Egal ob Dysurie, Strangurie oder Pollakisurie – alles HWI? Tierärzte machen es sich bei der Diagnose von felinen Harnwegsbeschwerden oft zu leicht. Ein häufig unterschätzter Aspekt: Stress.
Untere Harnwegserkrankungen (als feline lower urinary tract disease, kurz FLUDT, bekannt) gehören zu den häufigsten Vorstellungsgründen von Katzen beim Tierarzt. Nicht selten haben die Tiere mit chronischen Beschwerden zu kämpfen, allen voran die idiopathische Cystitis. Symptome wie Dysurie, Strangurie, Periurie oder Hämaturie sind aber ziemlich unspezifisch und können viele Ursachen haben –eine Guideline soll nun beim Aufdröseln helfen. Die Autoren bemängeln: „Die Bezeichnung ‚(F)LUTD‚‘ ist keine fertige Diagnose und geht auch nicht auf die Ursachen der Symptome ein. Dem Besitzer gegenüber kann mit diesem Begriff außerdem nicht die komplexe Pathophysiologie der verschiedenen zugrundeliegenden Erkrankungen verdeutlicht werden.“ Die Leitlinie soll Tierärzten somit bei einer strukturierten Diagnostik helfen, um die zugrundeliegende Erkrankung zu identifizieren – sei es die feline idiopathische Cystitis (FIC), eine Urolithiasis, eine Harnwegsinfektion, eine Urethraobstruktion oder andere Ursachen wie Tumoren oder Traumata.
Eine gute Diagnostik beginnt natürlich mit einer sorgfältigen Anamnese, die neben den klassischen Symptomen auch Umwelt- und Verhaltensfaktoren beleuchtet. Eine vollständige körperliche Untersuchung – mit Fokus auf die Palpation der Blase, Allgemeinbefinden und Vitalparameter – ist obligatorisch. Besonders wichtig ist die Erhebung des Urinstatus inklusive SG (spezifisches Uringewicht), Sediment, pH-Wert und bakterieller Kultur (via Zystozentese). Zusätzlich sollten bildgebende Verfahren wie Röntgen und Ultraschall genutzt werden, um Urolithen, Blasenwandveränderungen oder Tumoren zu erkennen. Eine wiederkehrende LUTD-Episode bedeutet nicht zwangsläufig dieselbe Ursache wie beim letzten Mal – daher wird in der Leitlinie betont, jeden Fall individuell und vollständig abzuklären.
Die idiopathische Cystitis (FIC) bleibt mit bis zu 65 % die häufigste Ursache für FLUDT-Symptome. Die Guidelines stellen klar: FIC ist eine systemische Erkrankung, die weit über die Blase hinausgeht. Stress, Umweltfaktoren, Nervensystem und hormonelle Einflüsse spielen hierbei zusammen. Deshalb steht das multimodale Umweltmanagement (MEMO) im Mittelpunkt der Therapie: Optimierung der Umgebung, stressarme Haltung, genügend Ressourcen (z.B. Katzentoiletten, Ruheplätze) und Vermeidung negativer Erlebnisse. Ein wirksames Schmerzmanagement (Opioide, NSAIDs) ist ebenso unerlässlich. Medikamente wie Amitriptylin oder Fluoxetin können bei schweren Fällen hilfreich sein, Antibiotika oder Kortikosteroide haben hingegen keinen Stellenwert in der Guideline.
Die häufigsten Harnsteine sind Struvit- und Calciumoxalatsteine. Struvitkristalle lassen sich durch gezielte Diät (pH < 6,4, niedriger Magnesium-/Phosphatgehalt) meist auflösen, Calciumoxalat erfordert meist eine chirurgische oder minimalinvasive Entfernung. Generell sollte jeder entfernte Urolith analysiert werden. Auch hier sind eine erhöhte Wasseraufnahme und Diätanpassung entscheidend, um Rezidiven vorzubeugen.
a) Hämaturie, (b) Struvit-Kristalle, (c) Kalziumoxalat-Dihydrat-Kristalle (d) Bilirubin-Kristall. Credit: (a-c) Francesco Cian und (d) lona Mayer
Am häufigsten kommen Harnwegsinfektionen bei Senioren oder Katzen mit CKD, Diabetes oder Hyperthyreose vor. Die Leitlinie warnt explizit vor übermäßiger Antibiotikagabe, insbesondere bei subklinischer Bakteriurie ohne klinische Symptome. Bei nachgewiesener Infektion sollte die Therapie stets kultur- und resistenzbasiert erfolgen.
Die Urethraobstruktion durch Harnsteine, Harngrieß, Pfropfen oder Schwellungen ist ein Notfall, der besonders bei Katern lebensbedrohlich sein kann. Die Leitlinie empfiehlt hier schnelles Handeln: Stabilisierung mittels Flüssigkeitstherapie, Management von Hyperkaliämie, Analgesie und eine atraumatische Katheterisierung mit weichen, kleinen Kathetern. Eine prophylaktische Antibiose wird ausdrücklich nicht empfohlen. Post-obstruktiv ist ein engmaschiges Monitoring wichtig, um Diurese, Elektrolyte und Hydratation zu kontrollieren.
Auch weniger häufige Ursachen wie Blasen- oder Urethratumoren, traumatische Verletzungen oder angeborene Fehlbildungen werden in der Guideline berücksichtigt. Hier ist eine individuelle Diagnostik (z. B. Urethrographie, Biopsie) nötig. Ein zentrales Element in der langfristigen Therapie aller FLUT-Erkrankungen ist laut Leitlinie das Management von Umwelt und Verhalten. Wie auch schon bei der idiopatischen Cystitis, stehen Stressreduktion, optimales Ressourcenangebot und eine enge Zusammenarbeit mit den Besitzern im Mittelpunkt – sowohl zur Rezidivprophylaxe bei Infektionen als auch zur Förderung der Blasengesundheit bei anderen Erkrankungen.
Das Ziel der Guideline ist klar: Die Autoren wünschen sich eine individuell angepasste, langfristig erfolgreiche Betreuung der betroffenen Katzen – weg von pauschalen Diagnosen, hin zu klar strukturierten Handlungswegen. Einen guten Überblick gibt sie allemal – das Lesen lohnt sich für jeden Kleintierpraktiker.
Bildquelle: Erstellt mit Midjourney