Probanden sind kein verlässliches Völkchen – geht es um das eigene Essverhalten, wird geschummelt, geschönt oder gleich ganz vergessen. Was also sind Studien wert, die daraus Empfehlungen ableiten?
Ist der Konsum von Rotwein nun nützlich oder schädlich? Wenn er überhaupt einen Effekt hat, dann in welcher Menge? Schützt eine hohe Ballaststoffaufnahme tatsächlich vor kolorektalem Karzinom? Erhöht übermäßiger Konsum von raffinierten Kohlenhydraten und verarbeitetem Fleisch das Risiko für chronische Krankheiten? Wie ist das mit Kaffee und der mediterranen Diät?
Zur Beantwortung solcher Fragen gibt es eine große Menge an Studien, die das Ernährungsverhalten der Teilnehmer mit deren klinischen Langzeitergebnissen verglichen haben. Zu den wohl bekanntesten gehören die National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) und die Nurses’ Health Study (NHS). Sie zählen zu den wichtigsten epidemiologischen Arbeiten, die, obwohl als beobachtende Studien nicht randomisiert, die Ernährungswissenschaft und öffentliche Gesundheitspolitik geprägt haben.
Doch wie weit können wir uns auf die selbst berichteten Angaben zum Ernährungsverhalten der Studienteilnehmer verlassen? In kontrollierten klinischen Studien gibt es klar standardisierte, protokollgemäße Interventionen und eine Quelldaten-Kontrolle aller objektiven Erhebungen, zum Beispiel Laborwerte, Begleitdiagnosen, Untersuchungsbefunde. Dagegen ist die Validierung von Fragebögen zum Ernährungsverhalten schwierig. Manchmal können Teilnehmer die Menge der verzehrten Nahrung nicht genau einschätzen, haben ein schlechtes Gedächtnis oder machen falsche Angaben.
Eine Methode zur Verifizierung bzw. Bewertung der Ungenauigkeit solcher Ernährungsfragebögen ist die Abschätzung des basalen Energieverbrauchs (total energy expenditure, BEE) einer Person anhand von Vorhersagegleichungen auf Grundlage von Größe, Körpergewicht, Geschlecht und Alter. Dies gibt eine Information darüber, wie realistisch die Angaben zur Kalorienaufnahme sein können. Eine Weiterentwicklung der dabei verwendeten Formel wurde kürzlich von einer internationalen Forschergruppe, angeführt von der University of Aberdeen, publiziert.
Durch Messen der Unterschiede in den Eliminationsraten zweier Isotope – Deuterium-Wasserstoff und Sauerstoff-18 – kann die CO2-Produktionsrate geschätzt werden, die den Energieverbrauch widerspiegelt. Da Sauerstoff, aber nicht Wasserstoff zur Synthese von Kohlendioxid verwendet wird, wenn der Körper Kalorien verbrennt, zeigen die relativen Mengen dieser Elemente im Urin, wie viel Energie eine Person verbraucht hat. Diese „Doubly Labelled Water” (DLW) genannte Methode erlaubt eine genauere Abschätzung des totalen Energieverbrauchs (TEE) einer Person und damit einen besseren Vergleich mit den Angaben zur Kalorienaufnahme der Studienteilnehmer.
Durch Berechnungen mittels einer durch DLW verbesserten Formel fanden die Forscher heraus, dass wohl mehr als die Hälfte der Daten in weit verbreiteten Datenbanken zu Ernährungsstudien wie NHANES möglicherweise falsch sind, weil Teilnehmer ihre Nahrungsaufnahme im Allgemeinen unterschätzen. Die Ergebnisse könnten dann unzählige Studien infrage stellen, die diese Datensätze verwendeten und deren Schlussfolgerungen anzweifeln.
In einer Stellungnahme versichert das US-amerikanische National Center for Health Statistics (sozusagen die Aufsichtsbehörde für NHANES), dass die Ungenauigkeiten in Ernährungsumfragen allgemein bekannt sind und dass die Daten dennoch „wertvoll und wichtig“ seien. Ernährungsumfragen sind nach wie vor die besten verfügbaren Daten, sagt Lindsay Jaacks, Ernährungsepidemiologin an der Universität Edinburgh. DLW-Studien sind logistisch aufwändig und teuer und können deshalb keine realistische Alternative darstellen, die über die Verwendung von verbesserten Berechnungsformeln hinausgeht. Außerdem gibt DLW keine Auskunft über die Zusammensetzung der Nahrung.
Neue Technologien könnten allerdings helfen, die Genauigkeit der Datenerhebung zu verbessern. Dazu gehören fotografische Ernährungstagebücher, in denen die Teilnehmer jede Mahlzeit fotografieren, tragbare Kameras oder Bewegungs- und Audiosensoren. Dabei könnte künstliche Intelligenz via Natural Language Processing (NLP) die Mahlzeiten dokumentieren.
Noch ist keine dieser Methoden für die breite Anwendung bereit. Aber Formeln wie die auf DLW basierende könnten Ernährungsepidemiologen zumindest dabei helfen, die Datenqualität in ihren Studien einzuschätzen. Allen anderen kann so weit nur empfohlen werden, die Ergebnisse von Ernährungsstudien, die auf Tagebüchern oder Fragebögen basieren, mit einer Prise Skepsis zu genießen. Dieses bereits bekannte Problem wird durch die aktualisierte Formel zur Abschätzung des TEE verdeutlicht.
Bildquelle: Aleksey Melkomukov, Unsplash