Die chirurgischen Fächer stellen sich auf den Ernstfall ein – doch es fehlt an allem. Besonders in Sachen Nachwuchs und Ausbildung muss Deutschland extrem aufholen. Was sich ändern muss, um auf einen Krieg vorbereitet zu sein.
Der Gesundheitssektor ist im Wandel – und mit ihm die einzelnen medizinischen Fächer. Insbesondere die chirurgischen Disziplinen haben dazu in den kommenden Monaten und Jahren einiges auf dem Reformtellerchen. Wohin die Reise gehen soll, auf was es in der Politik nun ankommt und inwieweit sich der Fachbereich verändern wird, diskutieren Experten und Praktiker auf dem aktuellen 142. Deutsche Chirurgie Kongress.
Mit einem Blick in die personelle Zukunft startete die erste Diskussionsrunde des Kongresses und gab dabei einen alarmierenden Sachstandsbericht ab. Laut Prof. Hans-Joachim Meyer, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgie (BDC) darf man sich bei den aktuellen strukturellen Rahmenbedingungen nicht wundern, dass der Nachwuchs Bedenken bei der Berufswahl hat. Auch sinke kontinuierlich die Motivation für höhere klinische Positionen.
Die Zusatzweiterbildung zum Viszeralchirurgen gleiche beispielsweise einem Marathon – sechs Jahre Praxis, OP-Einsätze und ein nahezu endloser Katalog an Anforderungen. Faktisch schafft das nur, wer nicht krank wird und sich nahtlos durch die Weiterbildungsjahre kämpft. Doch genau hier liegt das Problem: Angesichts der verschobenen Leistungsbereiche wird es für den Nachwuchs immer schwerer, die notwendigen OP-Erfahrungen zu sammeln, ohne dabei Standort- und Wohnsitzwechsel hinzunehmen – besonders wenn man eine Ausbildung in kleineren Häusern ins Auge gefasst hatte. Entsprechend treffen die Leistungsgruppen-Zuweisungen mit Blick auf das Personal zunehmend Grundversorger, da junge Chirurgen lieber an einem Ort verbleiben zur Weiterbildung.
Parallel dazu hinkt der Weiterbildungskatalog hinter der Realität her. Technische Entwicklungen wie Robotik, KI-gestützte Tools oder evidenzbasierte Assistenzsysteme sind längst im OP angekommen, finden aber kaum Berücksichtigung im Curriculum. Dabei ist laut Prof. Ludger Staib, Kongresspräsident 2025 der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), nichts so unnötig und gefährlich wie die Tatsache, dass es entsprechende Roboter und Tools gäbe, dieser aber im Keller verstauben. Weder dürfen ärztliche Anwender übertriebenen Respekt an den Tag legen noch müssen sich Patienten bei deren Einsatz fürchten. Staib betont: „Ja, es gibt noch keine lang evaluierten Evidenzen hinsichtlich der Robotik, aber die gab es zu Beginn der minimalinvasiven Chirurgie auch nicht. Und wir wissen wo wir heute stehen. Die Robotik ist extrem sicher. Es gibt so gut wie gar kein technisches Versagen, man brauche keine Angst haben oder machen.“
Gleichzeitig muss es darum gehen – ganz im Sinne des Kongressmottos „Sichere Chirurgie für alle“ – die Abläufe zu perfektionieren und die Ambulantisierung voranzutreiben. Immerhin werden bisher nur rund 20 % der Hernieneingriffe ambulant durchgeführt. Das Ausland sei hier mit 60 bis 80 % schon wesentlich weiter. Staib betont hierbei insbesondere die möglichen Anwendungsmöglichkeiten der Robotik.
Noch klarer werden die Ärzte, wenn als es um den militärischen Ernstfall geht. Prof. Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), mahnt die notwendigen Veränderungen mit Blick auf die Zahlen an. Komme es zur Bündnis- und Landesverteidigung sei Deutschland Aufmarschgebiet für rund 700.000 Soldaten – und Aufmarschgebiete werden in Kriegszeiten besonders häufig zum Ziel. Man müsste dann allein beim militärischen Personal mit rund 1.000 Verletzten pro Tag rechnen, 250 davon schwerstverletzt. Dazu kommen rund 31.000 Traumafälle aus dem zivilen Sektor pro Jahr. „Die Strukturen dafür sind absolut nicht vorhanden – weder ambulant, noch im klinischen Bereich oder mit Blick aufs Personal.“
Auch sei das Personal laut Pennig ausbildungstechnisch nicht vorbereitet. Während man aktuell stumpfe Verletzungen wie Unfalltraumata nach Autounfällen behandle, geht es dann darum, abgerissene Gliedmaßen, offene Bauchhöhlen oder die Auswirkungen von Explosionen zu versorgen. Aktuell gebe es in Deutschland rund 6.600 Ärzte, die hierauf spezialisiert sind – dank teurer Spezialkurse, die teils selbstfinanziert sind.
Wie man sich chirurgischerseits auf solche Fälle wirklich vorbereitet, zeigen Länder wie Frankreich, das eigene Militärchirurgen unterhält, oder die USA, die halbjährlich 50.000 Ärzte militärisch schulen. Ebenfalls nicht vergessen werden darf, dass im Kriegsfall besonders viele Notfallinstrumente und Material vorgehalten werden müssen. Entsprechend klar ist hier die akute Warnung und Forderung an die Politik: „Wir brauchen alles in allem etwa 480 Millionen Euro für Fortbildung, Material, Personal und Übungen. Dazu kommt, dass die 52 Traumanetzwerke in die Versorgung stärker integriert werden müssen. Und vor allen Dingen ist wichtig: Wir müssen schnell sein. Jeder zeitliche Verlust verschlechtert unsere Situation.“
Zuletzt sprachen sich die Verbände dafür aus, dass Krankenhäuser zur Erhöhung der Transparenz die FTR-Rate (Failure to Rescue) auch in ihren Qualitätsberichten ausweisen sollen. Daneben befürworten die Chirurgen die Änderung der Infrastruktur im Rahmen der Krankenhausreform, genauer: die Bildung von professionalisierten Zentren mit festen Leistungsgruppen. So weisen Praxis und Studien darauf hin, dass spezialisierte Zentren besseres Komplikationsmanagement, niedrigere FTR-Raten und damit länger Überlebensraten hätten – unabhängig davon, ob es sich um eine Hochrisiko-OP oder einen Routineeingriff handelt.
Inwieweit die Politik auf den ebenfalls veröffentlichten Forderungskatalog des BDC reagiert, dürften die anstehenden Koalitionsverhandlungen zeigen.
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