Seit der Legalisierung von Cannabis in Kanada hat sich die Zahl der Schizophrenie-Fälle unter Abhängigen fast verdreifacht. Eine alarmierende Entwicklung – ist damit der Traum vom harmlosen Kiffen geplatzt?
Viele Nationen bewerten die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken uneingeschränkt als Fortschritt – doch die Realität sieht anders aus. Eine neue Studie aus Kanada zeigt alarmierende Trends: Seit der Freigabe von Cannabis hat sich die Zahl der Schizophrenie-Fälle, die mit einer Cannabis-Abhängigkeit in Verbindung stehen, fast verdreifacht.
Die Studie schloss alle Einwohner Ontarios zwischen 14 und 65 Jahren ein, die Anspruch auf eine staatliche Gesundheitsversorgung haben. Das waren mehr als 13,5 Millionen Menschen. Dabei berücksichtigten die Forscher unter Leitung von Daniel T. Myran, University of Ottawa, drei unterschiedliche Zeiträume zwischen 2006 und 2022:
Die Zahl der Menschen, die aufgrund von Cannabis-Abusus stationär behandelt werden mussten, ist seit der Legalisierung um 270 % gestiegen – von 1,3 auf 4,6 von 1.000 Personen. Besonders besorgniserregend sind Assoziationen mit Schizophrenie: Vor der Legalisierung waren 7 % aller Patienten mit neuer Schizophrenie-Diagnose zuvor wegen Cannabis-Abhängigkeit behandelt worden. Nach der Legalisierung ist der Anteil auf 16 % gestiegen.
Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass 10 % aller neuen Schizophrenie-Fälle vermeidbar gewesen wären, wenn Patienten mit schwerer Cannabis-Abhängigkeit ihren Konsum eingestellt hätten.
Besonders dramatisch ist die Lage bei jungen Männern zwischen 14 und 24 Jahren: In dieser Altersgruppe hätte sogar fast jeder fünfte Fall (18 %) verhindert werden können. „Die Daten zeigen deutlich – Cannabis ist keineswegs harmlos und kann schwerwiegende psychische Erkrankungen begünstigen“, kommentieren die Forscher ihre Resultate gegenüber DocCheck.
Sie weisen auf eine Besonderheit hin: Im Zuge der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken ist eine Vielzahl neuer Sorten auf den Markt gekommen.
Die Tetrahydrocannabinol-Konzentration hat sich in den letzten Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Früher lag sie bei durchschnittlich 5 %, heute überschreiten viele Produkte 20 %. Speziell hochpotente Konzentrate, Vapes und Edibles (Bonbons, „Space Cakes“, Sirups und mehr) überfluten den Markt. Sie seien „ein regelrechter Katalysator für psychische Störungen – insbesondere für Menschen mit einer genetischen Veranlagung für Schizophrenie oder andere Psychosen“, schreiben die Autoren.
Im begleitenden Editorial geht Jodi Gilman von der Harvard Medical School und vom Massachusetts General Hospital nicht nur auf medizinische Aspekte ein. Die Idee hinter der Cannabis-Legalisierung sei Kontrolle statt Chaos und Regulierung statt Schwarzmarkt gewesen, schreibt die Expertin. Doch in der Realität zeichne sich ein ganz anderes Bild ab. Trotz legaler Verkaufsstellen boomt der illegale Markt weiter. Günstigere, unregulierte Produkte, oft mit noch höheren THC-Konzentrationen, finden reißenden Absatz. Gleichzeitig steigt die gesellschaftliche Akzeptanz des Cannabis-Konsums.
Auch die Altersgruppe der Konsumenten verändert sich durch die Legalisierung, zumindest in Ontario. Junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren, deren Gehirne sich noch in der Entwicklung befinden, kiffen häufiger und in riskanteren Mengen. Die gesundheitlichen Langzeitfolgen seien kaum absehbar, erklärt Gilman. Erste Daten gäben Hinweise, dass das durchschnittliche Erkrankungsalter für Schizophrenie bereits gesunken sei.
Was die Sache aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht gefährlich macht: Die Cannabis-Legalisierung erstreckt sich oft über Jahre – von der Gesetzgebung über die Marktöffnung bis hin zur Verbreitung der Produkte. Erste gesundheitliche Folgen, insbesondere psychische Erkrankungen wie Schizophrenie, entwickeln sich nicht über Nacht. Es kann Jahre dauern, bis Konsequenzen der Drogenpolitik sichtbar werden. Genau das mache es so schwierig, den direkten Zusammenhang zwischen Legalisierung und psychischen Erkrankungen zu beweisen – aber auch so gefährlich, sich in falscher Sicherheit zu wiegen, erklärt Gilman.
Die Legalisierung sei ein gesellschaftliches Experiment mit Millionen von Menschen, lautet ihre Kritik. „Die ersten Entwicklungen sind besorgniserregend und wenn sich der Trend fortsetzt, könnte die Gesellschaft auf eine Welle neuer psychiatrischer Erkrankungen zusteuern – ohne einfache Möglichkeit, die Entwicklung umzukehren.“
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