Nach dem mühsamen Abspecken schnellt das Körpergewicht oft erneut in die Höhe. Könnte es daran liegen, dass das menschliche Epigenom in der Steinzeit stecken geblieben ist?
Für Eilige gibts am Ende eine Zusammenfassung.
„Gewicht verlieren ist nicht schwer, Gewicht zu halten aber sehr!“ Frei nach Wilhelm Busch beschreibt dieser Satz ein gleichermaßen bekanntes wie verhasstes Problem unzähliger Abnehmwilliger. Nach wochenlangem kulinarischen Darben und als mühselig empfundener Steigerung der körperlichen Aktivität, macht eine nur partielle Rückkehr in frühere Ernährungs- und Bewegungsroutinen alles Erreichte zunichte. „Wie gewonnen, so zerronnen“ – nein, mehr noch! Der Wiederanstieg der Körpergewichts geht noch über jenes zu hohe Ausgangsgewicht hinaus.
Unsere „Steinzeitgene“, so die omnipräsente Antwort auf die Frage nach den Hintergründen der frustrierenden Gewichtskapriolen. In grauer, von Nahrungsknappheit, körperlicher Schwerstarbeit und längeren Phasen der Nahrungskarenz geprägter Vorzeit haben jene Gene, die uns mit der Fähigkeit ausstatten, jede gerade nicht benötigte Kalorie als Fett zu deponieren, einen das Überleben sichernden Selektionsvorteil erfahren.
Heute, im Zeitalter von Kalorienüberfluss und ständiger Verfügbarkeit ohne körperliche „Gegenleistung“, ist dieser Selektionsdruck verschwunden. Doch die zu besonders effizienter Fettspeicherung befähigenden Gene hat die Evolution bislang offenbar noch nicht ausgemerzt. Nach Darwin können „neutrale Eigenschaften“ (Gene kannte er noch nicht), die ihren Trägern keine deutlichen Nachteile im Kampf ums Überleben verleihen, über lange Phasen der Evolution „mitgeschleppt“ werden.
Aktuell müssen wir nun beobachten, dass – sofern die Theorie der Steinzeitgene denn stimmt – besagte Fettspeichergene mehr und mehr ihre evolutionäre Neutralität verlieren. Das heißt, ihr Wirken wird durch eine Pandemie von Adipositas und konsekutiven Krankheiten zum lebensverkürzenden Selektionsnachteil. Aber genetische Evolution zum Guten ist immer das Produkt von Zufall (durch ungezielte Mutation gebildete Genvarianten) und deren richtunggebender Auslese. „Ob“ das geschieht und wenn ja, „wann“, vermag niemand vorherzusagen.
Im Kampf gegen die Adipositasproblematik auf genetische Veränderungen zu hoffen, ist somit keine verheißungsvolle Strategie. Da ist es doch ein Lichtblick am Horizont, dass aktuelle Studien plausible Hinweise liefern, dass gar nicht die „bösen“ Gene der entscheidende Schlüssel zum Verständnis der Übergewichtsproblematik sind, sondern das Muster, mit dem die Gene reguliert werden. Das Zauberwort heißt „epigenetisches Gedächtnis.“
Wie groß der genetische Einfluss bei der Entwicklung bzw. Wieder-Entwicklung (Jo-Jo-Effekt) von Übergewicht tatsächlich ist und welche konkreten Gene Verantwortung tragen, liegt noch sehr im Ungewissen. Bislang sind nur einzelne Gene bekannt, die im Falle spezieller Mutationen mit erhöhter Adipositasneigung assoziiert sind (hier und hier). Als Ursache für die globale Zunahme der Adipositas-Problematik kommen insbesondere monogene Ursachen, wie sie beispielsweise für einen MC4-Rezeptor-Mangel identifiziert wurden, nicht in Betracht. Analoges gilt für die von weiten Bevölkerungskreisen gemachte Erfahrung jenes Reboundeffekts, der nach erfolgreicher Gewichtsreduktion das Körpergewicht wie einen Jo-Jo über den ursprünglichen Wert zurückschnellen lässt.
Seit die Epigenetik grundlegende Mechanismen der Genregulation – also der Veränderung von Transkription- und Translationsraten durch reversible Modifikationen der DNA, ihrer Verpackungsproteine (Histone) oder Blockierung von mRNA – aufdecken konnte, haben „schlechte Gene“ als zentrale Erklärung für eine schicksalhaft überschießende Körpergewichtsentwicklung weitgehend ausgedient. Eine Reihe von Arbeiten hat mittlerweile stabile Hinweise auf ein „epigenetisches Gedächtnis“, d. h. ein in speziellen DNA-/Histon-Modifikationsmustern geschriebenes Programm für die Expression körpergewichtsrelevanter Gene, geliefert (hier und hier).
Epigenetik befasst sich mit den „Schaltplänen“, quasi der Software der Gene. Wie und unter welchen Bedingungen werden Gene „an- und abgestellt“ bzw. wird ihre Expression herauf- und herunterreguliert. Die Molekularbiologie hat im Erbgut verschiedene charakteristische Markierungen in Form kleiner chemischer Anhängsel wie Methyl-, Acetyl-, Phosphatgruppen identifiziert. Diese reversiblen Modifikationen betreffen entweder die DNA selbst oder die sie verpackenden Proteine (Histone).
Die in der DNA gespeicherte genetische Information – also die Qualität der Gene und der von diesen codierten Produkte – bleibt völlig unverändert, was neben der Reversibilität das zentrale Unterscheidungsmerkmal zu den DNA-Code-verändernden Mutationen ist. Moduliert wird über die epigenetischen Markierungen lediglich die Zugänglichkeit der DNA für die ablesenden Transkriptionsenzyme. Es werden somit keine veränderten Proteine produziert. Es ändert sich „nur“ ihre Produktionsrate und damit ihre biochemisch wirksame Gesamtaktivität.
Mit der RNA-Interferenz gibt es einen weiteren, jedoch post-transkriptionell wirksamen Genregulationsmechanismus. Hier wird die mRNA abgelesener Gene vor ihrer Translation in Proteine durch eigens hergestellte kurze RNA-Moleküle (siRNA= small interferring RNA) mehr oder minder stark blockiert. All diese epigenetischen Modifikationen und Demodifikationen ermöglichen Zellen flexible Adaptationen der Genaktivitäten in Abhängigkeit von externen Einflussfaktoren, wohingegen DNA-Mutationen nicht-adaptive, unumkehrbare Veränderungen von Genprodukten bedeuten.
Wenngleich alle epigenetischen Schalterstellungen grundsätzlich reversibel sind, gibt es hinsichtlich ihrer Stabilität große Unterschiede. Manche Genregulationsmuster reagieren schnell auf Veränderung des Lebensstils oder der Außenbedingungen, um beispielsweise Gene, die Verdauungs- oder Wundheilungsenzyme zu codieren und bei Bedarf verstärkt zu exprimieren. Andere epigenetische Schalterstellungen weisen dagegen eine so hohe Stabilität auf, dass sie sogar generationsübergreifend weitergegeben werden, sofern das Erbgut von Zellen der Keimbahn (Spermien, Oozyten) betroffen ist.
Solche sehr stabilen Genregulationsmuster werden auch „epigenetisches Gedächtnis“ genannt und sie geben manch neuem Erdenbürger einen Rucksack an erhöhten Krankheitsrisiken mit auf den Lebensweg. Auch wenn die Hardware (Gene) von guter Qualität ist, sind die Umprogrammierungen der Software (epigenetische Schalterstellungen) dann ein schwieriges und langwieriges Unterfangen. Und genau dieses Szenario scheint der momentanen Studienlage zufolge für die Neigung zu Adipositas sowie für die Jo-Jo-Problematik nach Gewichtsabnahme eine wichtige Rolle zu spielen (hier und hier).
Eine von Epigenetikern der ETH Zürich geleitete, Ende 2024 im Fachblatt Nature publizierte Studie diente der Suche nach molekularbiologischen Indizien, dass das epigenetische Gedächtnis der Fettzellen maßgeblichen Anteil am Scheitern der Bemühungen vieler Abnehmwilliger trägt, ihr erreichtes Wunschgewicht längerfristig zu halten. Primäres Ziel war es herauszufinden, ob bestimmte, mit Adipositas assoziierte Genaktivitäten im Fettgewebe auch nach einer deutlichen Gewichtsabnahme stabil erhalten bleiben – quasi ein epigenetisches Gedächtnis für den adipösen Metabolismus bilden – und dadurch die erneute Übergewichtsentwicklung forcieren.
Dazu analysierte die Arbeitsgruppe die Genexpression in Biopsien aus dem subkutanen und omentalen Fettgewebe von Menschen, die nie übergewichtig waren („Normalgewichtige“) sowie von adipösen Personen vor und zwei Jahre nach erfolgreicher (> 25 % BMI-Reduktion) bariatrischer OP. Die Gewebeproben stammten aus verschiedenen, am Stockholmer Karolinska-Institut und mehreren deutschen Adipositaszentren durchgeführten Studien. Die Messung der Genexpression (Transkriptome) erfolgte durch gepoolte Einzelkern-RNA-Sequenzierungen (snRNA-seq) in verschiedenen, im jeweiligen Fettgewebe enthaltenen Zelltypen (Adipozyten, Adipozyten-Progenitoren, Mesothel-, Endothel-, Immunzellen).
Die Analyse der Fettgewebs-Transkriptome zeigte zelltypspezifische Unterschiede in den Genablesemustern. Das wirklich herausragende Ergebnis aber war, dass bei den durch bariatrische OP erschlankten Personen auch zwei Jahre nach dem Eingriff sowohl im omentalen als auch um subkutanen Fettgewebe noch Genaktivitätsmuster erhalten waren, die auch präoperativ im adipösen Zustand vorlagen und sich von den Genepressionmustern der Nie-Adipösen deutlich unterschieden. Betroffen waren besonders Stoffwechselgene wie IGF1, LPIN1, IDH1, PDE3A und GPX3. Der Vergleich der verschiedenen Zelltypen zeigte, dass die Konservierung der adipösen Genregulationsmuster am stärksten in Adipozyten und ihren Vorläuferzellen sowie in Endothelzellen ausgeprägt war.
In einem zweiten, tierexperimentellen Strang der Studie versuchte das Team jenen stabilen epigenetischen Markierungen auf die Spur zu kommen, die dem „epigenetischen Adipositasgedächtnis“ zugrunde liegen. Mittels Epigenom-Analysen der Adipozyten von über 12 Wochen adipös gefütterten und anschließend mittels Reduktionsdiät wieder erschlankten Mäusen analysierten sie die DNA- und Histon-Markierungen. Nach der Gewichtszunahme wies das Epigenom tatsächlich Veränderungen gegenüber dem ehemals schlanken Zustand auf, was mit entsprechend veränderten Transkriptomen (veränderte Aktivität metabolischer Gene) korrelierte.
Nach der per hypokalorischer Ernährung erreichten Gewichtsnormalisierung besserten sich zwar wichtige Stoffwechselparameter, doch die epigenetischen Markierung des adipösen Zustandes und das entsprechende Genexpressionsmuster blieben größtenteils erhalten. Solange die Tiere ihre hypokalorische Diät hielten, blieben sie schlank. Jede Erhöhung der Kalorienzufuhr führte nun jedoch zu schnellem Körpergewichtszuwachs. Offensichtlich bleibt das einmal auf Adipositas gepolte Epigenom noch längere Zeit auf Fettspeicherung programmiert. Wie lange, ist ungewiss.
Adipöse Menschen (und Tiere) werden offenbar beim Abnehmen Fett und Pfunde los, nicht aber entscheidende Genregulationsmuster, die sich an den adipösen Zustand „erinnern“ und ihn wieder anstreben. Der lipogene Stoffwechsel scheint durch die persistierenden epigenetischen Schalterstellungen darauf gepolt zu sein, jede überschüssige Kalorie begierig in Depotfett zu verwandeln. Selbst eine eigentlich bedarfsgerechte Energiezufuhr kann dann das „Jo-Jo“ nach oben schnellen lassen. Etliche Fragen bleiben jedoch unbeantwortet, wie z. B.
Es spricht einiges dafür, dass unterschiedliche Genschaltpläne auch hinter dem Rätsel stehen, warum verschiedene Menschen so unterschiedlich auf gleiche Ernährungs- bzw. Lebensweisen reagieren. Jeder kennt einen jener „Immer-Schlanken“, die essen können, was und wie viel sie wollen, ohne dass sich ihr Körpergewicht oder ihre Blutdruck- und -zuckerwerte großartig verändern.
Andere hingegen platzen bei gleicher Lebensweise hyperton und diabetisch aus allen Nähten. Zwar lassen sich die Anteile von genetischer Prädisposition und epigenetischer Prägung noch nicht beziffern, doch liegt es nahe, dass die grundsätzlich flexible, aber sich bisweilen raschen Veränderungen widersetzende epigenetische Software mindestens so bedeutsam ist wie die fixe genetische Hardware.
Wenngleich noch sehr vieles im Bereich der Genregulation im Dunklen liegt, lässt sich eine Empfehlung aus dem gegenwärtigen Kenntnisstand ableiten: Die beste Methode, zeitlebens schlank zu bleiben, ist es, bei Gewichtszunahme frühzeitig gegenzusteuern, bevor ein (prä)adipöser Zustand die Epigenome im Fettgewebe stabil auf Fettspeicherung stellt. Ist das erst passiert, wird es schwierig, überschüssige Pfunde auf Dauer wieder loszuwerden.
Leichter gesagt als getan, werden nun (zu Recht) jene denken, die vielleicht schon ein stabil auf Fettspeicherung gepoltes Epigenom in die Wiege gelegt bekommen haben. Diese Menschen werden es schwerer haben, auf Dauer ein Normalgewicht zu halten. Der Hoffnungsschimmer: Im Gegensatz zum schicksalhaften Genom ist das Epigenom zeitlebens über den Lebensstil „manipulierbar“, auch wenn es sich bisweilen hartnäckig widersetzt. Ernährung und Bewegung sind richtige Ansatzpunkte – auch wenn’s schwerfällt.
Gewicht halten ist schwerer als Abnehmen: Nach einer Diät kehren viele Menschen teilweise zu alten Gewohnheiten zurück, was oft zu einer erneuten Gewichtszunahme führt – teils über das ursprüngliche Gewicht hinaus. Die sogenannte „Steinzeithypothese“ erklärt dies mit genetischer Veranlagung zur Fettspeicherung.
Epigenetik als Schlüssel zur Adipositas: Nicht nur die Gene selbst, sondern deren Regulation durch epigenetische Mechanismen beeinflusst das Körpergewicht. Das „epigenetische Gedächtnis“ speichert frühere Stoffwechselzustände und kann eine erneute Gewichtszunahme begünstigen.
Studien bestätigen langfristige Genregulationsmuster: Untersuchungen zeigen, dass bestimmte epigenetische Schalterstellungen im Fettgewebe auch nach erfolgreicher Gewichtsabnahme erhalten bleiben. Dies könnte erklären, warum viele Menschen nach einer Diät schnell wieder zunehmen.
Lebensstil beeinflusst das Epigenom: Obwohl epigenetische Muster stabil sein können, sind sie grundsätzlich veränderbar. Eine frühzeitige Gewichtskontrolle und ein gesunder Lebensstil können helfen, langfristig schlank zu bleiben, bevor sich das epigenetische „Adipositasgedächtnis“ verfestigt.
Quellen:
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