Ob Patienten ab 70 Jahren von PSA-Tests profitieren, ist eine Streitfrage. Während man in den USA munter weiter screent, lassen wir hierzulande bei niedrigem PSA-Wert die Finger davon. Wer hat recht?
Für Eilige gibt’s am Ende eine kurze Zusammenfassung.
Das PSA-Screening bleibt ein kontroverses Thema – noch komplexer wird die Diskussion, wenn es um die Früherkennung bei Ü-70-Patienten geht. Während das Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, mit dem Alter zunimmt, sinkt der potenzielle Nutzen der Früherkennung. Generell wird ein Screening daher nicht empfohlen, wenn die Lebenserwartung unter 10 Jahren liegt. Ob Patienten ab 70 Jahren dennoch vom Screening profitieren könnten, untersucht eine aktuell im JAMA Network Open veröffentlichte Studie.
Laut Chung et al. wird das PSA-Screening in den USA üblicherweise auch bei normal niedrigen PSA-Werten nach Erreichen des 70. Lebensjahres fortgesetzt, was häufig zur Überdiagnostik führe. In Deutschland empfiehlt zumindest die S3-Leitlinie, dass das Screening bei Männern über 70 Jahren beendet werden sollte, wenn der PSA-Wert unter 1 ng/ml liegt.
Bei der Entscheidung zum Für oder Wider sollten neben der PSA-Historie auch andere Faktoren berücksichtigt werden, wie Familienanamnese, allgemeiner Gesundheitszustand und zusätzliche Mortalitätsrisiken. „Ärzte haben keine klare Anleitung, welche Faktoren im gemeinsamen Entscheidungsprozess besonders betont werden sollten“, so die Autoren. Das soll die Studie ändern.
Die Studie analysiert Daten der US-amerikanischen Veterans Health Administration. Eingeschlossen wurden 921.609 Männer, die zwischen 2008 und 2020 das 70. Lebensjahr beendeten und deren PSA-Wert im Alter zwischen 65 und 69 Jahren unter 4 ng/ml lag. Voraussetzung war zudem, dass diese Männer in der Vergangenheit weder an einem Prostatakarzinom erkrankt noch eine Biopsie erhalten hatten. Falls mehrere PSA-Messungen vorlagen, wurde der zuletzt gemessene Wert vor dem 70. Geburtstag herangezogen.
Mithilfe eines Machine-Learning-Modells wurden individuelle, konkurrierende Mortalitätsrisiken berechnet – also Risiken, die neben einem metastasierten Prostatakarzinom hypothetisch zum Tod führen können. Dazu wurden neben den Vorerkrankungen auch der Wohnort, der Charlson-Komorbiditätsindex sowie der Frailty Index erhoben. Zudem wurden Daten zu verschiedenen Faktoren analysiert, darunter die Anzahl der hausärztlichen, notfallmäßigen und urologischen Termine pro Jahr, die Einnahme von 5-Alpha-Reduktase-Inhibitoren, α-1-Antagonisten und PDE-5-Inhibitoren sowie eine BPH-Diagnose in der Anamnese.
Für die Auswertung diente eine Regressionsanalyse, um für die PSA-Intervalle und anderen Faktoren das Risiko für metastasiertes Prostatakarzinom sowie die prostataspezifische Mortalität zu bestimmen.
Die Studienpopulation wurde basierend auf den PSA-Werten in vier Gruppen unterteilt:
In der letzten Gruppe nahmen die Patienten häufiger 5-Alpha-Reduktase-Inhibitoren und α-1-Antagonisten ein, hatten öfter eine BPH- Diagnose erhalten und mit höherer Wahrscheinlichkeit einen urologischen Termin im Vorjahr wahrgenommen.
Zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr erhielten 87 % der Patienten mindestens ein weiteres Screening, einschließlich derjenigen mit den niedrigsten PSA-Werten und der geringsten geschätzten Lebenserwartung. Nach dem 80. Lebensjahr nahmen noch 30 % der Patienten an mindestens einem weiteren Screening teil.
