400 im öffentlichen Dienst beschäftige Erwachsene (Ø Alter: 49,8 Jahre, 65% Frauen) aus der über 15.000 Personen umfassenden Kohorte der multizentrische ELSA-Brasil („Estudo Longitudinal de Saúde do Adulto“ / „Longitudinalstudie zur Erwachsenengesundheit“). Diese Langzeit-Kohortenstudie erfasst seit 2008 Inzidenzen chronischer Stoffwechsel- und Herz-Kreislauferkrankungen sowie deren Assoziationen mit potenziellen Risikofaktoren.
Die Informationen zu den individuellen Aufnahmen von Nahrungsmittelmitteln wurden durch wiederholte semiquantitative (keine numerischen Mengenangaben) Fragebögen eingeholt. Daraus wurden die Gehalte verschiedener PPh-Klassen mithilfe der Phenol-Explorer-Datenbank taxiert. Als MetS-Kriterium dienten die im Joint Interim Statement of the International Diabetes Federation Task Force on Epidemiology and Prevention aufgeführten Faktoren. Assoziationen zwischen PPh-Aufnahme und den Risiken, während der Nachbeobachtung ein MetS/CMD zu entwickeln, wurden mittels logistischer Regression ermittelt.
Rund 32 % der Probanden (2.031 von 6.387) entwickelte im Verlauf der durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 8,19 Jahren ein MetS.
Die Wissenschaftler ermittelten für die beiden Terzile mit der höchsten und zweithöchsten Gesamt-PPh-Aufnahme ein um 23 % (OR 0,77) bzw. 22 % (OR 0,78) reduziertes MetS-Risiko gegenüber dem Terzil mit dem niedrigsten Konsum. Bei 95%-Konfidenzintervallen von 0,66 – 0,90 bzw. 0,68 – 090 waren diese Assoziationen statistisch signifikant. Soziodemografische, Ernährungs- und weiteren Lebensstilfaktoren (Raucherstatus, Alkoholkonsum, Bewegungsroutine etc.) wurden dabei herausgerechnet.
Die Stratifizierung nach unterschiedlichen PPh-Klassen ergab für Phenolsäuren, Lignane und Stilbene ebenfalls signifikante inverse Assoziationen zur MetS-/CMD-Inzidenz, wohingegen die Gesamtaufnahme an Flavonoiden keinen signifikanten Einfluss auf die Risiken erkennen ließ. Hier waren nur einzelne Vertreter wie die Subklasse der Flavan-3-ole – von den Studienteilnehmern vor allem über Rotwein und Schokolade zugeführt – mit signifikant reduzierten Betroffenenzahlen korreliert.
A priori erlaubt ein solcher Studienansatz keine Kausalitätsnachweise, doch deutet eine Reihe begleitender Messungen auf ursächliche Einflüsse hin. So war die Gesamt-PPh-Aufnahme invers mit dem als Viszeralfett-Indikator dienenden Taillen-Hüft-Verhältnis, mit diastolischem und systolischen Blutdruck, HOMA-IR, Triglyceriden und C-reaktivem Protein assoziiert. Eine positive Assoziation zeigte sich hingegen zum Gesamt-, LDL-Cholesterin und HDL-Cholesterin, was zu Nachforschungen motiviert.
Wenngleich potenzielle Störfaktoren des Lebensstils und sozioökonomischen Status herausgerechnet wurden, verdient es Beachtung, dass eine höhere alimentäre PPh-Aufnahme – gleichbedeutend mit einer stärker pflanzlich ausgerichteten Ernährungsweise – tendenziell positiv mit gesundheitsfördernden Faktoren verbunden waren. Darunter Rauchverzicht, regelmäßige körperliche Aktivität sowie ein höherer Bildungsabschluss.
Schlussendlich stärken die an der großen brasilianischen Kohorte gewonnenen Befunden das positive Bild der Polyphenole, das bis dato aus nicht nach PPh-Klassen stratifizierten Studien gewonnen wurde. Für höheren Erkenntnisgewinn reichen jedoch semiquantitative Befragungen zum Lebensmittelkonsum nicht aus. Zur Aufdeckung kausaler Zusammenhänge und einer Dosis-Wirkungsbeziehung führt kein Weg an prospektiven Interventionsstudien mit definierten Verzehrmengen vorbei.
PPh-reich ist nicht gleichbedeutend mit hoher Bioverfügbarkeit – ein Umstand, auf den eine Arbeitsgruppe um Alberto Bertelli von der Universität Mailand in einer 2021 publizierten Übersichtsarbeit hingewiesen hat. Wie unterscheidet sich die Bioverfügbarkeit verschiedener PPh im Umfeld ihrer jeweiligen Lebensmittel-Matrix und welchen Einfluss nehmen Verarbeitungsprozesse? Ob alle im Naturzustand PPh-reichen Lebensmittel nach Konsum des verzehrfertigen Produktes „automatisch“ die (kardio-)metabolischen Risiken senken, lässt sich nicht konstatieren.
Stellvertretend sei die Diskussion über die grundsätzlich gesundheitsschädigende Alkoholwirkung genannt. Gerade in Bezug auf den dereinst – bei adäquater Dosis – zum gesunden „Gefäßputzer“ erhobenen Rotwein brodelt gegenwärtig der wissenschaftliche Diskurs. Ob die positive PPh-Wirkung die möglichen negativen Alkoholeinflüsse überkompensieren kann, ist nicht geklärt.
Als weitere Einschränkung der vorgestellten Studie ist die Verarbeitung ausschließlich brasilianischer Probanden, die zudem alle im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, zu nennen. Wenngleich einige Arbeiten (bspw. hier) mit Kohorten anderer Ethnien vorliegen, sind Schüsse auf pauschale Humanwirkungen nicht ohne Einschränkungen zulässig.
In Conclusio stärken die südamerikanischen Befunde die gegenwärtige Lehrmeinung, dass eine hohe, von möglichst wenig verarbeiteten pflanzlichen Nahrungsmitteln getragene Aufnahme verschiedenster PPh zum Erhalt der kardiometabolischen Gesundheit beiträgt. Die Wirkung spezieller PPh kann dabei numerisch nicht quantifiziert werden. Daher ist es gegenwärtig auch nicht möglich, konkrete Dosisempfehlungen für die tägliche Aufnahme einzelner PPh-Lieferanten zu geben.
Ob dies sinnvoll wäre, steht auf einem anderen Blatt geschrieben – in einer Zeit, in der Ernährungsregeln vielfach zum Dogmatismus verleiten. Daher empfiehlt sich weiterhin eine bunte, vielfältige Ernährung mit vielen pflanzlich basierten Lebensmitteln. PPh-reich ist nicht gleichzusetzen mit einer Empfehlung für eine vegane Ernährung (ohne diesen Ansatz in irgendeiner Weise diskreditieren zu wollen), sondern für eine vernünftige Gewichtung.
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