Die Chancen sind schlecht, der Arzt beendet die Reanimation, der Patient stirbt. So läuft es zu häufig, behauptet eine aktuelle Studie. Lassen Ärzte sich zu sehr von ihrem Pessimismus leiten?
Für Eilige gibt’s am Ende des Textes eine Kurzzusammenfassung.
In der Intensivmedizin geht es oft um Sekunden – und um schwerwiegende Entscheidungen. Wenn ein Mensch nach einem Herzstillstand reanimiert wird, stellt sich die Frage: Hat dieser Patient noch eine echte Chance? Oder ist es besser, lebenserhaltende Maßnahmen zu beenden (Withdrawal of Life-Sustaining Therapy, WLST)?
Wie Ärzte diese Entscheidungen treffen – und ob sie immer richtig sind – steht im Mittelpunkt einer aktuellen Studie. Ziel der Untersuchung war, herauszufinden, wie oft Patienten, die nach dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen gestorben sind, noch eine Chance auf Genesung gehabt hätten, wenn die Intervention fortgesetzt worden wäre.
Die Forscher zogen Daten von 2.391 bewusstlosen Erwachsenen heran, die zwischen 2010 und 2022 nach einem Herzstillstand an einem US-amerikanischen Universitätsklinikum behandelt worden waren. Menschen mit Patientenverfügungen oder Patienten, deren Herzstillstand auf ein Trauma oder auf neurologische Ursachen zurückzuführen war, haben die Wissenschaftler ausgeschlossen.
Alle Personen der Kohorte wurden anhand der Outcomes in drei Kategorien eingeteilt:
Für die letzte Gruppe (1.431 Patienten) wurden ausführliche Falldaten in anonymisierter Form von 38 Experten für Intensivmedizin bewertet. Die Fachleute erhielten alle verfügbaren medizinischen Informationen. Sie sollten unabhängig voneinander einschätzen, ob eine weitere Reanimation das Outcome verbessert hätte. Dabei kam eine siebenstufige Skala von „praktisch keine Chance“ bis „wahrscheinlich gute Genesung“ zum Einsatz.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
Alles in allem waren sich Experten in mehr als der Hälfte der Fälle nicht sicher, ob der Tod unvermeidbar gewesen wäre. Die Autoren sehen hier Grenzen aktueller Prognosemodelle, um zu bewerten, ob es Sinn macht, Reanimationen fortzusetzen. Zudem könnte sich hier ein Teufelskreis ergeben: Eine pessimistische Einschätzung führt zum Abbruch der Therapie. Der Tod des Patienten bestätigt vermeintlich die Einschätzung – und verstärkt so systematisch negative Erwartungen, die möglicherweise unbegründet waren.
Doch ganz so einfach ist die Sache nicht: Alle Ergebnisse stammen aus nur einem Zentrum in den USA mit spezifischen Protokollen der Reanimation. Ob sie sich auf andere Krankenhäuser – und andere Länder – übertragen lassen, ist ungewiss. Aus Deutschland gibt es keine Studie mit ähnlicher Fragestellung.
Ein weiteres Manko: Ohne Daten von Patienten, bei denen die Therapie nicht abgebrochen wurde, lassen sich viele Einschätzungen nicht validieren. Zudem wussten die Peers von den Todesumständen. Das könnte ihre Urteile beeinflusst haben. Bei ihren Beurteilungen waren sie sich oft uneinig; ein Hinweis auf die Komplexität solcher Entscheidungen.
Die Frage, ob Ärzte Reanimationsmaßnahmen nach einem Herzstillstand möglicherweise zu früh abbrechen, bleibt auch nach dieser Studie unklar. In Leitlinien heißt es, dass Entscheidungen über den Abbruch von Wiederbelebungsmaßnahmen individuell getroffen werden sollten, basierend auf Faktoren wie Alter des Patienten, bestehenden Vorerkrankungen und allgemeinem Gesundheitszustand.
Aus der Forschung kommen weitere Anhaltspunkte. So zeigt eine große US-Studie mit fast 350.000 Patienten nach einem Herzstillstand im Krankenhaus: Je länger reanimiert wurde, desto geringer war die Chance auf ein gutes Überleben. Nach beispielsweise 39 Minuten lag die Überlebensrate unter 1 %. Die Ergebnisse helfen, realistische Erwartungen an die Erfolgschancen von Reanimationen im Zeitverlauf zu setzen. Harte Grenzen lassen sich auch hier nicht ziehen.
Das Wichtigste in Kürze
Quelle
Elmer et al.: Recovery Potential in Patients After Cardiac Arrest Who Die After Limitations or Withdrawal of Life Support. JAMA Netw Open, 2025, doi: 10.1001/jamanetworkopen.2025.1714.
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