Die kumulierte 10-Jahres-Inzidenz wies eine deutliche Spanne auf: Für klinisch signifikanten Prostatakrebs betrug sie 7,41 % bei Patienten mit hochnormalem PSA, während sie bei jenen mit niedrignormalem PSA nur 0,32 % erreichte. Ein ähnlicher Trend zeigte sich bei der Inzidenz von metastasiertem Prostatakrebs (0,37 % für PSA 3,00–3,99 ng/ml vs. 0,13 % für PSA 0,20–0,99 ng/ml) sowie bei der prostatakarzinomspezifischen Mortalität (0,79 % für PSA 3,00–3,99 ng/ml vs. 0,10 % für PSA 0,20–0,99 ng/ml).
Unerwarteterweise wiesen Patienten mit niedrigerer geschätzter Lebenserwartung ein leicht geringeres Risiko auf, an metastasiertem Prostatakrebs zu erkranken (0,22 % vs. 0,52 %) und daran zu versterben (0,24 % vs. 0,21 %) im Vergleich zu Männern mit hoher Lebenserwartung.
Credit: Chung et al.
Die familiäre Prädisposition wurde in der Studie nicht berücksichtigt, was jedoch eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung über die Fortsetzung des Screenings spielen könnte. Die Daten zu metastasiertem Prostatakrebs und prostataspezifischer Mortalität stammen ausschließlich von Patienten, die nach dem 70. Lebensjahr weiterhin gescreent wurden. Daher ist es möglich, dass die tatsächliche Inzidenz des metastasierten Prostatakarzinom und der prostatakarzinomspezifischen Mortalität durch die nicht gescreenten Personen deutlich höher ist.
Darüber hinaus setzt sich die Studienpopulation ausschließlich aus ehemaligen Soldaten zusammen, die spezifischen Komorbiditäten und militärischen Umweltfaktoren ausgesetzt waren. Die Autoren stellen klar, dass die Ergebnisse der Studie möglicherweise nicht ohne Weiteres auf die allgemeine Bevölkerung übertragbar sind.
Die Daten können bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung mit dem Patienten dabei helfen, sich für ein fortgesetztes PSA-Screening bei hochnormalem PSA-Wert über das 70. Lebensjahr hinaus zu entscheiden. Umgekehrt kann es bei Patienten mit niedrigen Werten unabhängig von konkurrierenden Mortalitätsfaktoren eventuell beendet werden.
Bedeutet dies nun im Umkehrschluss, dass das Risiko von proststakarzinomspezifischer Mortalität oder metastasiertem Prostatakarzinom durch das Screening nach 70 Jahren reduziert wird? Nein, denn hier fehlen randomisierte klinische Studiendaten. Die Autoren betonen: „Die Ergebnisse sollen nicht als Unterstützung des PSA-Screenings bei Männern mit höheren PSA-Ausgangswerten interpretiert werden.“ Sollte es jedoch einen echten Nutzen des Screenings über das 70. Lebensjahr hinaus geben, wäre dieser wahrscheinlich bei Männern mit hohem PSA-Ausgangswert am größten.
Screening-Kontroverse: Das PSA-Screening für Männer über 70 bleibt umstritten, da der Nutzen sinkt, wenn die Lebenserwartung unter 10 Jahren liegt. Dennoch wird es in den USA häufig fortgeführt, während die S3-Leitlinie in Deutschland ein Ende bei PSA-Werten unter 1 ng/ml empfiehlt.
Studienergebnisse: Eine Analyse von über 921.000 US-Veteranen zeigt, dass auch Männer mit niedrigen PSA-Werten weiterhin gescreent werden. Das Risiko für metastasierten Prostatakrebs und prostataspezifische Mortalität steigt mit höheren PSA-Ausgangswerten, jedoch fehlen randomisierte klinische Studiendaten zur tatsächlichen Effektivität des Screenings.
Limitationen & Fazit: Die Studie berücksichtigt keine familiäre Prädisposition und umfasst nur ehemalige Soldaten, was die Übertragbarkeit einschränkt. Dennoch kann sie helfen, individuelle Screening-Entscheidungen besser abzuwägen – insbesondere für Männer mit hochnormalem PSA-Wert.
Bildquelle: Mark Timberlake, Unsplash