Patienten mit Lähmungen haben häufig auch mit Spastiken zu kämpfen. Die Therapie ist oft schwierig und es gib nicht die eine Lösung für alle. Welche Optionen zur Verfügung stehen, erfahrt ihr hier.
Dass sich ein Muskel zusammenzieht, ist nur die halbe Miete – denn ohne anschließende Entspannung verkrampft er. Bei unwillkürlicher Muskelhyperaktivität mit erhöhtem Muskeltonus spricht man von Spastik. Ursache dieser Fehlsteuerung sind Schäden im Gehirn oder im Rückenmark, zum Beispiel nach einem Schlaganfall, bei Multipler Sklerose oder bei einer Querschnittslähmung. Eine Spastik kann durch verschiedene Faktoren, wie Schmerzen, starke Emotionen oder Entzündungen, ausgelöst bzw. verschlimmert werden. Über Tagen bis Wochen verändert sich zudem die Struktur spastisch gelähmter Muskeln, wodurch sie noch steifer werden.
Was bei spastischen Bewegungsstörungen (spastic movement disorders, SMD) zu tun ist, beschreibt die soeben erschienene 6. Version der S2k-Leitlinie „Therapie des spastischen Syndroms“, herausgegeben von den Deutschen Gesellschaften für Neurologie und für Neurorehabilitation.
Die individuelle Zusammensetzung der Therapie hängt von der Art der Spastik sowie den daraus entstehenden Beeinträchtigungen ab. Ziel der Therapie ist es, dass Patienten ihren Alltag besser bewältigen können, weniger Schmerzen haben und keine Spätkomplikationen erleiden. In einigen Fällen kann eine Spastik sogar funktionelle Vorteile haben, etwa wenn sie den Transfer von Patienten mit Paraplegie durch passives Abstützen erleichtert. Für die Wahl der Therapie ist zudem die Ausbreitung der Spastik entscheidend. Diese kann fokal, multifokal, segmental, multisegmental und generalisiert sein.
Für die Therapie gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten:
Dabei gilt als Faustregel, dass zunächst physikalische Maßnahmen versucht werden. Wenn diese nicht helfen, kommen Medikamente zum Einsatz. Wenn auch diese nichts ausrichten, versucht man es mit Operationen.
Zu den physikalischen Maßnahmen zählen zum Beispiel Physiotherapie, Schienen, Lauftraining und extrakorporale Stoßwellentherapie. Durch Physiotherapie und Training können oft schon deutliche Verbesserungen erreicht werden – so können z. B. Schlaganfallpatienten unter Umständen wieder gehen lernen. Bei festen Schienen, die den Muskel dehnen und mehrere Stunden täglich getragen werden, sollte man jedoch auf mögliche Druckgeschwüre, Druckschäden an Nerven und Thrombosen achten.
Weniger klar ist der Nutzen von Taping mit Kinesioband, Krafttraining, Elektro- und Magnetstimulation, Vibrationstherapie und passivem Radfahren. Vom spektakulären EXOPULSE-Mollii-Anzug mit seinen 58 Elektroden in der eng anliegenden Jacke und der Hose raten die Autoren ab.
Das Medikament der Wahl für die fokale und segmentale Anwendung ist Botulinumtoxin A. Im Vergleich zu oralen Muskelrelaxanzien wie Baclofen, Tizanidin hat es eine bessere Nutzen-Risiko-Bilanz. Beim Einsatz von Botulinumtoxin ist das klinische Spastik-Muster relevant. So macht es einen Unterschied, ob beispielsweise ein „Daumen in der Hand-Muster“ oder ein „Daumenendgelenk-Flexionsmuster“ vorliegt. Weil das Immunsystem Antikörper gegen Botulinumtoxin bilden kann, die es dann neutralisieren, sollte es höchstens vierteljährlich gespritzt werden.
Auf das Gehirn wirkende Mittel haben oft den Nachteil, dass sie für ein Lindern der Spastik so hoch dosiert werden müssen, dass sie sedieren, antriebslos machen und die Muskeln schwächen. Das gilt vor allem für Patienten, bei denen Gehirnschäden die Ursache der Spastik sind.
Wenn gar nichts hilft, kann man schwere Fehlhaltungen eventuell auch operieren. Das Skalpell setzt dann an peripheren Nerven, Muskeln, Sehnen oder Gelenken an, um Beweglichkeit, Kraft und Hygiene zu verbessern und Schmerzen zu lindern. Klassische Indikationen sind etwa der spastische Spitzfuß und Krallenzehen. Zu den chirurgischen Verfahren gehören, so schreiben die Autoren, „in jüngerer Zeit auch selektive Neurotomien, die den pathologischen nervalen Regelkreis positiv verändern sollen“.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney