Der Beratungsbedarf in Apotheken steigt – die Krankenkassen wollen aber gerade dort sparen. Warum ich denke, dass das ernste Probleme mit sich bringen wird.
Die sichere Versorgung mit Arzneimitteln gehört zu den grundlegenden Aufgaben unseres Gesundheitssystems – doch gerade bei lebenswichtigen Medikamenten wie Salbutamol sieht die Realität inzwischen anders aus. Immer häufiger geraten Apotheken in dramatische Versorgungssituationen, die sie nur mit erheblichem Mehraufwand und Improvisation bewältigen können. Dabei leisten sie nicht nur logistische Meisterarbeit, sondern übernehmen auch intensive Beratungen, um Risiken durch Importware oder wechselnde Inhalatoren abzuwenden. Dennoch geraten sie zunehmend unter finanziellen Druck. Aktuell fordern Krankenkassen wie die AOK nun auch noch, die wenigen finanziellen Anerkennungen für die wertvollen pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) zu kürzen oder sogar ganz abzuschaffen.
Seit vielen Jahren werden Apotheken immer wieder mit Lieferengpässen bei essenziellen Arzneimitteln konfrontiert. Besonders kritisch ist derzeit die Lage auch beim Arzneistoff Salbutamol, einem Wirkstoff zur Behandlung von Patienten mit Asthma bronchiale und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). Salbutamol gehört zu den Beta-Sympathomimetika und sorgt durch seine bronchienerweiternde Wirkung für schnelle Linderung bei akuten Beschwerden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) listet aktuell über 500 Arzneimittel als nicht oder nur eingeschränkt lieferbar auf, darunter auch zahlreiche salbutamolhaltige Inhalativa.
Aufgrund des Mangels an Salbutamol wurden vermehrt Arzneimittel aus dem Ausland, beispielsweise aus den USA, importiert. Aktuell betrifft dies etwa „Albuterol Sulfate Inhalation Aerosol 90 mcg with Dose Indicator“ von Hexal, das in Deutschland notfallmäßig zugelassen wurde. Dies bringt jedoch erhebliche Zusatzarbeit für Apotheken mit sich. Neben der Bereitstellung deutschsprachiger Gebrauchsanleitungen, welche extra ausgedruckt werden müssen, müssen sie auch die Patienten intensiv auf Unterschiede aufmerksam machen, etwa auf die andere Deklaration der Wirkstoffmenge (in den USA 90 µg statt der hier üblichen 100 µg) und den ungewohnten Dosierzähler.
Gerade bei einem solchen Medikament ist das eine oft nicht einfache Aufgabe, hier Vertrauen in die veränderte Aufmachung zu schaffen. Zudem berichten Apotheken vermehrt von Problemen mit der Funktionsfähigkeit dieser importierten Inhalatoren, die oft auf unzureichende Reinigung zurückzuführen sind. Bei der Arzneimittelkommission (AMK) gingen in den vergangenen Monaten zahlreiche Meldungen zu fehlerhaft ausgelösten Sprühstößen ein. Die Apotheken müssen ihre Patienten daher intensiv über das korrekte Reinigungsverfahren informieren, um Therapiefehler und Unterbrechungen der Versorgung zu vermeiden.
Vor diesem Hintergrund werden pDL, insbesondere die erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Üben der Inhalationstechnik, im Apothekenalltag immer wichtiger. Gerade bei Neuverwendern und Patienten, die aufgrund von Lieferengpässen auf neue Inhalationsgeräte umgestellt werden müssen, steigt der Beratungsbedarf enorm. Apotheker und PTA leisten hier essenzielle Unterstützung, da in Arztpraxen oft nicht genügend Zeit für eine ausführliche Einweisung der Patienten bleibt. Damit verbessern Apotheken entscheidend die Arzneimitteltherapiesicherheit und fördern die Therapieadhärenz der Patienten. Die Möglichkeit, diese Dienstleistungen über die Krankenkassen abzurechnen, erlaubt es Apotheken, den zusätzlichen Beratungsaufwand zumindest teilweise finanziell zu kompensieren.
Trotz dieses Hintergrunds und des offensichtlichen Nutzens der pDL erwägen einige Krankenkassen, allen voran die AOK, eine drastische Kürzung oder sogar Abschaffung der Vergütung. Hintergrund: Sechs Milliarden Euro fehlten den gesetzlichen Krankenversicherungen im vergangenen Jahr. Die AOK fordert deshalb Sofortmaßnahmen, darunter die Streichung der jährlichen Umlage für pDL sowie die Rückzahlung bisher nicht abgerufener Mittel. Diese Sparmaßnahmen stoßen auf starke Kritik der Apothekerschaft und der ABDA, die darin eine massive Gefahr für die Arzneimitteltherapiesicherheit sehen. In der Praxis könnte eine Streichung dieser Vergütung dazu führen, dass Apotheken ihren hohen Beratungsstandard aufgrund wirtschaftlichen Drucks nicht mehr halten können. Statt die Versorgung der Patienten langfristig zu sichern, drohen diese Kürzungen die ohnehin angespannte Lage weiter zu verschärfen.
BAK-Präsident Armin Hoffmann betont, dass pDL unverzichtbar geworden sind, weil Apotheker dadurch die individuelle Arzneimitteltherapie ihrer Patienten maßgeblich verbessern. Hoffmann nennt das Vorgehen der Krankenkassen „unverantwortlich“, da sie leichtfertig die optimale Versorgung ihrer Versicherten aufs Spiel setzen. In seinem Fokus steht allerdings eine andere pDL, denn in Deutschland werden jährlich rund 250.000 Krankenhauseinweisungen durch vermeidbare Medikationsfehler verursacht, welche durch die erweiterte Medikationsberatung reduziert werden könnten – was letztlich Kosten sparen würde. DAV-Vorsitzender Hans-Peter Hubmann kritisiert die Krankenkassen ebenfalls scharf. Er mahnt, dass Krankenkassen ihre Verwaltungsausgaben kritisch hinterfragen sollten, statt die wenigen finanziellen Mittel der Apotheken zu streichen. Schließlich seien die Verwaltungskosten der Krankenkassen mehr als doppelt so hoch wie die Gesamtausgaben für die rund 17.000 Apotheken.
Die anhaltenden Probleme bei der Arzneimittelversorgung verdeutlichen eindrücklich, wie unverzichtbar die Beratungsleistung der Apotheken für die Therapiesicherheit ist. Es ist daher inakzeptabel, dass Krankenkassen wie die AOK gerade diese entscheidende Vergütung kürzen oder abschaffen wollen. Statt Einsparungen zulasten der Patienten und Apotheken vorzunehmen, sollten die Verantwortlichen vielmehr anerkennen, dass eine angemessene Honorierung der pDL essenziell für die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung ist. Nur durch eine faire und stabile Finanzierung kann langfristig gewährleistet werden, dass Apotheken ihren Versorgungsauftrag erfüllen und Patienten auch in Zeiten von Lieferengpässen bestmöglich versorgt werden.
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